Andreas Ellinger

JOURNALISMUS IN WORT UND BILD

Reicht ein Jura-Studium zur Integration?

Veröffentlicht in: Kommentare, Migration

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Wenn Ayse Durmaz aus Mitteltal nach der Hauptschule Fachverkäuferin gelernt oder nach der Werkrealschule eine kaufmännische Ausbildung gemacht hätte, dann würde sie heute mit einer unbefristeten Aufenthaltserlaubnis – einer so genannten Niederlassungserlaubnis – in Deutschland leben. Stattdessen hat sie sich entschieden, „nur“ Jura in Tübingen zu studieren. Deshalb muss sie alle zwei Jahre ihre Aufenthaltserlaubnis verlängern lassen, während die Eltern und Geschwister der Türkin alle eine Niederlassungserlaubnis haben.

Gibt‘s das wirklich? Ja, das gibt‘s – in Deutschland. Dort, wo die Politiker unermüdlich betonen, wie wichtig die Integration von Zuwanderern ist. Einer der häufigst gehörten Appelle: Mehr Integrationswillen zeigen! Wir Deutschen? Nein, der „gemeine Ausländer“ natürlich – so meinen viele Politiker. Warum? Na zum Beispiel, um später den Einbürgerungs-Test zu bestehen.

Der Ausländer soll die deutschen Gesetze nicht nur kennen, sondern das Rechts-System verinnerlichen, es schätzen lernen und lieben – das von christlich-abendländischen Werten geprägte Grundgesetz. Und damit der Ausländer das nicht einfach nur auswendig lernt, wird seine demokratische Gesinnung anhand behördlicher Vorschriften überprüft?! Erfolgreiche Genehmigungs-Expeditionen im Paragrafen-Dschungel belegen die Integrationsbereitschaft. Ein Jura-Studium reicht nicht – die Richtlinien-Kompetenz muss abseits der Universitäten unter Beweis gestellt werden, im richtigen Leben.

Ayse Durmaz lernt das, wenn sie Bafög beantragt, sich um einen Nebenjob bewirbt oder ihre Aufenthaltserlaubnis verlängern lässt. Was in Freudenstadt kein Problem ist, weil die Beamten sie dort kennen und selbst überrascht auf ihren Sonderfall reagiert haben, war während des Studiums in Gießen eine unangenehme Prozedur. Mal abgesehen von der Warterei auf den Fluren des Ausländeramtes… – die 23-jährige Türkin wurde unter anderem auf Straftaten hin überprüft. „Ich kam mir vor wie…“, sagt sie und ringt nach Worten – sie ist bis heute sprachlos, wie sie dort behandelt worden ist. „Das hat wehgetan.“ So ist das in Deutschland: Mancher Pass weist einen als potenziellen Kriminellen aus.

Die Bewerbung um einen Nebenjob und vor allem der Bafög- Antrag werden zum Papierkrieg. Ayse Durmaz muss unter anderem ihren Aufenthaltsstatus nachweisen und teilweise sogar die Niederlassungserlaubnis des Vaters vorlegen. Bei ihrer Freundin Ilknur Suhta geht das immer viel einfacher, obwohl auch sie gebürtige Türkin ist. Sie hat sich einbürgern lassen. Das könnte Ayse Durmaz ebenfalls versuchen, trotz unbefristeter Aufenthaltserlaubnis. Aber das möchte sie nicht, weil sie vielleicht mal wieder in die Türkei zurückkehren wird – aber nicht unbedingt in den nächsten zwei Jahren, bis wieder einmal ihre Aufenthalts-Erlaubnis abgelaufen ist. Wie sie und ihre Freundin diese Erlebnisse mit dem deutschen Rechtsstaat als Jura-Studentinnen bewerten? Ilknur Suhta: „Je mehr man drin ist, desto mehr merkt man, wie man ausgegrenzt wird.“

Ayse Durmaz ist in Deutschland geboren. Dass sie im Gegensatz zu ihren Eltern und ihren Geschwistern nur befristet bleiben darf, hat folgenden Hintergrund: Mit sieben Jahren zog sie in die Türkei, mit 14 Jahren kam sie zurück nach Deutschland. Wahrscheinlich lag es an der Gültigkeits-Dauer ihres Passes, dass sie zunächst – untypischer Weise – eine vierjährige Aufenthaltserlaubnis bekommen hat statt einer zweijährigen. Als sie nach vier Jahren wie ihre Familie den unbefristeten Aufenthalt beantragen wollte, war sie 18 – weshalb sie unter aufenthaltsrechtlichen Gesichtspunkten nicht mehr als Kind ihrer Eltern galt, sondern als selbständige Erwachsene. Und eine Erwachsene muss ein festes Arbeitsverhältnis haben, damit sie eine Niederlassungserlaubnis erhält. Hätte sie auf ihre Lehrer und den Ansprechpartner beim Arbeitsamt gehört, dann hätte sie eine Ausbildung gemacht – und in der Folge eine Niederlassungserlaubnis bekommen.

Pädagogen und Berufsberater wissen eben, was sich für ein türkisches Mädchen gehört: Die Schulzeit frühestmöglich beenden! Dann eventuell eine Ausbildung machen! Und schließlich im elterlichen Haus auf die Zwangsheirat warten?!

Info: Dass viele türkische Mädchen unter der Familien-Herrschaft ihrer Väter leiden, ist unbestritten. Ilknur Suhta und Ayse Durmaz meinen aber, dass es eine Minderheit ist, die zur Heirat gezwungen wird. Auf Seite 3 der heutigen SÜDWEST PRESSE wird berichtet, wie sie ihren eigenen Weg gehen konnten und das trotz gesellschaftlicher Hürden – dank der Unterstützung ihrer Eltern!

Andreas Ellinger, Südwest Presse Horb, Horber Chronik

 

Siehe auch:

Bericht: „Man weiß nicht, wo man hingehört“ (10.06.2006)

Samstag

10

Juni 2006

Publikation:
Südwest Presse

 

Ressort:
Horb