Andreas Ellinger

JOURNALISMUS IN WORT UND BILD

Sich spielend aufs Abitur vorbereiten

Veröffentlicht in: Berichte, Technik

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PDFOriginalartikel aus der Südwest Presse Horb als PDF


Neues Lehr-System konzipiert: Schüler entwickeln Heizungs-Regelung / MGG als technisches Gymnasium

 

MC MANDI ist hip – aber nicht hop. Der Name, hinter dem Jugendliche einen Rapper vermuten, ist die Abkürzung eines „MikroController gesteuerten Modularen Lehrsystems für ANaloge und DIgitale Anwendungen“. Das klingt sehr kompliziert – ebensolche Technik soll damit Schülern des Horber Martin-Gerbert-Gymnasiums begreifbar gemacht werden. Begreifbar! „Das kommt von Anfassen“, erklärt Oberstudienrat Erich Stahl, der MC MANDI zusammen mit einem ehemaligen Schüler entwickelt hat – mit Diplom- Ingenieur Stefan Schelhammer, der in Ahldorf das Ingenieurbüro „inGENIOS“ betreibt und als Dozent an der Dualen Hochschule arbeitet.

Was ist eine Mikrocontroller-Platine? Das Internet-Lexikon „Wikipedia“ erklärt den Begriff der Platine so: „Eine Leiterplatte (auch Platine) ist ein Träger für elektronische Bauteile. Sie dient der mechanischen Befestigung und elektrischen Verbindung. Nahezu jedes elektronische Gerät enthält eine oder mehrere Leiterplatten.“ Und ein Mikrocontroller? „Als Mikrocontroller werden Halbleiterchips bezeichnet, die mit dem Prozessor mindestens Peripheriefunktionen auf einem Chip vereinen.“

Ein Oberstufenschüler lernt solch eine Definition vor der Klausur auswendig – um sie nachher wieder zu vergessen, weil er sie nicht verstanden hat. So passt das ins gymnasiale Klischee – nicht aber ins Bildungs-Konzept von Erich Stahl, der Physik, Chemie, Mathematik und Informatik unterrichtet: „Ich bin halt eher ein Praktiker…“

Stahl hat schon vor 25 Jahren, als er das Fach Astronomie an der Schule einführte, das erforderliche Fernrohr selbst gebaut. Ein Schüler ging ihm damals als technischer Assistent zur Hand: Stefan Schelhammer. In ihrer Freizeit, die sie gemeinsam am MGG verbrachten, haben sie außerdem elektronische Steuerungen fabriziert. Der „Physiklehrer mit einem starken Hang zur Technik“ hat den Jugendlichen mit seiner Begeisterung angesteckt: Schelhammer studierte Mikroelektronik und wurde zu einem „Techniker mit viel Chemie- und Physik-Wissen“.

Im Frühjahr 2007, als der Lehrer den W Unterricht für das neue Fach „Naturwissenschaft und Technik“ (NwT) plante, suchte er seinen ehemaligen Schüler auf. Seine Frage: „Wie kann man Zehntklässlern in einer Unterrichtseinheit die Grundlagen und Methoden des modernen Messens, Steuerns und Regelns begreiflich machen?“

Stahl diktierte Schelhammer die Ansprüche an ein ideales Lehr-System:

● Übersichtlichkeit: In jeder Unterrichtsstunde dürfen nur wenige technische Komponenten benötigt werden.

● Einfachheit: Die Komponenten müssen so gestaltet sein, dass Schüler sie aufbauen und herstellen können.

● Nachvollziehbarkeit: Es dürfen keine geheimnisvollen Spezialtechniken angewandt werden, sondern es müssen die Grundprinzipien deutlich werden.

● Übertragbarkeit: Schüler sollen ihre Arbeiten zuhause selbständig mittels Computer-Simulation testen können, ehe sie in der Schule per Datenkabel im realen Experiment münden.

● Erweiterungsmöglichkeit: Ideen und Eigenentwicklungen der Jugendlichen müssen im selbstorganisierten Unterricht eingearbeitet werden können.

● Ersetzbarkeit: Falls etwas kaputt geht, müssen defekte Bauteile einfach erkennbar sowie leicht, schnell und billig austauschbar sein.

Einige Wochen später kam der Diplom-Ingenieur zum Gegenbesuch, um Erich Stahl zum Geburtstag zu gratulieren. Als Geschenk brachte er den selbst entwickelten Prototypen einer Mikrocontroller-Platine mit – und „eine Grundidee, die allen Ansprüchen genügen sollte“. Stahl: „Da war ich der erste Schüler und habe das gelernt.“ Bis heute nimmt er die erste Platine, um neue Anwendungen zu testen.

Wer schon mal einen kaputten Videorekorder aufgeschraubt hat, der weiß, wie eine Mikrocontroller-Platine aussieht – womöglich ohne zu wissen, wie dieses Bauteil heißt. Es handelt sich um eine Metallplatte mit unzähligen Lötstellen und einer Vielzahl von winzigen Elektronik-Bauteilen.

Das Besondere an Stefan Schelhammers Entwicklung ist, dass die Platine keine „Eier legende Wollmilch-Sau“ ist, wie Erich Stahl erläutert, sondern nur die notwendigen Komponenten enthält. „Das wird Low-Tech genannt“, erklärt Stefan Schelhammer und deutet auf einen „uralten Prozessor-Typen“. Dieser habe sich 30 Jahre lang bewährt und werde deshalb immer noch verwendet. Der Diplom-Ingenieur spricht von einer technisch einfachen Prozessor-Architektur – und das scheint auch optisch zuzutreffen, auf seine Mikrocontroller-Platine insgesamt. Sie wirkt wie das Miniatur-Modell einer Elektronik-Stadt. Das „Hochhaus“ ist der Kühler für die Stromversorgung, die „Silos“ heißen Elektrolytkondensatoren und das großflächige Industriegebäude mit Flachdach ist die Prozessoreinheit.

Der Platinen-Prototyp ist zu einem Bausatz weiterentwickelt worden, mit dem Schüler die Serien-Fertigung begonnen haben. Stückpreis: 20 Euro. Die Elftklässler Maurice Birkenfeldt, Julien Bilger und Christian Fahrner, die bei Erich Stahl Informatik lernen, können praktisch jedes Bauteil benennen – zum Beispiel jenes Metallelement, das an eine zu groß geratene Lötstelle erinnert. Es heißt Schwingquarz. Weil es den Takt des Prozessors vorgibt, gilt es als „Herz“ des Mikrocontrollers.

Die Schüler sollen mit Hilfe dieses Systems die Hardware eines Computers verstehen. Und sie sollen die Verbindung von Hardund Software durchschauen – also das Zusammenwirken von Gerätetechnik und Anwendungsprogrammen.

Die Elftklässler schreiben eigene Programme in der „Assemblersprache“, deren Wirkung sie auf dem PC simulieren und hernach per Datenkabel auf das Microcontroller-System übertragen. Ein Vierzeiler, der für Laien aus einem Buchstaben- und Zahlen-Wirrwarr besteht, kann die Schelhammer‘ sche Technik zur Licht-Steuerung machen. Wenn „Port 0“ ein Signal bekommt (also der Lichtschalter gedrückt wird) überträgt sich dieses Signal auf „Port 1“ (die Lampe geht an). Die Zwölftklässler programmieren auf diese Weise Ampel-Steuerungen.

Während eine Ampelanlage eigenständig funktioniert, nachdem sie das Steuerungs-Programm übertragen bekommen hat, gibt es auch die Möglichkeit einer Computer-Steuerung. So kann zum Beispiel die Geschwindigkeit eines „Schrittmotors“ verändert werden, wenn er im laufenden Betrieb mit dem PC kommunizieren kann. Falls die Verbindung getrennt wird, läuft er unverändert weiter.

Die Platinen für Anwendungen wie Messgeräte oder die Ampel hat Stefan Schelhammer nach dem Grundsatz „eine Anwendung – eine Platte“ entwickelt. Sie können nach Belieben an die Mikrocontroller-Platine angeschlossen werden genauso wie eine Steck-Platine, auf der die Schüler ohne Lötkolben Zusatzfunktionen installieren können – etwa das gelbe Warnblinklicht für Autofahrer an der Fußgänger-Ampel.

Erich Stahl hat für diese Hardware eine Software kreiert, so dass die Benutzeroberfläche des Computers in der gleichen Systematik aufgebaut ist wie die praktische Anwendung. Das Fenster auf dem PC sieht gleich aus wie die jeweilige Platine: Auch da leuchten Ampel-Lichter oder es schlagen Mess-Regler aus: Vorausgesetzt die Programme funktionieren, welche die Schüler geschrieben haben – in diesem Fall in der Programmier-Sprache „Delphi“. Sie gilt als Hochsprache, weil sie aus Worten statt aus virtuosen Buchstaben-Ketten besteht. Ihre Grundlagen sind leichter zu erlernen als bei der Assemblersprache. Lehrer Stahl vergleicht Delphi mit einem Klavier, auf dem ein Schüler nach kurzer Zeit „Alle meine Entchen“ spielen kann – aber nur der Könner eine Bach-Sonate.

Auf dem Weg zum „musikalischen Meisterwerk“ haben die Fortgeschrittenen am MGG mit Delphi eine Heizungs-Regelung geschrieben: Wenn am Sonnenkollektor eine höhere Temperatur gemessen wird als im Wasser-Kessel, dann springt die Umwälzpumpe an. Und eine Solaranlage, welche die Schüler in der 7. Klasse zur Brauchwasser-Erwärmung entwickelt haben, können sie jetzt als Zehntklässer mit selbst programmierter Technik regeln.

Steuerungen und Regelungen, die dank MC MANDI entstehen, können in der analogen Helligkeits-Messung genauso eingesetzt werden wie in der digitalen Messung mit Lichtschranken. Dabei wird nicht nur Lehrplan-Wissen vermittelt, sondern es entwickelt sich ein technisches Verständnis, wie es für Ingenieur-Berufe erforderlich ist.

Stefan Schelhammer und Erich Stahl wollen das „Mikrocontroller gesteuerte modulare Lehrsystem für analoge und digitale Anwendungen“ nach der Erprobungsphase am MGG auch anderen Schulen anbieten – als Gesamtsystem mit Simulations- und Betriebs-Software sowie mit Lehrmaterialien. Mehr als 100 Gymnasiasten haben MC MANDI bereits kennengelernt. Wenn das Schule macht, können sich künftige Generationen spielend aufs Abitur vorbereiten.

Andreas Ellinger, Südwest Presse Horb, Südwest Presse Extra

Samstag

16

Januar 2010

Publikation:
Südwest Presse

 

Ressort:
SWP Extra