Andreas Ellinger

JOURNALISMUS IN WORT UND BILD

„Das geht intransparent weiter“

Veröffentlicht in: Features, Gesellschaft

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Stuttgart 21: Tobias Renz ist in seinem demokratischen Grundverständnis erschüttert

 

Der „Bloody Thursday“ – der blutige Donnerstag des „Stuttgart 21“-Widerstandes – hat Tobias Renz in seinem demokratischen Grundverständnis erschüttert. Von Heiner Geißlers Schlichterspruch ist er enttäuscht, vom Untersuchungsausschuss des Landtags erwartet er nicht viel… – für den Parkschützer aus Rohrdorf geht der Protest gegen den unterirdischen Bahnhof im Jahr 2011 weiter.

Tobias Renz ist Häuslebauer und Familienvater. Er arbeitet in der Entwicklungsabteilung eines Unternehmens und sagt von sich: „Ich zähle mich zu keinem politischen Lager.“

Tobias Renz ist Parkschützer – Parkschützer der maximalen Engagement- Stufe, der Stufe „Rot“. Als am 30. September um 10.30 Uhr der Parkschützer-Alarm auf seinem Handy einging, war der Rohrdorfer im Betrieb. Er hat umgehend ausgestempelt und ist in den Stuttgarter Schlosspark gefahren. Mit seinen Halbschuhen war er allerdings nur bedingt einsatzfähig. Er postierte sich mit zwei Bekannten zunächst auf einem kleinen Hügel, um sich einen Überblick zu verschaffen. „Irgendwann ging‘s halt los“, erzählt er. „Dann hat der Wasserwerfer reingehalten.“ Die Blockierer hatten sich darauf vorbereitet, erstmal weggetragen zu werden – sie wurden vom Vorgehen der Polizei kalt erwischt. Tobias Renz hält fest: „Der Einsatz war absolut unverhältnismäßig.“

Der Rohrdorfer beobachtete, wie Polizisten mit Pfefferspray die Demonstranten von den Absperrgittern vertrieben – um dann die Gitter ein paar Meter nach vorne zu verschieben. Diese Prozedur wiederholten sie mehrfach. Die Situation im Schlosspark spitzte sich zu. Und Tobias Renz wurde auf zwei Mädels – geschätzte 14 bis 17 Jahre alt – aufmerksam, die verängstigt in der Menge standen. Sie wollten da raus, sagten sie auf seine Nachfrage. Also ging er zum nächsten Polizisten, um nach einem Ausweg für die Schülerinnen zu suchen. Doch der erste Gesprächsversuch scheiterte: „Ich hab‘ erst mal eine eingeschenkt bekommen.“ Mit zwei weiteren Demonstranten gelang es Tobias Renz die Beamten auf die Lage der Mädchen aufmerksam zu machen. Sie hoben die beiden über das Gitter. Kaum war das geschehen – Tobias Renz wähnte sich noch in der Verhandlungssituation – „da bekam ich schon wieder eine eingeschenkt“. Die Polizei setzte demnach auf schlagende Argumente…

Im weiteren Verlauf war der Parkschützer froh, dass er wenigstens eine Outdoor-Jacke anhatte. Sie schützte ihn wenigstens ein bisschen vor dem Pfeffer, den die Polizei teilweise aus feuerlöscherartigen Gefäßen auf die Demonstranten sprühte. „Das hat abends beim Duschen gebrannt wie Feuer“, erzählt Tobias Renz. Das die Polizei „wegen eines Bahnhofs“ derart gegen Bürger vorgeht, hat ihn in seinem demokratischen Grundverständnis erschüttert. „Es geht halt vor allem um ein Immobilien- Projekt“, merkt er an. Sein Eindruck: „Du wirst ja zuerst mal behandelt wie ein Krimineller. […] Wenn ich da nicht dabeigewesen wäre, würde ich es nicht glauben.“

Tobias Renz ist der Meinung, dass Politiker wie Ministerpräsident Stefan Mappus und Innenminister Heribert Rech ihre Legitimation verspielt haben. „Das Wort ,Volksvertreter‘ haben sie sich nicht mehr verdient, es sind Parteienvertreter.“ Mit Blick auf die nächste Landtagswahl sagt er: „Wir brauchen keinen Kaiser in Baden- Württemberg, sondern eine Regierung, die sich am Volk orientiert.“ Tobias Renz ist Anfang des Jahres in einem Gespräch mit Bekannten aus Stuttgart auf die Problematik des Bahnhofs- und Immobilien- Projekts aufmerksam geworden. Als ihm die Dimension bewusst wurde, war für den Kletterer klar, dass er sich den Parkschützern anschließt. „Der Schlosspark ist die Lunge von Stuttgart“, sagt er. Angesichts der Feinstaub-Belastung ist es ihm unbegreiflich, wie jemand auf die Idee kommen konnte, die Bäume zu fällen.

Direkt von der Arbeit kommend hat es ihm selbst zwar auf keinen Baum mehr gereicht, aber er konnte einer Mitstreiterin helfen: „Ich hab eine Frau an einen Baum gekettet, die ist Hebamme in einem Stuttgarter Krankenhaus.“

Menschen, die mitten im Bürgertum verortet sind, hat er bei den Demonstrationen in Stuttgart viele getroffen. Ein etwa 70-jähriger Mann habe ihm erzählt: „Kerle, i war mein Lebdag nô nie uff ra Demo.“ Es seien Diskussionen entstanden, bei denen es nicht nur um „Stuttgart 21“, sondern auch um viele andere Themen gegangen sei: die verlängerte Laufzeit der Kernkraft-Werke, die unsoziale Ausrichtung des Spar-Pakets,…

Die „Basta-Politiker“

„In den letzten 10 bis 15 Jahren ist politisch irgendwas schiefgelaufen“, stellt Tobias Renz fest. Den Vorwurf an die Bürger, sie hätten viel früher gegen „Stuttgart 21“ demonstrieren müssen, weist er zurück. Es sei schließlich erst in den vergangenen Monaten öffentlich bekannt geworden, was bei der Planung alles im Argen liege. „Die politisch Verantwortlichen haben sich einfach auf die Macht des Faktischen verlassen.“ Der Rohrdorfer nennt sie „Basta-Politiker“.

Von Schlichter Heiner Geißler hätte er erwartet, dass er den Ministerpräsidenten und andere Verantwortliche „an die Wand spielt“. Stattdessen habe sich Geißler nicht getraut, die gefassten Beschlüsse infrage zu stellen, kritisiert Tobias Renz. „Er hat die Chance vertan.“ Geißlers Verbesserungsvorschläge würden zu einer weiteren Verteuerung des Vorhabens führen. Und damit werde die Wirtschaftlichkeit noch schlechter. Ein „Weiter so“, verbunden mit einer Kosten-Steigerung, sei nicht das Ziel gewesen.

Den Protest fortsetzen

Nachdem die Bahn das Bauprojekt nun in eigener Regie einem Stress-Test unterzieht, ist sich der Parkschützer sicher: „Das geht intransparent weiter.“ Inwiefern sich nach der Landtagswahl etwas ändern könnte, da ist Tobias Renz ebenfalls skeptisch – obwohl die „Grünen“ und die SPD „jetzt mal“ Position bezogen hätten. Das Thema „Stuttgart 21“ müsse zum Wahlkampf-Thema werden. Und deshalb wird Tobias Renz auch im kommenden Jahr seinen Protest fortsetzen – getreu dem Grundsatz: „Wenn Recht zu Unrecht wird, wird Widerstand zur Pflicht.“

Andreas Ellinger, Südwest Presse Horb, Aus dem Gäu

Freitag

24

Dezember 2010

Publikation:
Südwest Presse

 

Ressort:
Gäu