Das Leitungsnetz als Kostenfalle?
Veröffentlicht in: Berichte, Wirtschaft
Haugensteiner Wohnungs-Käufer werden an Unterhaltung und Instandhaltung der Infrastruktur beteiligt
Wer die „Preissensation“ der „Horb Invest GmbH“ nutzt und eine Wohnung in der Haugenstein-Siedlung kauft, der kauft auch eine Kostenbeteiligung an der Unterhaltung und Instandhaltung der Verkehrsfläche sowie der Leitungen für Abwasser, Strom, Frischwasser und Telekommunikation. Die Erneuerung dieser Infrastruktur hat die Stadt Horb im Jahr 2001 auf 3,1 Millionen Mark geschätzt.
Bildechingen. „Preissensation“ im „grünen Stadtteil“ – so steht es in einer Werbeanzeige der „Horb Invest GmbH“ im Horber Amtsblatt, in der sie Zwei- bis Sechs-Zimmer- Wohnungen in der Haugenstein- Siedlung anbietet. So grün wie vor drei Monaten ist der Bildechinger Ortsteil allerdings nicht mehr. Unzählige Bäume sind im Rahmen eines „normalen Rückschnitts“ (wie Horb-Invest-Geschäftsführer Andreas Osbelt die jüngste Durchforstung bezeichnete) bis zum Stumpf gekürzt worden: Bereits im Zufahrtsbereich von der B 14 her bietet sich ein unverstellter Blick auf das graue Immobilien-Ensemble. Besonders grau wirkt die Siedlung bei einer Fahrt vom südlichen zum nördlichen Ende. Demnach hatte die Bundesrepublik Deutschland als Vorbesitzerin genau die Bäume besonders vernachlässigt, die Schatten auf die neu installierten Dach-Solaranlagen des Investors Andreas Osbelt warfen.
Die Preisspanne der 65- bis 135-Quadratmeter-Wohnungen reicht von 45.000 Euro bis über 94.500 Euro hinaus. Weiter heißt es in der Werbeanzeige: „Sie kaufen direkt vom Eigentümer, ohne Provision und ohne zusätzliche Kosten.“
Eine Besonderheit der Siedlung: Straßen, Kanäle, Wasserleitungen und Co. gehören nicht der Stadt Horb, sondern wie die meisten Gebäude der Horb Invest GmbH & Co. KG aus Korb beziehungsweise Murrhardt. Die SÜDWEST PRESSE fragte daher deren Geschäftsführer Osbelt im Oktober, ob die Infrastruktur Teil der Wohnungsverkäufe sei. Seine Antwort: Das Straßennetz gehöre zum Heizwerk und jenes betreibe die Horb Invest.
Inzwischen hat die SÜDWEST PRESSE folgendes herausgefunden: „Die Kosten der Unterhaltung und Instandhaltung der Leitungen“ sowie der „Verkehrsfläche“ sind von den Eigentümern der bebauten Grundstücke anteilig zu tragen. Das regelt die „Urkundenrolle für 2011 Nummer 1066“ eines Stuttgarter Notars, bei dem die Wohnungs-Verkäufe offenbar amtlich vollzogen werden. Besagte Urkundenrolle und ein aktueller Grundbuch-Auszug liegen der SÜDWEST PRESSE vor. Danach sind das „Betriebsgebäude“ und der „Kindergarten“ auf dem Haugenstein mit jeweils zwei Kosten-Anteilen belegt, die 30 Vier-Parteien-Häuser mit je einem Anteil. Wer eine Wohnung kauft hat folglich – möglicher Weise entsprechend der Quadratmeter-Zahlen noch etwas abweichend – ein Viertel eines solchen Kostenanteils zu tragen.
Als die Stadt Horb beziehungsweise die Baugesellschaft Horb anno 2001 über einen Kauf der Haugenstein-Siedlung nachgedacht hat, ging die Stadtverwaltung davon aus, dass die Infrastruktur „dermaßen kaputt“ sei, dass sie erneuert werden müsse, wie sich der Fachbereichsleiter für die Technischen Betriebe, Bernhard Asprion, erinnert. Für die Straßenbeleuchtung seien damals 465.000 Mark kalkuliert worden, für die Kanalisation 1,2 Millionen Mark, für die Wasserversorgung 900.000 Mark sowie für Gehweg und Straße 530.000 Mark. Das ergibt rund 3,1 Millionen Mark. Grob umgerechnet sind das 1,5 Millionen Euro – etwaige Preissteigerungen nicht berücksichtigt. Falls diese Kostenschätzung realistisch sein sollte, entspräche ein viertels Kostenanteil pro Wohnungseigentümer einer Summe von rund 11.000 Euro.
Nach Auskünften gegenüber der SÜDWEST PRESSE war es nicht allen, vielleicht sogar keinem der Wohnungskäufer bewusst, dass sie an den Unterhaltungs- und Instandhaltungskosten für die Infrastruktur beteiligt werden. In vertraulichem Rahmen wurde von Käufer-Seite erzählt, dass im Vorfeld des Geschäfts sogar mündlich zugesichert worden sei, dass es keine Kosten-Beteiligung am Leitungsnetz und an der Straße gebe.
Das Kaufverfahren soll teilweise so abgelaufen sein, dass die Käufer vor dem Notar-Termin schriftliche Unterlagen bekommen haben – darunter die „Urkundenrolle für 2011 Nummer 1066“, ein 19-seitiges Paragrafen-Werk. Beim Notar-Termin wurde teils schriftlich der Verzicht auf ein Vorlesen der Urkunde vereinbart, da ihr Inhalt allen Erschienenen bekannt sei. Der Notar brauchte dann nicht darauf hinzuweisen, dass Infrastruktur- Kosten auf die Käufer zukommen – manche von ihnen haben Migrations-Hintergrund und sind folglich keine deutschen Muttersprachler.
Was die Urkundenrolle vergleichsweise umfangreich werden ließ: Auf dem Haugenstein zweigen Gebäude-Leitungen nicht von Hauptleitungen unter der Straße ab, sondern es verlaufen Ringleitungen von Grundstück zu Grundstück. Grunddienstbarkeiten wie die Duldung der Leitungen auf dem eigenen Areal müssen sich alle Eigentümer gegenseitig einräumen. In späteren Wohnungs-Verkäufen musste diese Urkundenrolle nicht einmal mehr im Kaufvertrag erwähnt werden. Die Kosten-Regelung für die Instandhaltung und Unterhaltung der Infrastruktur sind inzwischen gemäß der Urkundenrolle 2011 Nummer 1066 ins Grundbuch eingetragen. Die Grundstücke sind entsprechend belastet – mit einem Kauf gehen die Kosten-Verpflichtungen auf die neuen Eigentümer über.
Andreas Ellinger, Südwest Presse Horb, Horber Chronik