Andreas Ellinger

RESEARCH, ANALYSES AND REPORTING

Sieger über den inneren Schweinehund

Veröffentlicht in: Reportagen, Sport

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Sechs Sulzer fuhren den Ultra Bike Marathon / Hubert Stocker bot den Profis die Stirn

 

Der „Black Forest Ultra Bike Marathon“ in Kirchzarten ist so etwas wie eine Tour-de-France-Etappe für Mountainbiker. Das Rennen führt über 79 beziehungsweise 116 Kilometer, auf denen die Athleten 2100 und 3350 Höhenmeter überwinden müssen. Aber gerade diese Strapaze lockte am letzten Juni-Sonntag über 2240 Fahrer in die Schwarzwald-Gemeinde – darunter auch sechs Sulzer.

Kirchzarten/Sulz. Kirchzarten am Sonntag morgen um halb acht. Alle Biker sind in Wartestellung und verstopfen dabei das halbe Straßennetz. Ein gigantisches Ereignis, das in aller Herrgottsfrüh’ wahre Menschenmassen anlockte. Da konnte mancher Pfarrer nur vor Neid erblassen. Der benachbarte Bäcker hingegen machte das (Sonntags-) Geschäft seines Lebens.

Sechs Minuten später fällt der Startschuß für die Ultra-Distanz über 116 Kilometer. Gleich nach dem Elite- Startblock der Profis tritt der Bergfelder Hubert Stocker in die Pedale. Nur drei Startblöcke weiter beginnt für den Sulzer Herbert Kopyra der Countdown. Kaum sind sie weg kommen die Marathon–Fahrer, unter denen die übrigen vier Sulzer sind. Im zehnten Startblock, der nun eigentlich der dritte ist, sitzen Markus Spies, Ludwig „Lugge“ Stiehle, Martin Teufel und Reiner Wössner auf ihren Bergrädern. Nur noch wenige Momente – dann preschen auch sie davon.

Eine Stunde später ist die Innenstadt wie leergefegt. Der Start ist abgebaut und die Verkäuferinnen stehen wieder alleine in der Bäckerei. Lediglich ein paar Absperrgitter am Straßenrand künden noch von dem Großereignis. Währenddessen „klettern“ die Sulzer Mountainbiker schon den ersten Berg hoch. Beide Routen beginnen nämlich mit einem Anstieg. Für Hubert Stocker, das Aushängeschild des „Team Sulz“, ist das die erste Steigung von fünfen. Aber genau das liegt ihm, die Berg- und Talfahrt. Im vergangenen Jahr belegte er beim selben Spektakel Platz 69. Der Kirchzartener Ultra-Marathon war damals sein erstes Mountainbike–Rennen überhaupt. Hubert Stocker ist Radfahrer aus Leidenschaft. Mit dem Drahtesel erkundet er die Landschaft und spürt die entlegensten Winkel auf. Das reizte ihn schon als Kind. Und als Jugendlicher, so mit 16, 17 Jahren entdeckte er den Straßenradsport. Knapp drei Jahre fuhr er für den Empfinger Radverein „Adler“ – dann zog er sich wieder aus dem Wettkampfgeschäft zurück. Bis er vor drei, vier Jahren auf das Mountainbike umsattelte. Mitten durch unwegsames Gelände zu fahren, das reizte ihn. Hinzu kam der Nervenkitzel bei den Abfahrten. Obwohl man auf den meist holprigen Strecken ein vergleichsweise niedriges Tempo draufhabe, sei das vom Gefühl her gewaltig, schwärmt Hubert Stocker. Nur selten erreicht er Spitzengeschwindigkeiten von bis zu 60 Stundenkilometern. Ungefährlich ist das Hobby freilich trotzdem nicht. Der Bergfelder blieb bisher jedoch von Stürzen verschont.

Zweimal pro Woche trainiert der 33jährige in der Regel. Das ist für den Ingenieur aus beruflichen Gründen das höchste der Gefühle. Verglichen mit der Konkurrenz auf der Kirchzartener Ultra-Distanz ist das allerdings verdammt wenig. Dort fahren Profis mit, die täglich trainieren. Um so beachtlicher ist der 49. Platz von Hubert Stocker in der diesjährigen Gesamtwertung. Nach knapp fünfeinhalb Stunden fuhr 47 Minuten hinter dem Sieger Mike „the bike“ Kluge ins Ziel. Dieser Abstand klingt für den Laien vielleicht groß – ist er aber nicht. Kluge trainiert nämlich unter anderem mit Tour-de-France-Fahrern des Telekom-Teams.

Training ist beim Mountain-Biking jedoch wie bei jeder Sportart nicht alles. Vielmehr fängt der Sport bei der richtigen Ernährung an und reicht bis zur Taktik im Rennen. So hat Hubert Stocker in den Tagen vor der Ultra-Fahrt viele Kohlenhydrate zu sich genommen. Zum Beispiel in Form von Spaghetti. Im Rennen selbst versuchte er sich dann immer an bessere Fahrer dranzuhängen und sich „ziehen“ zu lassen. Dabei gestaltet er die Strecken von der Kräfteeinteilung her immer nach Gefühl – einen Tacho hat er nicht. Tendenziell fährt er die erste Hälfte der Distanz aber immer etwas verhaltener. Zudem hielt er zumindest in Kirchzarten an keiner Verpflegungsstation und trank kurz vor Schluß noch ein Cola – als letzten Energieschub. Und mit dieser Taktik ist Hubert Stocker erfolgreich.

Dank seiner guten Ergebnisse hat er seit dieser Saison zwei Sponsoren – den Mountainbike–Hersteller Scott und das Sportgeschäft Stiehle aus Sulz. Sie haben ihm das Material, sprich Kleidung und Fahrrad, zu günstigen Konditionen besorgt. Seine Kollegen aus Sulz, mit denen er immer donnerstags trainiert, schlugen sich übrigens auch ganz wacker in Kirchzarten. „Lugge“ Stiehle und Markus Spies „versägten“ beispielsweise auf der letzten Abfahrt nochmal so um die 40 Fahrer und kamen über die kürzere Distanz als 578. und 576. ins Ziel. Martin Teufel landete über die Marathon-Strecke gar auf Platz 573, Ultra–Fahrer Herbert Kopyra auf Platz 372. Nur Reiner Wössner hatte Pech. Er mußte die letzten Kilometer zu Fuß zurücklegen, weil er am Vorderrad einen Platten hatte. Trotzdem joggte er immerhin noch als 734. Fahrer ins Sportstadion. Und eigentlich waren sie ohnehin alle Sieger – nämlich Sieger über sich selbst und über den berühmten „inneren Schweinehund“.

Andreas Ellinger, Südwest Presse Horb, Sulzer Chronik

 

Mittwoch

8

Juli 1998

Publikation:
Südwest Presse

 

Ressort:
Sulz