Andreas Ellinger

JOURNALISMUS IN WORT UND BILD

In Zivil-Prozessen geht’s ums Geld…

Veröffentlicht in: Justiz, Reportagen

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…und ums Prinzip: Eine Versicherung geht mit sich selbst ins Gericht / Ein Tag des Richters Karl-Josef Binz

 

Wenn zwei sich streiten… – nein, dann freut sich nicht immer der Dritte. Karl-Josef Binz ist als Zivil-Richter „Dritter“ von Beruf. Und er freut sich erst, wenn er zwischen den „Parteien“ einen Kompromiss vermittelt hat. Der Direktor des Amtsgerichts Horb ist ein Interessen-Makler.

Horb. Mieter gegen Vermieter, Versicherter gegen Versicherung, Käufer gegen Verkäufer: In Zivil-Prozessen geht es nicht um Gefängnisstrafen, sondern ums Geld. Ausnahmen bestätigen die Regel: „Mir geht’s nicht ums Geld, mir geht’s ums Prinzip“, sagte eine Klägerin in der Weihnachtszeit. „Ich finde es traurig, wenn ich höre, es geht ums Prinzip“, entgegnet Karl-Josef Binz der Frau – „weil das Prinzip dann den Rechtsstaat kaputt macht.“ Karl-Josef Binz wäre aber nicht Karl-Josef Binz, wenn ihm bei allem Ernst der Gerichtsverhandlung nicht eine süffisante Bemerkung einfallen würde. „Wenn es ums Prinzip geht, dann ist das keine vermögensrechtliche Streitigkeit“ – womit der Zivil-Richter nicht mehr zuständig wäre.

Mit Humor Konflikte lösen

Wer vor Karl-Josef Binz im Gerichtssaal sitzt, dessen Konflikt war in Schreiben und Gesprächen nicht zu lösen. Der Richter muss davon ausgehen, dass Kläger und Beklagte verärgert oder gefrustet sind. Mit Humor versucht er den Streit zu entschärfen, die Situation zu entspannen. Als die Anwältin der „Prinzipien-Klägerin“ auf eine Entscheidung des Oberlandesgerichts Köln verwies, zitierte Binz einen Richter des Kölner Landgerichts: „In Köln ist das ganze Jahr über Karneval.“

Gegenstand des Streits war das Wohnrecht einer alten Frau. Karl-Josef Binz überlegte scherzhaft, ob sich Paragraph 242 anwenden ließe (242 a: Wo kommen wir da hin? 242 b: Das ham’mer noch nie so gemacht. Und 242 c: die arme alte Frau.). Der Spaß-Paragraph griff natürlich nicht. Karl-Josef Binz wollte auf einen Kompromiss hinaus, der in Zivilsachen Vergleich heißt. Allein es fehlte die Bereitschaft der Klägerin. Ihr ging es ums Prinzip – so lange, bis sie sich verplappert hatte und der Richter zu ihrer Anwältin bedeutungsvoll sagte: „Vielleicht reden sie noch einmal mit ihrer Mandantin . . .“ Sie redete und der Vergleich kam zustande.

Pausen im Termin-Stress

Das gelang dem Richter fünfmal an diesem Tag – in 14 Verhandlungen. Ob das nicht ein bisschen viel ist? „Das ist eher unterdurchschnittlich“, sagt Karl-Josef Binz und weist auf Pausen hin, wo ein Nicht-Jurist Termin-Stress sieht. Und tatsächlich: Manche Verhandlung ist in fünf Minuten erledigt, so dass es zwischendurch zu einer Tasse Kaffee reicht. Das Urteil folgt in Zivilsachen meist einige Tage oder Wochen später, zu einem „Verkündungstermin“, an dem die „Parteien“ nicht erscheinen müssen. Sie bekommen das Urteil zugeschickt.

Ausnahmen sind so genannte „Stuhl-Urteile“. Sie spricht der Richter direkt nach der Verhandlung auf sein Diktiergerät – ohne dass er sich wie ein Strafrichter zur „Urteilsfindung zurückziehen“ würde. Ein Stuhl-Urteil kann beispielsweise bekommen, wer sich offensichtlich und womöglich wiederholt über Entscheidungen des Bundesgerichtshofs hinweggesetzt hat. Das muss nicht einen sturen Vermieter treffen – es kann auch ein Versicherungskonzern sein. Einer aus dem Württembergischen hat die Angewohnheit, nach Autounfällen nicht den „Unfall-Ersatztarif“ für Mietwagen zu erstatten. Die Versicherung verlangt, dass der Unfallgeschädigte auf dem Markt den billigsten Tarif für ein Auto ermittelt. Was darüber hinaus geht, will die Versicherung nicht zahlen. Diese Auffassung sei rechtlich nicht korrekt, hat der Bundesgerichtshof als höchste Zivilinstanz entschieden.

Versicherung ignoriert das Recht

Wer gegen die Versicherung nicht klagt, bekommt kein Geld. Karl-Josef Binz lag vor Weihnachten die zweite Klage gegen den Konzern vor und das innerhalb eines halben Jahres. Die Begründung seines ersten Urteils hatte die Versicherung offenbar nicht gekümmert – wie zuvor zwei Entscheidungen des Bundesgerichtshofs. „Ich komme mir so vor, als wäre das in den Wind gepfiffen“, sagte Binz dem Rechtsanwalt der Versicherung. „Brauchen Sie noch eine schriftliche Begründung?“ Der Anwalt brauchte nicht.

Der Begriff Stuhl-Urteil passte in dem Versicherungsfall besonders gut. Der Anwalt konnte sitzen bleiben. In der nächsten Verhandlung ging es um die Lohnfortzahlung für eine Fahrlehrerin. Sie war nach einem Unfall zwei Tage krank und die Versicherung aus dem Württembergischen wollte nicht zahlen. Begründung: Sie hätte Urlaub nehmen und die ausgefallenen Tage nachholen können. Karl-Josef Binz reagierte mit Unverständnis: „Soll sie etwa Samstag und Sonntag flexibel legen?“ Dieses Mal wollte der Anwalt eine schriftliche Begründung.

Karl-Josef Binz ist 54 Jahre alt und richtet seit rund 20 Jahren in Zivil-Prozessen. Einem mit seiner Lebens- und Berufserfahrung lässt sich schwer etwas vormachen. Das fängt bei Kleinigkeiten an. Als ihm ein Anwalt erzählte, Bauschutt lasse sich auf einer Mülldeponie der Region kostenlos entsorgen, reagiert Binz mit Humor: „Wenn ich das gewusst hätte, wäre ich hierher gefahren, um meinen Bauschutt zu entsorgen.“

Der Auto-Mechaniker im Richter

Der Direktor des Horber Amtsgerichts beweist Sachverstand über das Gesetzbuch hinaus. In einem Streitfall um ein defektes Auto ging es um mögliche Reparaturkosten und um einen Preisnachlass. Es galt, die Ursache eines Ölverlusts zu ergründen, die der Autokäufer nicht kannte. Weil es sich um einen Diesel handelte, fragte Binz: „Raucht das Auto?“ Der Kläger bejahte und der Richter erkannte auf einen Zylinderkopf-Schaden. „Für den Opel Astra wird der Zylinderkopf 500 bis 600 Mark kosten und die Reparatur noch einmal so viel“, schätzte er. Natürlich solle der Kläger das besser nicht in einer Werkstatt machen lassen, riet der Richter und begründete das mit Witz.: „Wenn ich mit meinem Mercedes in eine Daimler-Werkstatt gehe, wird mir zuerst der Stern weggenommen.“

Als Kranker in die letzte Instanz?

Spaß versteht Karl-Josef Binz so lange, wie es mit Recht und Gesetz vereinbar ist. Einem Vermieter von Sozialwohnungen gegenüber wird er deutlich: „Da geht mir das Strafrichter-Messer in der Zivilrichter-Tasche auf.“ Der Mann hatte von seiner scheidenden Mieterin einen Nachmieter verlangt, der einen Wohnberechtigungsschein hat, aber keine Sozialhilfe bezieht. Die Mieterin konnte ein Schreiben mit der Forderung vorlegen – der Vermieter hatte sie zuvor bestritten. Für Binz ist dieses Verhalten nahe am Prozessbetrug, ein Fall für den „rechten Flügel in der Königsstraße“. Dort ist in Stuttgart die Staatsanwaltschaft untergebracht. Binz: „Das ist das, was ein Zivil-Richter als größten Hammer herausholt.“

In der vorletzten Verhandlung des Tages erscheint eine zweite Versicherung als Beklagte. Sie will einem Bauhofarbeiter mit kaputtem Knie das Krankentagegeld nicht bezahlen. Ein Sachverständiger spitzt die Argumentation der Versicherung zu: „Dann wäre ich ja als Arzt nicht arbeitsunfähig, wenn ich im Krankenbett noch Patientenbriefe lesen kann.“ Zu einem Vergleich ist die Versicherung nicht bereit. Frei nach dem Motto: Wir ziehen unsere Erkrankten bis in die letzte Instanz. Karl-Josef Binz wundert sich: Ob der Konzern diesen Versicherungsbereich loswerden will? Übrig bliebe beispielsweise die Rechtsschutz-Sparte, die dem kniekranken Kläger den Zivil-Prozess zahlt. Karl-Josef Binz: „Diese Versicherung geht mit sich selbst ins Gericht.“

Andreas Ellinger, Südwest Presse Horb, Horber Chronik

Samstag

5

Januar 2002

Publikation:
Südwest Presse

 

Ressort:
Horb