Andreas Ellinger

JOURNALISMUS IN WORT UND BILD

„Lieber Selbstmord als in den Kosovo“

Veröffentlicht in: Ausland, Reportagen

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Baden-Württemberg hat im Winter abgeschoben ‑ selbst Säuglinge kann es treffen

 

Baden-Württemberg schiebt Flüchtlinge in den Kosovo ab, obwohl die Vereinten Nationen um einen Abschiebe-Stopp gebeten haben. Säuglinge seien in diesem Winter nicht dabei gewesen, sagte ein Sprecher des Regierungspräsidiums Karlsruhe. Das sei die Regel ‑ „Ausnahmen sind möglich“.

Der Winter macht den Wiederaufbau fast unmöglich. Die Arbeitslosenquote schätzen die Vereinten Nationen im Kosovo (UNMIK) auf 65 Prozent. Und die Schulen arbeiten in Schichten, weil es zu wenige gibt. „Aus diesen Gründen bittet die UNMIK von der Rücksendung von Kosovo-Albanern bis zum nächsten Frühjahr abzusehen, es sei denn eine Unterkunft ist sichergestellt und angemessene finanzielle Mittel stehen bereit.“ Das Schreiben ist vom 15. Oktober 2001.

Von November bis Januar hat Baden-Württemberg rund 130 Kosovaren zur Ausreise gezwungen. Das Landes-Innenministerium hat sich nicht um ihre Unterkunft und Versorgung gekümmert. Die Pressestelle verweist an das Regierungspräsidium Karlsruhe, das die Abschiebungen abwickelt.

Ein Sprecher des Regierungspräsidiums sagt, die Flüchtlinge würden bei der UNMIK angemeldet. „Die Abschiebung läuft in weitestgehender Abstimmung mit der UNMIK, aber nicht in hundertprozentiger Übereinstimmung.“ Unter den Abgeschobenen seien „vorwiegend Straftäter“ und alleinstehende Männer. Im November und Dezember mussten 100 Personen in den Kosovo zurück, darunter 33 Straftäter. Familien von Schwerkriminellen werden mit abgeschoben. Auch Säuglinge? „Das wäre denkbar“, sagt der Vertreter des Regierungspräsidiums.

Der UNMIK fehlt es an Unterkünften. Die Leute kommen teilweise in Großfamilien unter. Die deutsche Caritas in der kosovarischen Hauptstadt Pristina weiß von Fällen, wo 21 Leute in einem Raum schlafen. Andere leben in Containern wie Sami Kahrimani, der mit Frau und Kind aus dem badischen Gernsbach abgeschoben wurde. Sieben Personen schlafen auf 24 Quadratmetern.

Familie Krasniqi wurde aus dem baden-württembergischen Albstadt in den Kosovo abgeschoben. Sie kam in ein Obdachlosenheim in Pristina. Bild: A. Ellinger

Familie Krasniqi wurde aus dem baden-württembergischen Albstadt in den Kosovo abgeschoben. Sie kam in ein Obdachlosenheim in Pristina.
Bild: A. Ellinger

Familie Krasniqi fand in Pristina, wo früher ihr Haus stand, keine Verwandten und keinen Container vor. Kadri Krasniqi und seine Frau kamen mit ihren vier Kindern im Alter von drei bis acht Jahren aus Albstadt (Zollernalbkreis) in ein Obdachlosen-Heim, ein ehemaliges Internat in Pristina – in einen dunklen Raum, rund 30 Quadratmeter groß. Für die rund zehn „Wohnungen“ des Geschosses ist ein Trog mit drei Wasser-Hähnen die einzige Wasch-Gelegenheit. Was rosten kann, rostet, was faulen kann, fault. Im benachbarten Klo mit drei Kabinen verhält sich das ähnlich.

Hinter dem Haus und in Teilen des Kellers hat sich eine Müllhalde angesammelt ‑ ein Paradies für Ratten. Eine zweite Kellertreppe führt zu den Duschen. Der Boden ist mit stinkendem Schlamm überzogen, die Tür zu den Duschen verschlossen. Wochenlang hätten die Bewohner nicht duschen können, sagen Krasniqis. Nach einem Rohrbruch sei der Raum mit Fäkalien vollgelaufen.

Die Familie soll von rund 50 Euro im Monat leben. Das ist der Sozialhilfe-Satz. 12,50 Euro koste die Zimmermiete, rund ein Euro der Liter Milch, klagt der Vater. Für Medikamente bleibe kein Geld. Die Mutter sagt: „Wären die Kinder nicht ‑ ich wäre lieber tot.“

Familien wie Krasniqis kommen viele zu Christina Kaiser von der Caritas in Pristina. Ihre Lage-Beschreibung deckt sich mit der anderer Helfer: Immer weniger Leute haben Ersparnisse. Hilfsorganisationen ziehen sich mangels Spenden zurück. Die Familien, die Flüchtlinge aufgenommen haben, sind überfordert. Arbeitsplätze fehlen.

In Deutschland hatte Kadri Krasniqi Arbeit, als die Polizei am 16. Oktober 2000 gegen 2 Uhr seine Familie weckte und mitnahm. 20 Minuten seien zum Packen geblieben, sagt der Vater. Die Bezirksstelle für Asyl in Reutlingen hatte die Abschiebung veranlasst. Ihr Leiter Manfred Reuss wollte sich ohne Erlaubnis der Familie nicht zu dem Fall äußern und später ‑ als die Erlaubnis da war ‑ auch nicht.

Eine Sprecherin der Regierungspräsidiums Tübingen, zu der die Bezirksstelle für Asyl gehört, erklärte sich zuständig. „Eine Abschiebung ist nie so angenehm“, sagte sie. Wer die Frist für eine freiwillige Ausreise verstreichen lasse, müsse auf gepackten Koffern sitzen. Der Sachbearbeiter der Bezirksstelle habe keinen Ermessensspielraum.

Im Fall einer Kosovo-Albanerin aus Reutlingen hat ein Sachbearbeiter nach Ermessen entschieden. Die geschiedene Frau und ihre zwei Kinder haben wiederholt eine Duldung bekommen. Laut Landes-Innenministerium hätten sie keine mehr erhalten dürfen, obwohl sie im Kosovo ohne alles wären. Eine Mitarbeiterin der Hilfsorganisation Adra hat für die Albanerin nach einer Unterkunft gesucht. Sie schrieb: „Weder die Familie ihres früheren Ehemannes noch die Familie ihrer Mutter stehen in einer guten Beziehung zu ihr. Ihre Mutter lebt in einem Stall, da ihr Haus verbrannt ist. Und ihr früherer Schwager ist nicht bereit, sie wieder aufzunehmen.“

Die Schweizerische Flüchtlingshilfe kennt das Phänomen, das im „traditionellen albanischen Gewohnheitsrecht“ begründet ist. Eine alleinstehende Frau könne im Kosovo nicht damit rechnen, Unterkunft und ausreichend Verpflegung zu bekommen. „Sie kann ebenso wenig damit rechnen, einen Arbeitsplatz zu finden oder durch einen Sozialhilfebeitrag unterstützt zu werden.“

Die Reutlingerin fürchtet im Falle einer Rückkehr, dass die Familie ihres Ex-Mannes ihr die Kinder wegnimmt. Die 30-Jährige hat das bei Verwandten einmal erlebt. Die Kinder gehören nach albanischer Sitte zur Familie des Vaters. „Ich würde lieber Selbstmord begehen, als in den Kosovo zurück“, sagt die Mutter.

Nach einem Gesetzentwurf von Bundesinnenminister Otto Schily sollen „frauenspezifische Fluchtgründe“ als Asylgrund anerkannt werden. Ob das der Reutlingerin helfen würde, vermag ein Sprecher des Bundesinnenministeriums nicht zu sagen. Ende März läuft ihre Duldung aus ‑ wieder einmal. Ginge es nach der UNMIK dürfte sie in Deutschland bleiben: „Was die besonders verwundbaren Gruppen wie allein erziehende Mütter mit Kindern betrifft, sollte die Rückkehr so lange verschoben werden, bis eine angemessene Unterstützung sichergestellt ist.“

Andreas Ellinger

Eine Kurzfassung dieser Reportage wurde am 6. März 2002 im Politik-Ressort der Südwest Presse veröffentlicht.

 

Siehe auch:

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Mittwoch

6

März 2002

Publikation:
Südwest Presse

 

Ressort:
Politik