Andreas Ellinger

JOURNALISMUS IN WORT UND BILD

„Bei den Harley-Treffen sind alle gleich“

Veröffentlicht in: Berichte, Gesellschaft

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Die Fischinger „Wings“ fliegen auf die amerikanische Kult-Marke / 25 Jahre Motorrad-Club

 

Für den Fischinger Motorrad-Club hat die 25. Biker-Saison begonnen. Die „Wings“, wie sich die Jungs seit 1977 nennen, sind längst „flügge“ geworden. Ihr Durchschnittsalter ist 40 Jahre. Die meisten fahren umgebaute Harley Davidsons, so genannte Custom-Bikes.

Fischingen. Von den „Japanern“, die sie einst geritten haben, ist nur das Club-Abzeichen geblieben. Es zeigt eine 750er Honda – das Kult-Motorrad Ende der 70erJahre – mit ihren vier Auspuffrohren von hinten. Das ist die „Nummerntafel“ des Motorrad-Clubs und prangt auf dem Rücken der 18 Mitglieder. Auf den Oberarmen sind die namensgebenden Flügel eintätowiert.

Früher war das Club-Emblem von Hand gemalt und gestickt. „Da hast Du Dir immer eine Frau suchen müssen, die Dir das macht“, erzählt Club-Chef Adolf Gekle junior. Heute wird es maschinell gefertigt. Die Zeiten haben sich geändert: „Joghurtbecher“ oder „Leucoplast-Bomber“, wie die Wings Rennmotorräder nennen, fährt fast keiner mehr von ihnen. Die meisten sind auf Harleys umgestiegen (siehe Extra-Bericht).

„Jeder für uns normale Motorradfahrer wird irgendwann zum Harley-Fahrer“, sagt „Manne“, einer der Veteranen aus der Fischinger Motorrad-Szene. „Das ist Evolution.“ Er hat 1979 bei einem Biker-Treffen erstmals eine Harley gehört – das unverkennbare urgewaltige Knattern. Und fortan war klar, für was er spart.

Show-Bikes, die 30 000 Euro und mehr kosten, sind nicht die Sache der Wings. Die „Fischinger“, von denen heute noch drei in Fischingen wohnen, fahren mit der Harley ins G’schäft. Andere Liebhaber – wie manche Ärzte und Rechtsanwälte – betrachten die Motorräder als Prestige-Objekte und transportieren sie auf Anhängern zu Biker-Treffen. „Wir wollen Harley fahren und die wollen Harley zeigen“, erklärt „Harley-Heinz“ Hess.

Ein großes Treffen besuchen die Wings in jedem Jahr. In der Regel ist das die Party des Berliner Motorrad-Clubs „Born to be wild“. Ansonsten knattern sie zu befreundeten, kleineren Clubs. „Von der 125er bis zur größten Harley darf jeder mitfahren – auch Nicht-Mitglieder“, sagt Adolf Gekle. Bedingung ist, dass sich die Fahrer der Gruppendisziplin unterordnen. Die verlangt: Reihenfolge einhalten und nicht überholen. Mit 80 Kilometer pro Stunde fahren sie auf der Landstraße, mit maximal 130 auf der Autobahn. Auf diese Weise sind die Wings bei Ausfahrten von „schwereren Unfällen“ verschont geblieben – 25 Jahre lang.

Gegründet haben sich die Wings, als sie 1977 ihr erstes großes Biker-Treffen organisiert haben und sie rund 7000 Euro vorfinanzieren mussten. Der Club wuchs in den ersten Jahren auf 45 Mitglieder an. Das Einzugsgebiet reichte von Empfingen bis Fluorn-Winzeln. Die meisten kamen aus Fischingen. Aktuell kommen die Mitglieder aus einem Raum, der sich von Reutlingen bis zum Bodensee und nach Bayern hinein erstreckt. Von einer Fusion mit anderen Motorrad-Clubs, wie es in der Szene an der Tagesordnung ist, wollen die Wings nichts wissen. „Wir sind alt und haben einen guten Ruf in der Szene“, erzählt Manne.

„Mitglied kann jeder werden“, sagt er – jeder Mann, der mindestens 21 Jahre alt ist. Wer mit 18 den Motorrad-Führerschein mache, wolle meist zwei bis drei Jahre lang Gas geben, sagt Manni – und das wollen die Wings nicht. „Wir wollen keine Leute, die einen Rocker-Film gesehen haben und dann auch Rocker sein wollen.“ Wer aufgenommen werden will, muss sich eineinhalb bis zwei Jahre lang diszipliniert und mit hundertprozentigen Einsatz am Biker-Leben beteiligen. Mit weniger engagierten Leuten würden die Wings ihr jährliches Fest nicht gestemmt bringen, zu dem in der Regel um die 400 Gäste kommen.

1981 haben sie ihr letztes großes Treffen mit rund 2000 Leuten gehabt. Nach Schlägereien hat der Motorrad-Club beschlossen, nur noch kleinere Partys zu feiern, zu denen ausschließlich geladene Gäste kommen dürfen. Alkohol verkaufen die Biker teurer als andere Getränke. „Wir wollen ein gemütliches Fest und kein Stress-Fest“, sagt Heinz Hess. Die Szene wird älter. „Wir machen das für die ältere Generation.“

Was den Wings fehlt, ist ein Club-Heim. Anfangs hatten sie eines in Fischingen, später eines auf Kastell und eines in Sulz. Das auf Kastell ist nach einem Kurzschluss abgebrannt. „Wir suchen wieder“, sagt Manne – der Verkehrsanbindung über Autobahn und B14 wegen vorzugsweise im Sulzer Raum. Um mit dem Knattern ihrer Harleys niemanden zu belästigen, bräuchten sie ein außerhalb gelegenes Grundstück. Als Väter möchten sie schließlich niemandem die Kinder nachts wecken. Familien-Ausflüge wie eine Vatertags-Wanderung gehörten längst zum Programm des Motorrad-Clubs. Gekle: „Es sind fast doppelt so viele Kinder wie Mitglieder.“ Wie oft die Wings mit ihren Harleys unterwegs sind? „Wenn’s für die Frauen dumm läuft jedes Wochenende“, sagt Adolf Gekle. In der Hochsaison, im Juni und Juli, kann das vorkommen. Dafür hüten die Biker an manchen Freitagen die Kinder, so dass die Frauen etwas miteinander unternehmen können. Und auf weiteren Touren wie nach Italien fahren die Familien mit – im Zweifelsfall im Begleitbus.

Zweimal waren die Wings bei der Bike-Week im amerikanischen Daytona. Nächstes Jahr möchten sie in den USA „100 Jahre Harley Davidson“ feiern. Die Marke verbindet Menschen, die aus unterschiedlichen sozialen Schichten und Ländern kommen – Leute, wie sie unterschiedlicher kaum sein könnten. Auf den Biker-Partys begegnen sich beispielsweise amerikanische Soldaten und deutsche Kriegsdienstverweigerer. Manne sagt: „Bei den Treffen sind alle gleich.“

 

 

Der Mythos Harley

Knatternde „Langhuber“ mit Vibrationen

 

Die Vibrationen des Zweitakters machen die Harley Davidson zu dem einzigartigen Motorrad, das sich von japanischen Nachbauten abhebt. Das lieben die Fischinger „Wings“ an den Kult-Maschinen.

Fischingen. Die Harley ist ein „Langhuber“. Bei 3000 Umdrehungen in der Minute bringt sie 50 Prozent ihrer Leistung. Eine Rennmaschine erreicht diesen Wert fast im Standgas. Eine Harley bietet vom Motor her nicht den Fahrkomfort wie die „Japaner“. „Du hörst jeden Kolben schaffen“, sagt „Manne“. „Das ist wie ein Virus. Wenn Du infiziert bist, kommst du nicht mehr weg.“

Eine Harley war in der Gründerzeit des Fischinger Motorrad-Clubs „Wings“ wie heute eine Geldfrage. Die Bikes der Wings sind zwischen 12 000 und 25 000 Euro wert. Die meisten haben sie sich gebraucht gekauft, damit ihnen Geld für Umbauten bleibt. Stärkere Bremsen, eine bessere Elektronik und langlebigere Motorenteile machen eine Harley zum unverwüstlichen Custom-Bike. Manche fahren 200 000 Kilometer und haben außer den Dichtungen nichts ausgetauscht, sagt „Harley-Heinz“ Hess.

Der ehemalige Holzhauser ist der „Schrauber“ im Club und betreibt in Fluorn „nebenher“ einen Handel mit Werkstatt. „Es gibt für kein Motorrad mehr Zubehör als für die Harley“, sagt Hess. Die Gabeln variieren beispielsweise in Länge und Breite. Lenker lassen sich nach Optik und Körpergröße wählen. „Man kann das Motorrad auf die Person zuschneiden“, sagt er. „Das Einzige, was einen in Deutschland bremst, ist der TÜV.“

Früher mussten die Biker in die Harley-Hochburgen um amerikanische Army-Standorte herum fahren, um möglichst viel zugelassen zu bekommen. „Es gab nur wenige TÜV-Ingenieure, die darauf spezialisiert sind“, erinnert sich Hess. Das habe sich geändert – wie die Richtlinien für die Zulassung. Deutschland hat sie anderen Ländern der Europäischen Union angepasst, das heißt gelockert.

Überhaupt ist der Standort für Harley-Fans besser geworden. Die Motorrad-Schmiede will den deutschen Markt erobern und liefert preisgünstiger. Frachtkosten, Zoll und TÜV-bedingte Umbauten haben die deutsche Harley früher fast doppelt so teuer gemacht wie die amerikanische. Für rund 15 000 Euro gibt es heute das Einsteigermodell – mal abgesehen von der „Sportster“. Die ist 70 Kilogramm leichter als die urtypischen 300KiloBoliden, weshalb sie mancher Liebhaber kritisch beäugt. Die „Sportie“ kostet 10 000 Euro.

„Harley-Fahren muss erschwinglich bleiben“, lautet Heinz Hess’ Devise, die er seit 1986 pflegt. Was er günstig auftreiben kann, gibt er günstig an seine Kunden weiter. „Das ist bei mir ein groß gewordenes Hobby“, sagt er, der längst ganze Custom-Bikes „aufbaut“. Wer seine Maschine bei Heinz richten lässt, erfährt von ihm, was er wie selbst machen kann. Das kann im Notfall einen Abschleppdienst ersparen.

„Die Harley ist der Mercedes unter den Motorrädern“, sagt Heinz Hess. Im Vergleich zu anderen Marken ist sie teuer in der Anschaffung. Dafür seien die Ersatzteile preiswerter, erklärt er. Während japanische Firmen ständig „Modellpflege“ betreiben und neue Teile einführen, fahren die Amerikaner zum Beispiel 15 bis 20 Jahre lang mit den gleichen Dichtungen. Harley Davidson kann sie in großen Stückzahlen herstellen. Das drückt den Preis.

 

Andreas Ellinger, Südwest Presse Horb, Sulzer Chronik

Samstag

8

Juni 2002

Publikation:
Südwest Presse

 

Ressort:
Sulz