Arm und chancenlos?
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Über die Bildungs-Chancen von Kindern aus einkommensschwachen Familien diskutieren Politiker seit Jahren. Wie ernsthaft diese Debatte geführt wird, offenbart die fehlende Datenbasis. Bei keiner staatlichen Stelle scheint es Informationen zu geben, wie viele Schülerinnen und Schüler, die von HartzIV leben, auf Hauptschulen, Realschulen und Gymnasien gehen (siehe auch den Artikel „2,60 Euro sollen fürs tägliche Brot reichen“).
Die SÜDWEST PRESSE hat nachgefragt: in einer Schule, beim Schulamt, beim Statistischen Landesamt, beim Statistischen Bundesamt und beim Bundesministerium für Wirtschaft und Soziales. Antwort: „Wir haben solche Zahlen nicht.“ Beim Bundes-Bildungsministerium war telefonisch über eine Woche hinweg und per Mail über Tage hinweg keine Auskunft zu bekommen.
Angesichts der umfangreichen Statistik, die zu Beginn jedes Schuljahres über die Schülerschaft gefertigt wird, verwundert es, dass sozialpolitisch relevante Daten offenbar nicht erhoben werden. Um es gleich vorweg zu sagen: „Nur“ die HartzIV-Abhängigkeit zu erfassen, wäre ohnehin eine Notlösung, weil auch jene Schüler registriert werden müssten, deren Eltern zu den Geringverdienen gehören und ebenfalls von Armut bedroht sind. In einer Zeit, in der Computer-Festplatten via Internet gescannt werden können und Telefonanrufe gespeichert werden, sollte eine solche Sozial-Statistik mit Hilfe der Finanzämter problemlos zu erarbeiten sein… Es stellt sich die Frage, ob das Ergebnis dieser Erhebung von den verantwortlichen Politikern gefürchtet und deshalb nicht angefertigt wird? Analysen wie die PISA-Studie, für die schulische Leistungen untersucht worden sind, haben auch ohne entsprechende staatliche Statistik aufgezeigt, dass es die Gleichheit der Bildungs-Chancen nur angeblich gibt. Die Horber Caritas hat deshalb gehandelt und für den gesamten Landkreis Freudenstadt einen Sozialfonds namens „Drachen-Ei“ ins Leben gerufen, mit dem die Talente von Kindern und Jugendlichen gefördert werden sollen. Ihnen sollen mit Geld aus dem Fonds beispielsweise eine Sportvereins-Mitgliedschaft, der Instrumental-Unterricht oder Schwimmbad-Besuche finanziert werden.
Angesichts von rund 1000 Kindern und Jugendlichen, die allein im Landkreis Freudenstadt von HartzIV betroffen sind, dürfte die Zahl der Zuschuss-Berechtigten wohl mindestens doppelt so hoch liegen – der Geringverdiener wegen. Wenn 2000 Kinder und Jugendliche jeweils „nur“ 25 Euro im Jahr bekämen, wären das 50000 Euro. Der Fonds würde angesichts seiner bisherigen finanziellen Ausstattung von rund 38000 Euro nicht nur von seiner Substanz leben – er wäre nach einigen Monaten leer.
Aus diesem Grund erinnern Caritas und SÜDWEST PRESSE an die Spenden-Aktion, die in der Weihnachts-Zeit begonnen hat. Privatleute, Firmen und Institutionen sind aufgerufen, das „Drachen-Ei“ zu füllen, damit die Begabungen von Kindern und Jugendlichen erschlossen werden können. Davon profitieren nicht nur die jungen Bürger, sondern die gesamte Gesellschaft, die in ein paar Jahren auf das Leistungsvermögen der jungen Generation angewiesen sein wird. Was auf den ersten Blick nach sozialer Wohltat aussieht, ist in Wirklichkeit also eine volkswirtschaftliche Notwendigkeit.
Info: Spenden können unter dem Stichwort „Drachen-Ei“ auf folgendes Konto der Horber Caritas überwiesen werden: Konto-Nummer 115933, Kreissparkasse Horb, BLZ 64251060.
Andreas Ellinger, Südwest Presse Horb, Horber Chronik
Siehe auch:
„2,60 Euro sollen fürs tägliche Brot reichen“