Andreas Ellinger

JOURNALISMUS IN WORT UND BILD

2,60 Euro sollen fürs tägliche Brot reichen

Veröffentlicht in: Berichte, Soziales

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Im Landkreis Freudenstadt leben mehr Menschen von HartzIV als der Horber Stadtteil Talheim Einwohner hat

 

Rund 1000 Kinder und Jugendliche bis 18 Jahre leben im Kreis Freudenstadt von Sozialleistungen nach dem Sozialgesetzbuch II, dem so genannten HartzIV. Für einen 13-Jährigen heißt das beispielsweise, dass er 2,60 Euro täglich für Nahrung und Getränke zur Verfügung hat. Von der Kindergeld-Erhöhung um 10 Euro profitieren HartzIV-Empfänger nicht.

Horb. Es gibt mehr Hartz IV-Empfänger im Landkreis Freudenstadt als Talheim (das größte Horber Dorf) Einwohner hat: Im Dezember 2008 lebten 3105 Menschen von diesen Sozialleistungen, 848 von ihnen waren jünger als 15 Jahre. Die meisten von ihnen (Kinder bis 13 Jahre) erhalten 211 Euro pro Monat – abzüglich des Kindergeldes. Die Kindergeld-Erhöhung wird folglich mit abgezogen.

211 Euro sind 60 % dessen, was ein Erwachsener bekommt – obwohl Kinder häufiger neue Schuhe und Kleider brauchen. Im Rahmen eines angekündigten Konjunktur-Pakets des Bundes sollen Sechs- bis 13-Jährige ab dem 1. Juli 70 statt 60 % des HartzIV-Satzes für Erwachsene erhalten.

Die Bundestags-Mehrheit war bisher der Meinung, dass 211 Euro im Monat ausreichen: für Ernährung, für Bekleidung und Schuhe, für Strom, für Möbel und Haushaltsgeräte, für die Gesundheitspflege, für den öffentlichen Personen-Nahverkehr, fürs Telefon, für die Freizeit-Gestaltung sowie für Körperpflege- und Hygiene-Produkte.

Soll mal ein Kinder-Fahrrad gekauft werden, stellt sich die Frage: Von was? Wenn ein Bub in den Ferien ein dreitägiges Fußball-Camp besuchen will, kostet das vier Monats-Sätze für „Freizeit und Kultur“ (je 23,21 Euro). Für die normale Sportvereins-Mitgliedschaft reicht das Geld folglich nicht mehr.

HartzIV-Menü: Kebap und Leitungswasser

Für Kinder bis 14 Jahre sieht der HartzIV-Satz 2,60 Euro pro Tag für Nahrung, Getränke und – mancher wird sich wundern – Tabak vor. Zum Vergleich: Zwischen 2,90 und 3,85 Euro kostet ein Mittagessen in den Horber Schulen. Dass die Stadt bedürftigen Kindern nun einen Zuschuss von 2 Euro pro Schulessen bezahlen will, lindert die Not etwas. So bleiben für Frühstück und Abendessen zusammen 0,75 bis 1,70 Euro übrig…

Wenn ein Jugendlicher 14 Jahre alt geworden ist, verbessert sich die Lage: Dann hat er täglich 3,46 Euro für Nahrung und Getränke. Das reicht schon fast für einen Kebap, der freilich auf Frühstück, Mittagessen und Vesper verteilt werden müsste – als Getränk gibt die HartzIV-Menükarte dann nur noch Leitungswasser her. Ob von diesem Geld eine gesunde Ernährung möglich ist, wie sie in schulischen Projekten gepredigt wird, kann sich jeder ausrechnen…

Obwohl sogar das Geld fürs „tägliche Brot“ knapp ist, haben Kinder, die von HartzIV leben, hervorragende oder zumindest ausreichende Chancen auf Bildung und ein beruflich erfolgreiches Leben. Wer‘s nicht glaubt, kann seinen örtlichen Bundestagsabgeordneten fragen – oder Landes-Justizminister Ulrich Goll. Professor Dr. Goll hat sich im Sommer einen Ferrari für 100000 Euro gekauft – und damit viel Kritik eingefahren. Von dem FDP-Mann haben die Horber beim städtischen Neujahrs-Empfang erfahren dürfen, dass die Hartz IV-Bezüge einer vierköpfigen Familie ein Beleg für das „höchst beachtliche Sozialleistungs-Niveau“ in Deutschland sind.

Was bekommt eine vierköpfige Familie im Monat, die von Sozialleistungen nach dem SozialgesetzbuchII lebt? Zu Gunsten der Goll-These sei angenommen, dass die Kinder mindestens 14 Jahre alt sind und folglich etwas mehr Geld bekommen. Daraus resultiert diese Rechnung: Die Ehepartner bekommen jeweils 316 Euro und die Kinder 281 Euro. Das ergibt eine Summe von 1194 Euro. Hinzu kommt eine „Leistung für die Kosten der Unterkunft“, die bei einer vierköpfigen Familie im Kreis Freudenstadt aus 4,50 Euro pro Quadratmeter in einer maximal 90 Quadratmeter großen Wohnung besteht – also im höchsten Fall eine Kaltmiete von 405 Euro.

Nebenkosten-Vorauszahlungen werden auch noch gewährt. Dieser Wert ist unter anderem von der Wärme-Dämmung einer Wohnung abhängig. Angenommen seien 200 Euro. Obendrein können per 1-Euro-Job noch runde 200 Euro verdient werden. Das Endergebnis: 1999 Euro.

Wer wie Justizminister Ulrich Goll um die niedrigen Löhne vieler Menschen weiß, warnt vor der Gefahr, dass das Lohn-Abstands-Gebot nicht eingehalten werden könnte – nicht der geringen Löhne, sondern der hohen Sozialleistungen wegen. Welche vierköpfige Familie, die kein HartzIV bezieht, hat schon ein Netto-Einkommen von 1999 Euro im Monat?

Auf diese Summe kommt immerhin ein Durchschnittsverdiener im „Musterländle“. 3310 Euro hat das Statistische Landesamt Baden-Württemberg im Dezember als Durchschnittslohn von vollzeitbeschäftigten Arbeitnehmern im produzierenden Gewerbe und im Dienstleistungsbereich errechnet. Da bleiben bei einem Alleinverdiener – inklusive der 328 Euro Kindergeld – mehr als 1999 Euro netto übrig, also mehr als Hartz IV.

Das Statistische Bundesamt hat in Modellrechnungen für das Jahr 2006 (aktuellere Zahlen gibt es in diesem Bereich nicht) für westdeutsche Arbeiter-Familien mit zwei Kindern, in denen die Frau nicht berufstätig ist, einen durchschnittlichen Netto-Monatsverdienst von 2272 Euro errechnet – bei Angestellten sind es 2884 Euro.

Es liegt in der Logik von Durchschnitts-Einkommen, dass es unterdurchschnittliche Löhne gibt. Das Statistische Bundesamt hat für das Jahr 2006 festgestellt, dass 16,3% der Kinder bis 10 Jahre von Armut betroffen sind – 2001 waren es 15,4 %. Bei den 11- bis 20-Jährigen waren es 18,7 % (2006) und 16,4 % (2001). Die Behörde weist in ihrer Analyse darauf hin: „Zugleich haben sich die Einkommen der Armen immer weiter von der Armuts-Schwelle entfernt und die Intensität der Armut hat sich erhöht.“

Wer dem Landes-Justizminister glaubt, muss davon ausgehen, dass sich an dieser Armutsentwicklung nichts ändern lässt. Ulrich Goll sagte in Horb: „Viel mehr kann man nicht umverteilen. Die Umverteilung findet statt – aber von oben nach unten, nicht umgekehrt.“ Wirklich? Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforderung (DIW) hat in diesen Tagen eine Studie veröffentlicht, nach der die ärmeren 70 % der Bevölkerung in Deutschland nur 9 % des gesamten Vermögens besitzen. Und dem reichsten Prozent gehören offenbar 23 %. Ist das Verteilungsgerechtigkeit?

INFO: Mit HartzIV ins Schullandheim – Darlehen für die Waschmaschine

Schülerinnen und Schüler, die von Sozialleistungen nach dem Sozialgesetzbuch II leben, bekommen Schullandheim-Aufenthalte vom Sozialamt des Landratsamtes Freudenstadt bezahlt. Das wissen wohl nicht alle Betroffenen, denn die Behörde hat in diesem Bereich zuletzt Ausgaben von lediglich rund 10000 Euro im Jahr registriert. Das Landratsamt hat auf Anfrage der SÜDWEST PRESSE mitgeteilt: „Jeder mehrtägige Schullandheim-Aufenthalt wird übernommen in der Höhe, in der die Kosten entstehen. Wir sind der Meinung, dass die Rechtsprechung eine Begrenzung nicht erlaubt und die Kinder von HartzIV-Empfängern vom Schullandheim-Aufenthalt nicht ausgeschlossen werden sollten. Es gibt Landkreise, die das anders sehen und die eine Grenze für die Kostenübernahme eingeführt haben.“ Darüber hinaus gewährt das Sozialamt „Erstausstattungen für die Wohnung einschließlich Haushaltsgeräten“ von Hartz IV-Empfängern sowie Erstausstattungen für Bekleidung und Erstausstattungen bei Schwangerschaft und Geburt. Wenn in einem Hartz IV-Haushalt beispielsweise die Waschmaschine kaputtgeht und das Geld für eine Reparatur oder eine Ersatzbeschaffung fehlt, gewährt die Arbeits-Agentur ein Darlehen, das nach Ende der Arbeitslosigkeit zurückbezahlt werden muss, wie der Nagolder Agentur-Sprecher mitgeteilt hat.

Andreas Ellinger, Südwest Presse Horb, Horber Chronik

 

Siehe auch:

Arm und chancenlos

Mittwoch

28

Januar 2009

Publikation:
Südwest Presse

 

Ressort:
Horb