Andreas Ellinger

JOURNALISMUS IN WORT UND BILD

Der Bürger wird es richten!

Veröffentlicht in: Kommentare, Politik

Print Friendly, PDF & Email

Die Begeisterungsstürme blieben aus, als Staatssekretär Georg Wacker vom Kultusministerium Baden-Württemberg am Mittwochabend das Ehrenamts-Konzept der Landesregierung vor Horber Vereinsvertretern erklärte. Stattdessen kam teilweise Unruhe auf – und es gab einen Zwischenruf: „Und wer macht das?“ Ehrenamtsbeauftragter Wacker hatte gerade erklärt, dass die Landesregierung ein Jugendbegleiter-Programm aufgelegt hat und sich Vereine im Angebot der Ganztagesschule engagieren könnten…

Mal gedanklich konkretisiert: Da schickt ein Sportverein also die Jugendbetreuer, die er schon fürs 18.30-Uhr-Training nicht mehr findet, künftig um 14 Uhr zum Sport in die Ganztagesschule…?!

Ein solches Vereins-Engagement würde den Einsatz von Schulfördervereinen ergänzen, die sich um das Mittagessen kümmern. Ob diese Aufgabe nicht der Staat übernehmen müsste, wollte Heinz Högerle vom Stadtbücherei-Förderverein wissen. Der Staatssekretär erklärte ihm, dass die Antwort vom Gesellschaftsbild abhänge. Die Landes-Position: Alles außerhalb des Unterrichts ist in Ganztagesschulen eine kommunale Aufgabe. Die Position der Kommunen: Wenn das Land Ganztagesschulen will, soll es sich auch an den Aufgaben und Kosten beteiligen.

Georg Wacker, der übrigens der Partei des Kinderland-Ministerpräsidenten Günther Oettinger angehört, erwähnte noch einen dritten Aspekt: Bildung und Erziehung seien auch Aufgabe der Eltern. Und wenn der Staat die Familien mit Ganztagesschulen entlaste und dort deren originäre Aufgaben übernehme, dann könne er eine Gegenleistung der Eltern erwarten.

Wiederum gedanklich konkretisiert: Die Eltern, die sich nicht mehr um die Erziehung ihrer eigenen Kinder kümmern können, weil sie existenziell auf zwei Arbeitseinkommen angewiesen sind, sollen sich als Dankeschön in der Ganztagesschule engagieren?! Vorher sollten sie am Besten noch einem Verein beitreten, um als Jugendbetreuer in der Ganztagesschule mitmachen zu können, nachdem ihnen ihr Chef eine flexible Arbeits-Unterbrechung für ehrenamtliches Engagement zugebilligt hat.

Wenn die Stadt Horb dieses Konzept vom Land übernimmt, kann sie sich sicher bald einen Ehrenamtsbeauftragten leisten. Wie? Der Verwaltungsmitarbeiter übernimmt ja originäre Aufgaben der Vereine… – folglich müssen ihn die entlasteten Vereine finanzieren. Schließlich können sie neuerdings bis zu 35000 Euro bei Festen einnehmen, ohne dass das Finanzamt dieses Geld für die Jugendarbeit in Form von Steuern abgreift.

Wäre das alles konzeptionell nicht so unglaublich ausgereift, gäbe es alternativ die Möglichkeit, über eine finanzielle Beteiligung der Wirtschaft nachzudenken – sowohl bezüglich der Ganztagesschulen als auch des Ehrenamtsbeauftragten der Stadt Horb. Denn die Unternehmen (insbesondere die Konzerne und die Großkapitalbesitzer im Hintergrund) sind es, die davon profitieren, dass viele Mitarbeiter-Einkommen so niedrig sind, dass eines nicht mehr ausreicht, um eine Familie zu ernähren. In der Folge müssen beide Eltern arbeiten und das können sie dank Ganztagesschulen. Außerdem profitieren die Unternehmen von den Vereinen, weil ihre Mitarbeiter sich dort soziale Schlüsselqualifikationen aneignen, die mittels „Quali-Pass“ verbrieft werden und bei der Bewerbung eingereicht werden können. Endlich ist Freizeit keine vergeudete Arbeitszeit mehr: Der moderne Mitarbeiter geht Ehrenämtern nach, um sich für seinen Beruf zu qualifizieren.

Nachdem Arbeitnehmer Jahre lang Lohnverzicht zu Gunsten steigender Konzern- und Aktionärs-Gewinne geübt haben sowie neuerdings im Krisenfall für Verluste von Banken und Unternehmen aufkommen, können die Bürger natürlich auch die Ganztagesschulen stemmen. Und es wäre doch gelacht, wenn am Schluss nicht genug Kapazität bliebe, um in Horb einen Ehrenamtsbeauftragten zu finanzieren…

Andreas Ellinger

Freitag

4

September 2009

Publikation:
Südwest Presse

 

Ressort:
Horb