Andreas Ellinger

JOURNALISMUS IN WORT UND BILD

Aus Nächstenliebe einen saftigen Braten

Veröffentlicht in: Berichte, Gesellschaft

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„Speisung der 2000“: Wie sich in Horb am Neckar binnen fünf Tagen eine Bürgerinitiative gegen Armut formierte

 

Armut hat viele Gesichter: 2000 Weihnachtsessen gab es an Heiligabend auf dem Horber Marktplatz – geschenkt für Bedürftige. Ein Landwirt hatte die Hilfsaktion in nur fünf Tagen auf die Beine gestellt.

Horb. An Heiligabend gegen halb neun in der Früh: Landwirt Rolf Maier aus dem Horber Stadtteil Betra fährt mit einem Lastwagen-Gespann vor dem Rathaus vor. Der Anhänger ist voller Weihnachtsbraten, der Lkw-Koffer mit Obst, Gemüse und 3600 Eiern beladen. Ein Geländewagen zieht drei Tonnen Kartoffeln hinterher und ein örtlicher Bäcker liefert 500 Brötchen und unzählige Brote.

30 Helfer erwarten die Ladung, die – biblisch gesprochen – eine „Speisung der 2000“ zu Weihnachten ermöglichen soll. Rolf Maier hat diese Lawine der Hilfsbereitschaft losgetreten. Am Samstag zuvor hatte er in der Lokalpresse ankündigen lassen, dass er an Heiligabend Braten an Menschen in Not verteilen werde – an Hartz IV-Empfänger und Geringverdiener. Der ehemalige CDU-Stadtrat, dem stets das C seiner Partei wichtig war, will wachrütteln – „die Politik“ aber auch Mitbürger: „Jeder kann etwas tun.“

1000 Portionen Braten spendete Rolf Maier, verteilt werden sollten die Lebensmittel auf dem „Unteren Markt“. Eine SPD-Stadträtin unterstützte ihn mit 450 Kilogramm Kartoffeln. Dem Landwirt schien das Angebot aber immer noch etwas dürftig zu sein. „Fünf Päckchen Nudeln sind fünf Mal Freude“, appellierte er an die Bevölkerung. Die Rechnung ging auf – bis Heiligabend wurden es 600 Nudel-Päckchen. Schon über das Wochenende gingen Spenden-Zusagen in Höhe von fast 2000 Euro bei ihm ein – in den Folgetagen erhöhte sich die Summe auf 3180 Euro. Hinzu kamen unzählige Lebensmittel-Spenden. Kurzentschlossen dehnte Rolf Maier die Aktion auf die Nachbargemeinden Eutingen und Empfingen aus – der Eutinger Schultes Armin Jöchle konnte einen Busunternehmer für eine kostenlose Sonderfahrt gewinnen.

Dem Horber Oberbürgermeister Peter Rosenberger erschien der „Untere Markt“ zu klein für solch eine Großveranstaltung. Er verlegte das Ganze auf den Marktplatz vor das Rathaus. Obendrein spendierte die Stadt 200 Kinder-Freikarten fürs örtliche Hallenbad. Rolf Maier musste neu kalkulieren: Wie viele Menschen in Not würden jetzt kommen? Trotz einer rekordverdächtig niedrigen November-Arbeitslosigkeit von 4,7 Prozent im Raum Horb registrierte das Sozialamt im Gesamtkreis Freudenstadt 3442 Hartz-IV-Empfänger. Das sind mehr als die Horber Altstadt Einwohner hat.

Die Zahl der Geringverdiener ließ sich schwieriger ermitteln. Fest stand nur, dass es viele sind. Im Oktober war bekannt geworden, dass einer der größten Arbeitgeber vor Ort unter Tarif bezahlt – Stundenlöhne von 9 bis 13 Euro, und das bei rund 450 Beschäftigten. Ein Vater, der von 1500 Euro im Monat seine vierköpfige Familie ernähren muss, schafft es selbst mit Kindergeld kaum auf das Hartz-IV-Niveau.

Was Rolf Maier eine Prognose erschwerte: Die Leute, die er erreichen wollte, können sich keine Zeitung leisten. Wie viele würden über Dritte von seiner Initiative erfahren? Dem Geld- folgt nämlich der Kontakt-Mangel. Das schreibt die Caritas in ihrer Armuts-Studie. Armut macht einsam.

Um zu vermeiden, dass jemand leer ausgeht, rechnete der Landwirt mit bis zu 1000 Menschen, die für 2000 Leute Lebensmittel holen. Also fehlten am 22. Dezember noch 200 Familien-Portionen. Diese Lücke schloss der Rotary-Club.

Die Helfer der kurzfristig entstandenen Bürgerinitiative gegen Armut staunten am Morgen des Heiligabends, was Rolf Maier palettenweise – in Tag- und Nacht-Arbeit – zusammengekauft hatte. Trotz nasskalter Witterung wurde es niemandem kühl. Zum Abladen wurde eine Menschenkette gebildet. Nach wenigen Minuten stapelten sich Salatkisten mannshoch unter dem Weihnachtsbaum auf dem Marktplatz. 1000 Lauchstängel, 400 Kilogramm Zwiebeln und 170 Kilo Möhren folgten. Kistenweise Orangen und Mandarinen ergänzten das Sortiment. Und sogar an Champignons für die Bratensoße hatte Maier gedacht.

Pünktlich zum Auftaktum10 Uhr ertönte das erste Weihnachtslied – aus dem Stadtteil Nordstetten war ein Bläser-Ensemble gekommen. Rund 150 Leute zählte der erste Ansturm. Das warenweniger als erwartet, aber immerhin ähnlich viele Menschen wie bei der Eröffnung des offiziellen Horber Weihnachtsmarktes. Punsch und Glühwein reichten an Heiligabend der Sport- Beauftragte der Stadtverwaltung und ein Sparkassendirektor – kostenlos. Saitenwürstle verschenkte die Kolping-Jugend, Pfannkuchen eine freie christliche Gemeinde. Und die Narrenzunft-Führung des Teilortes Ahldorf grillte rote Würste.

Eine spontan gebildete Eltern-Initiative aus dem 30 Kilometer entfernten Alpirsbach hatte Kinderkleidung und Spielzeug herbeigeschafft. Schon vor der Bescherung strahlten beispielsweise zwei Mädchen, die Barbie-Puppen entdeckt hatten.

200 Weihnachtstüten für Kinder galt es ebenfalls zu verteilen. Das übernahmen die drei historisch gewandeten Nachtwächter des Horber Kultur- und Museumsvereins, die zwischendurch mit rustikalen Gesängen aufhorchen ließen. Gegen später trat der Jugendchor einer freikirchlichen Gemeinde auf. Und ein ehemaliger „Postle“ übernahm mit dem Empfinger Kirchen-Mobil den Transport von jenen, die schlecht zu Fuß waren. Für manch‘ ältere Frau waren schon die letzten Meter bis zum Bratenstand beschwerlich.

Die abschließende Fleisch-Inventur ergab, dass rund 300 Familien mit einem Braten versorgt werden konnten: „Das sind 300 gute Gründe für diese Weihnachts-Aktion“, meinte Initiator Maier. „Dass wir nicht alle Bedürftigen erreicht haben, ist nicht enttäuschend, sondern höchst alarmierend. Diese Mitmenschen haben sich schon so aus dem öffentlichen Leben zurückgezogen, dass wir uns um so mehr anstrengen müssen, hier Brücken zu bauen – und zwar für beide Seiten.“ Was in diesem Jahr übrig geblieben ist, wird in der „Horber Tafel“ der Caritas verkauft.

Andreas Ellinger, Südwest Presse Horb, Im Brennpunkt

Montag

28

Dezember 2009

Publikation:
Südwest Presse

 

Ressort:
Im Brennpunkt