Andreas Ellinger

JOURNALISMUS IN WORT UND BILD

Im Ex-Knast die Zeche zahlen

Veröffentlicht in: Berichte, Geschichte

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Luziferturm zu verkaufen: Das mittelalterliche Gefängnis ist heute eine urige Schänke

 

Der Horber „Luziferturm“ Der Horber „Luziferturm“ steht zum Verkauf – für 99 000 Euro, bei der Volksbank. Sein Erdgeschoss und das erste Obergeschoss bestehen aus dem inneren „Ihlinger Tor“. Die drei Turm-Stockwerke sind zu einer rustikalen Schänke ausgebaut.

Horb. „My home is my castle“, sagt Helmut Roob, der Immobilienberater der Volksbank, bei der Objekt-Besichtigung. Das geflügelte Wort taugt in diesem Fall als Beschreibung: Einen Meter dick ist das Mauerwerk des Luziferturms und in zwei Geschosse dringt nur ein bisschen Tageslicht ein – durch verglaste Schießscharten.

Diese höllische Dunkelheit verwundert nicht – sehr wohl aber der kirchliche Fassadenschmuck: An der Westseite des Luziferturms hängt ein mannsgroßes Kruzifix. Der vermeintliche Widerspruch löst sich jedoch auf, wenn einem Museumsvereins-Vorsitzender Joachim Lipp erklärt, wie der Turm zu seinem Namen kam: Wer morgens aus westlicher Richtung, also durchs Ihlinger Tor, in die Stadt komme, sehe über dem Tor-Turm die Venus – den „Morgenstern“. Und „Lucifer“ lautet die lateinische Übersetzung des Morgensterns.

Die Geschichte des Turms ist dennoch mit einem Teufelswerk verbunden, das teilweise mit der kirchlichen Inquisition zu tun hatte – der Hexen-Verfolgung. Im dritten Stockwerk, dem zweiten Turm-Geschoss, war zeitweise das Frauengefängnis. Die angeblichen Hexen sollen in Kellergewölben des Rathauses gefoltert worden sein, im Luziferturm mussten sie auf ihre Hinrichtung warten – in einer „Ruebkammer“ aus Holzbohlen-Wänden. Das Wort „rueb“ geht aufs Mittelhochdeutsche zurück: „ruo(we)en“ stand für „ruhen“. Demnach wurden in der Ruebkammer Gefangene ruhiggestellt. Dieses Schicksal muss anno 1623 auch dem Musiker Jacobus Schäfer widerfahren sein, wie der Heimathistoriker Norbert Geßler herausgefunden hat. Neben seinem Namen und dem Jahr seines Aufenthalts hat Schäfer – detailgetreu – Musikinstrumente ins Holz geritzt.

Die Bohlenwände fielen vor einigen Jahren dem Umbau des Turms zu einer Gaststätte zum Opfer. Massivholz blieb aber das bestimmende Element im Innenausbau. Im „Erdgeschoss“ des Turms, direkt über dem Torbogen, steht eine beinahe rechteckige Theke um die Küchen-Nische herum, die nach oben hin mit knorrigen Brettern abschließt, die sich auch als Eisenbahnschwellen geeignet hätten. Gedrechselte Hölzer zieren das Mobiliar. Gusseiserne Werke – beispielsweise in Form einer Laterne vor der Toiletten-Tür – tragen ein Übriges zum rustikalen Charakter der Turm-Schänke bei.

Seltenheitswert hat zudem der Aufzug, mit dem der Wirt Getränke in die oberen Stockwerte befördern kann. Es handelt sich um eine von Hand betriebene Konstruktion mit Hanfseilen. Die Kurzanleitung ist auf einer Metalltafel zu lesen: „Erst Handseil fassen. Dann Bremse treten.“ Rein rechnerisch können auf diese Weise bis zu 20 Maas gehoben werden… – denn die Tragkraft liegt bei 20 Kilogramm.

Aufgrund der minimalistischen Mauer-Spalten, die Tageslicht hereinlassen, eignen sich die drei Geschosse nicht als Wohnung, erklärt Helmut Roob – als Schänke dürften die Turmzimmer aber eine einmalige Atmosphäre in Horb bieten. Im dritten Stock und im Dachgeschoss sind Gasträume. Die Sitzgruppen mit runden Holztischen – durch deren Mitte sich Balken bohren, an denen eiserne Laternen hängen – wirken wie urige Stammtische. Und vom Dachgeschoss des mehr als 20 Meter hohen Turms aus bietet sich – dank zweier Gauben – eine Aussicht auf die Sommerhalde im Osten und den jüdischen Betsaal im Westen.

Abgesehen von einem traditionsbewussten Kneiper könnten hier beispielsweise die Maximilian-Ritter oder andere historisch orientierte Gruppen eine Heimstätte finden. Neben dem beheizbaren Turm gehören ein Kühlraum, ein Lagerraum und ein Büro zum Verkaufsobjekt, das die Volksbank „im Auftrag“ anbietet. Diese Nebenräume sind im Nachbargebäude, durch dessen Treppenhaus die Turm-Schänke erreichbar ist.

Wer allerdings vor dem Eingang steht, erahnt nicht, welch‘ geschichtsträchtiges Ambiente ihn zwei Etagen höher erwartet. Der gläserne Zugang mit seinen weißen Fensterrahmen könnte auch in ein Mehrfamilienhaus aus den 90er-Jahren führen. Eine Holztafel (statt der bisherigen Metall-Vitrine), auf der Speis‘ und Trank angeschrieben werden, könnte diesen Stilbruch etwas korrigieren.

Im spätmittelalterlichen Horb war der Luziferturm übrigens das Tor zum Rotlichtviertel, das sich in der Ihlinger Vorstadt befand.

Andreas Ellinger, Südwest Presse Horb, Horber Chronik

Samstag

3

September 2011

Publikation:
Südwest Presse

 

Ressort:
Horb