Andreas Ellinger

JOURNALISMUS IN WORT UND BILD

Destabilisieren, abservieren

Veröffentlicht in: Demokratie, Kommentare

Print Friendly, PDF & Email

Unterirdisch. Die Volksabstimmung ist verloren. Das Bahn-Projekt „Stuttgart 21“ wird realisiert. Das ist ein Fortschritt! Für alle Beteiligten!

Der S21-Konflikt war im Sommer 2010 zu einem Stellvertreter-Konflikt geworden. Der Protest gegen das Milliarden-Grab wurde zum Protest gegen die Arroganz von Politikern, gegen die Selbstbedienungsmentalität von Wirtschafts-Bossen, gegen die immer größer werdende Kluft zwischen Arm und Reich, gegen die politisch protegierte Raffgier an den Börsen, zeitweise gegen Atomkraft,… Dieser Protest ist gescheitert. Scheinbar.

Wer das politische System für korrupt, den Staat für marode, den globalisierten Kapitalismus für unmenschlich und den sozialen Frieden in der Gesellschaft für gefährdet hält, der sehnt einen Neuanfang herbei. Und dieser Neuanfang wird mit Projekten wie „Stuttgart 21“ schneller kommen als ohne. Denn S21 könnte teurer werden, zu einem Verkehrs-Kollaps auf acht Gleisen führen und im Extremfall zu einer Bauruine werden – zum Beispiel, wenn der Tiefbahnhof am Flughafen aus Brandschutz- Gründen nie genehmigungsfähig wird, und das erst herauskommt, wenn die Landeshauptstadt bereits untergraben ist.

Was früher Seuchen wie die Pest und Kriege verursacht haben, leisten im heutigen Europa letztlich Projekte wie S21, Leerverkäufe an der Börse und eine Politik à la Guido Westerwelle und Co., die zwischen Skrupellosigkeit und Clownerie angesiedelt ist. Sie destabilisieren das System – den Staat, die Wirtschaft, die Gesellschaft. Und zwar nachhaltig. Bis es in diesem schicksalhaften Monopoly-Spiel heißt: „Gehen Sie zurück auf Los.“

Wer den ultimativen „Reset“ der Wirklichkeit erzwingen will, der muss strategisch von den etablierten Parteien lernen – insbesondere von CDU, SPD und FDP. Je näher sie der Wand kommen, desto mehr geben sie Gas. Christ-, Sozial- und Freidemokraten sind die wahren Revolutionäre der Gegenwart. Sie führen seit Jahren einen subversiven Kampf gegen alles, was im Nachkriegs-Deutschland erarbeitet worden ist und das Leben lebenswert gemacht hat – einen Kampf gegen auskömmliche Löhne, gegen soziale Sicherheit und gegen die Familie als Keimzelle des Staates.

Seit die Diktatur des Wahnsinns zu einer Milliarden-Version von „Hartz IV“ für Banken geführt hat, scheint der Niedergang unaufhaltsam zu sein. Allmählich wird klar, dass die Gerhard Schröders und Joschka Fischers der Republik mit ihrem „Marsch durch die Institutionen“ nicht gescheitert sind – sie haben ihre Zersetzungs-Strategie nur perfektioniert und das derart genial, dass sie selbst davon profitieren. Chaos ist das Ziel, das zwischen den Zeilen aus jedem Parteiprogramm herauszulesen ist. Und aus einem Chaos kann eine neue, eine bessere Ordnung entstehen.

Wer gegen S21 gekämpft hat, riskierte das Gegenteil von dem, was er wollte: Die Katastrophe drohte sich zu verzögern und damit der Neuanfang. Immerhin die meisten Baden-Württemberger hatten das begriffen, ehe sie vor einer Woche ihre Stimmzettel ausfüllten: Lieber ein Ende mit Schrecken als ein Schrecken ohne Ende. Wer jetzt dranbleiben will, muss die „Occupy Wallstreet“-Strategie neu durchdenken. Wenn Bürger mit ihren Ersparnissen die Börse erobern und kollektiv gegen Staaten spekulieren, können sie das Kapital mit den eigenen Waffen schlagen. Ein finanzieller Flashmob als Facebook- Party. So sieht ein moderner Volksaufstand aus. Auch auf lokaler Ebene besteht Handlungsbedarf. Aufgrund des Bürger-Engagements steht die Stadt Horb noch viel zu gut da. Wie wäre es mit einer Volksinitiative für ein Hochregallager (für Feinstaub) samt Gigaliner-Spedition auf dem Flößerwasen? Destabilisieren, abservieren.

Beim Umgang mit Umwelt und Klima ist jedoch Vorsicht geboten. Was die Lebensgrundlagen betrifft, geht die Reise auf keine Wand, sondern auf einen Abgrund zu. Und im freien Fall ist kein Umsteuern mehr möglich. Deshalb: Erst konstruktiv denken, dann destruktiv handeln.

Andreas Ellinger, Südwest Presse Horb, Horber Chronik

Montag

5

Dezember 2011

Publikation:
Südwest Presse

 

Ressort:
Horb