Andreas Ellinger

JOURNALISMUS IN WORT UND BILD

Neue Pläne geschmiedet

Veröffentlicht in: Berichte, Wirtschaft

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Günther Thumm gibt die Schlosserei ab, sein Ladengeschäft führt er weiter

 

Vom Treppengeländer bis zum „Aufleger“ beim Parkhaus-Bau hat er alles geschweißt – jetzt zieht sich der ehemalige Innungs-Obermeister Günther Thumm aus dem Schlossergeschäft zurück. Der Betrieb wird fortbestehen. Und sein Fachgeschäft für Sicherheitstechnik führt er weiterhin selbst.

Horb. „Das Feuer ist aus“, sagt Günther Thumm und meint damit nicht nur das Schmiedefeuer in seiner Werkstatt. Von dem, was das Schlosserhandwerk heute prägt, hat der 62-Jährige genug: von billigen statt kunstvollen Auftragsarbeiten und von einer politisch vorgegebenen Ausschreibungs- und Vergabepraxis, die mit einem vielseitigen Papierstapel voller Paragrafen verbunden ist. Deren Einhaltung muss ein Handwerker mit seiner Gebotsabgabe garantieren. „Ich darf da eigentlich keine Unterschrift druntersetzen“, sagt Günther Thumm. Denn wenn mal etwas schieflaufe, werde sich immer ein Sachverständiger finden, der mit ein paar Wochen Zeit einen Verstoß gegen irgendeinen dieser Paragrafen feststelle. „Der kleinste Fehler wird sofort bestraft. Politiker und Banker machen hingegen Fehler wie die Sau… – da wird keiner zur Rechenschaft gezogen. Da will ich nicht mehr mitmachen.“

Die Entscheidung, sich zum Jahreswechsel aus dem Schlossergeschäft zurückzuziehen, ist ihm schwergefallen. Sein Großvater Friedrich Thumm hatte anno 1911 nicht nur eine Schmiede, sondern auch eine Horber Handwerker-Dynastie begründet. Von den neun Kindern erlernten sechs Söhne einen Metallberuf. Sie führten später die Schmiede, eine mechanische Werkstatt, eine Flaschnerei… – und Günther Thumms Vater Karl machte sich in der Nachkriegszeit als Schlosser selbstständig. Urkundlich entstand ein neuer Betrieb – letztlich ist das Familienunternehmen aber 100 Jahre alt.

Günther Thumm liebt dieses Handwerk. „Man macht etwas, bis es fertig ist – man hat Erfolgserlebnisse. Ich kann durch die Stadt laufen und sagen: ,Das hab‘ ich gemacht.‘“ Wirtshausschilder zum Beispiel: für den Goldenen Adler, die Blume, den Greifen, die Germania und das Café Kipp. Sie forderten den Handwerker als Künstler. Und das wurde immer seltener, wie Günther Thumm bedauert. Wenn es um Treppengeländer, Tore oder um ein Fenstergitter gehe, stehe meist der Preis im Vordergrund: „Was koscht’s, was koscht’s, was koscht’s?“ Den Schlossermeister hat diese Kostenfixierung die Freude an seinem Beruf gekostet.

Er musste sich danach richten. „Schaffen, um Geld zu verdienen“, nennt er das. Jetzt hofft er, neben seinem Sicherheitstechnik-Geschäft her, wieder mehr kreativ arbeiten zu können: als Schlosser, aber auch als Schmied. Das Schmieden bezeichnet er als sein Hobby, faktisch ist es seine Leidenschaft. In seiner Werkstatt in der Neckarstraße hängt eine eiserne Rose an der Wand. Aus einem Stiel heraus „wachsen“ drei filigran gearbeitete Blüten – aus einem Stück geschmiedet. Wie lange das dauert? „Da schafft man zu zweit einen Tag dran.“ Warum sich ein Handwerker diese Mühe macht, ohne einen entsprechenden Auftrag zu haben? Diese Frage hat sich Günther Thumm wohl nie gestellt… „Ha, weil’s juckt“, antwortet er.

Was das althergebrachte Handwerk vermag, wirkt teilweise wie modernes abstraktes Design. Zum Beispiel das eiserne Strichmännle, das um einen Winkel gebogen ist. „Das ist ein Nasenweiser – der guckt um die Ecke“, erklärt Günther Thumm, der oft nicht nur mit dem Schmiedhammer in der Hand, sondern auch mit dem Schalk im Nacken arbeitet. Vor ein paar Jahren, kurz vor den Ritterspielen, bei denen er zehn Mal mit seinem Amboss präsent war, hat er einer Horberin sogar einen Keuschheitsgürtel geschmiedet.

In der Industrie zu arbeiten, das wäre für das Horber Original nicht infrage gekommen. Über die dortigen Schlosser sagt er: „Wo die ihre Erfolgserlebnisse herkriegen, das frag‘ ich mich manchmal…“ Günther Thumm hatte ein solches in 48 Meter Höhe, als er vor ein paar Jahren einen lebensgroßen Engel auf dem Nordstetter Kirchturm montierte. Der Vorgänger, ein Orkan-Opfer, steht bis heute in seiner Werkstatt. „Den hat der ,Lothar‘ runtergemacht“, merkt er an – „und ich wieder rauf.“ Und mit Walther Thumm zusammen hat er beim Bau des Parkhauses „Kaiser“ die Aufleger geschweißt, auf denen Etage für Etage gebaut worden ist – von oben nach unten.

Günther Thumm hat 1972 seine Meisterprüfung gemacht, zwei Jahre später übernahm er den väterlichen Betrieb. Als Obermeister der Metallinnung, der er insgesamt 20 Jahre lang war, erlebte er seine zweite Lehrzeit. „Ich habe viel gelernt“, erzählt er – im Handlungsbereich „zwischen Politik, Handwerkerschaft und Gesellschaft“. Bis heute arbeitet er als zweiter Vorsitzender in der Landesfachgruppe für Sicherheitstechnik des Unternehmensverbandes Metall mit. Die Unzufriedenheit über die Politik der vergangenen fünf, sechs Jahre hat letztlich den Ausschlag dafür gegeben, dass Günther Thumm jetzt die Schlosserei abgibt. „Aber ich gehe nicht im Ärger“, sagt er.

Die Nachfolge-Lösung will er erst in Kürze bekannt geben, da sie noch nicht bis ins Detail geklärt ist – in ein bis zwei Monaten soll es in der Neckarstraße weitergehen. In der Wilhelmstraße läuft ohnehin alles wie bisher: Dort betreibt Thumm mit seiner Frau Gaby ein Fachgeschäft für Sicherheitstechnik. Zum Angebot gehören unter anderem Schließanlagen und Sicherheitsschlösser für Türen und Fenster. Wie lange die beiden weitermachen, ist offen. Vom Bau der Hochbrücke werden sie wohl nicht mehr profitieren, vielleicht aber noch von den Kunden, die das geplante Einkaufszentrum auf dem Postareal anziehen soll. Bereits die gegenwärtige Lage beurteilt Günther Thumm als Einzelhändler positiv. Er schwärmt von dem „neuen Gefühl, Horber zu sein“, das durch die Gartenschau entstanden sei. „So wird‘s auch weitergehen“, sagt Günther Thumm, der seiner Heimatstadt seit 45 Jahren auch als Feuerwehrmann verbunden ist. „Die Zukunft bestimmt das Leben – nicht das, was war.“

Andreas Ellinger, Südwest Presse Horb, Horb

Montag

2

Januar 2012

Publikation:
Südwest Presse

 

Ressort:
Horb