Andreas Ellinger

JOURNALISMUS IN WORT UND BILD

Wenn das Schule macht…

Veröffentlicht in: Bildung, Reportagen

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Eine frühere Klassenfirma stellte Schokolade her – heuer haben Neuntklässler der Horber Realschule ein sprichwörtliches Sahnestück zu bieten: Unterstützt von der örtlichen Volksbank haben sie am 26. März die erste Schülergenossenschaft in Baden-Württemberg gegründet.

Horb. Ein Klassenzimmer ist das Großraumbüro der „new Generation“, wie die Schülergenossenschaft der Realschule Horb heißt. Jede Tischgruppe ist eine Abteilung: Verwaltung, Buchführung, Einkauf, Marketing und Vertrieb.

Der Arbeitstag beginnt am Mittwoch um 7.40 Uhr, wenn das Fach „Wirtschaft, Verwalten, Recht (WVR)“ auf dem Stundenplan steht – wobei die Schüler am Vortag Überstunden bis in die Nacht hinein gemacht hatten. „Ich hab sie gestern Abend per Facebook ins Bett geschickt“, erzählt Lehrerin Stefanie Maier: „Um halb Elfe.“

In dem sozialen Netzwerk haben sich die jungen Geschäftsleute ein virtuelles Büro eingerichtet. Sie alle haben kaufmännische Positionen inne und sind parallel dazu als Außendienstmitarbeiter tätig. Ihr Dienstleistungsangebot ist generationenübergreifend angelegt: Computer-und Internet-Kurse für Senioren gehören genauso dazu wie ein Einkaufs-Service für ältere Menschen und die Organisation von Kindergeburtstagen. Neben diesen zwei „Jobs“, also berufsbegleitend, bewältigen sie die „Schulungen“ zur „Mittleren Reife“.

AGs schätzt die Klasse 9b zwar als Arbeitsgemeinschaft in der Schule, der AG als Betriebsform hat sie jedoch eine Genossenschaft vorgezogen. „Das ist mit Abstand das professionellste Projekt, das wir je hatten“, berichtet WVR-Lehrerin und Konrektorin Stefanie Maier, die seit Jahren Schülerfirmen begleitet. Der Schokoladen-Vertrieb vor einigen Jahren habe beispielsweise noch auf Vereins-Basis arbeiten müssen.

Den Jugendlichen auf Friedrich Wilhelm Raiffeisens Spuren hat die Volksbank Horb-Freudenstadt „den Weg frei“ gemacht. Die Genossenschaftsbanker leisteten Starthilfe und jetzt fungieren sie als Unternehmensberater und Aufsichtsräte. Vorstandsmitglied Dieter Walz: „Durch unser Mitwirken wollen wir junge Menschen für die genossenschaftliche Idee und deren Werte begeistern und diese in eine Wertewelt mitnehmen, bei der es primär um das Erreichen des Förderzwecks geht und nicht um die reine Gewinnmaximierung.“

Die „new Generation“ ist die erste von einem guten Dutzend Schülergenossenschaften, die auf Initiative des Baden-Württembergischen Genossenschaftsverbandes in diesem Jahr gegründet werden sollen. BWGV-Präsident Gerhard Roßwog: „Mit dem Projekt wollen wir den jungen Leuten Wirtschaft und Demokratie in einemnahebringen. Sie sollen sehen, dass sich unternehmerisches Handeln und soziale Verantwortung miteinander in Einklang bringen lassen.“

Die Schirmherrschaft hat Kultusministerin Gabriele Warminski-Leitheußer übernommen: „Die Gründung von Schülergenossenschaften ist in vielfacher Hinsicht ein hervorragendes Lernfeld. […] Die Jugendlichen übernehmen Verantwortung für Mitarbeiter, Dienstleistungen und Produkte. Dabei eignen sie sich die Grundprinzipien der sozialen Marktwirtschaft an.“ Die genossenschaftliche Organisationsform, bei der Selbsthilfe und Selbstverwaltung im Mittelpunkt stünden, eigne sich besonders, um wichtige Erfahrungen zu sammeln, sowohl mit unternehmerischen als auch mit gesellschaftlichen und demokratischen Entscheidungsprozessen.

Am 26. März gegründet, bietet die „new Generation“ seit Mai ihre Dienstleistungen an. Dabei tauchte bei einer technischen Hilfe im TV-Bereich das Problem auf, dass die technischen Voraussetzungen beim Kunden nicht ausreichten. Folglich war die darauf basierende Dienstleistung gar nicht möglich, wie sich herausstellte: Der Fernseher lief anschließend also immer noch nicht, aber die Schüler hatten Zeit investiert – und diesen Aufwand wollten sie vergütet haben. Der Kunde zahlte jedoch nicht.

Darum ging es in der nächsten Verwaltungs-Besprechung, zu der Gerhard Munding junior kam, der Existenzgründer-Berater der Volksbank. Er erklärte den Schülern Möglichkeiten, wie sie sich künftig juristisch absichern können: mit Allgemeinen Geschäftsbedingungen, einer schriftlichen Auftragsbestätigung und teilweise mit Anzahlungen, beispielsweise bei Kurs-Anmeldungen. Wie im vorliegenden Einzelfall verfahren werden soll, wollten die Jugendlichen tags darauf mit einer Rechtsanwältin klären, die sich angeboten hatte.

Unterdessen zeigte die Marketing-Abteilung Flagge: Um sich beim Schulfest, beim Genossenschaftstag in Freudenstadt und vor dem Horber „Real“-Markt werbewirksam präsentieren zu können, haben die Schüler eine „Beach Flag“ anfertigen lassen. Denn es sollen noch mehr als die bisherigen 70 Genossenschaftsmitglieder werden. Zehn Euro kostet ein Anteil. Dafür erhalten die Mitglieder auf Computer-Kurse und andere Angebote zehn Prozent Rabatt.

Die Schülergenossenschafts-Vorstände Vanessa Eisele, Alexander Schulze und Lea Gressing sind derweil oft unterwegs, um an anderen Schulen von ihren ersten Erfahrungen zu berichten. Sogar in der Landespressekonferenz haben sie Rede und Antwort gestanden.

Das Nachhaltigkeits-Prinzip haben die Schüler übrigens nicht nur in ihrer Organisationsform und in den generationenübergreifenden Angeboten verankert: „Der Grundgedanke besteht darin, dass diese Genossenschaft an die nächste Generation weitergegeben wird.“ Im kommenden Schuljahr wollen sie die Geschäfte einer der nächsten neunten Klassen übertragen – an jene, die das überzeugendste Übernahme-Konzept präsentiert. Die Aufsichtsratsvorsitzende Natalie Frei (Volksbank) hat den Eindruck: „Das werden alles gute Banker.“ Das Kreditinstitut hofft auf genossenschaftserfahrene Azubis.

Info: new-generation9.jimdo.com

Andreas Ellinger, „Wirtschaft im Profil“ (Wirtschaftsmagazin des Schwäbischen Tagblatts)

Montag

16

Juli 2012

Publikation:
WiP

 

Ressort:
Wirtschaft