Andreas Ellinger

JOURNALISMUS IN WORT UND BILD

Störfaktoren mit Zukunft

Veröffentlicht in: Gesellschaft, Kommentare

Print Friendly, PDF & Email

Kinder sind unsere Zukunft! Das sagen alle Politiker. Sie versprechen seit Jahren, mehr für Familien zu tun. Baden-Württemberg ist sogar zum Kinderland erklärt worden.

Das Elterngeld, die Elternzeit, die Kleinkind-Betreuung und die Ganztages-Betreuung werden als Erfolge der Familienpolitik dargestellt. In Wirklichkeit handelt es sich aber um Wirtschaftspolitik.

Dieser Etikettenschwindel wäre nicht schlimm, wenn es sich um eine familienorientierte Wirtschaftspolitik handeln würde, von der die Kinder profitieren. Stattdessen profitiert vor allem die Wirtschaft. Genauer: Es profitieren jene, welche die Profite in Form von Dividenden, Manager-Gehältern oder Spekulations-Gewinnen einstreichen. Ausgedehnte Arbeitszeiten ermöglichen den flexiblen und folglich lukrativen Einsatz des „Humankapitals“. Unter dieser wirtschaftsorientierten Familienpolitik leiden die Familien wie die gesamte Gesellschaft: Wer keine Zeit mehr für seine Kinder hat, hat auch keine Zeit für ein Ehrenamt.

Kinder sind aus Sicht der (Wirtschafts-)Politiker vor allem deshalb „unsere Zukunft“, weil sie die Arbeitnehmer und vor allem die Rentenzahler der Zukunft sind. Dieselben Kinder sind allerdings zunächst einmal Störfaktoren, weil sie ihre Eltern beim Arbeiten und damit beim Erwirtschaften der heutigen Renten beeinträchtigen. Das lässt sich mit Betreuungs-Angeboten ändern – am Besten vom Baby-Alter an und ganztags. 30 Prozent der Kinder im Kreis Freudenstadt, die von Tageseltern betreut werden, sind dort vor 7 Uhr und/oder nach 20 Uhr – manchmal sogar die ganze Nacht und das Wochenende über. So lässt sich Familie mit dem Beruf vereinbaren!

Dass Kinder noch besser betreut werden sollten, das haben Politiker seit der PISA-Studie zur Bildungs-Situation begriffen. Sonst werden Kinder keine hochqualifizierten Arbeitskräfte, wie sie Firmen fordern: Statt Renten zu finanzieren, kosten sie dann Arbeitslosengeld.

Die bessere Betreuung gibt‘s nicht zum bisherigen Dumping-Preis – darauf hat der Tageselternverein im Kreis Freudenstadt hingewiesen. Höhere Tagesmütter- Löhne könnten viele Eltern aber nicht von ihren Arbeits-Einkommen finanzieren. Deshalb sollen die Kommunen Geld beisteuern – Geld für Familien, das in Wirklichkeit eine Wirtschafts-Subvention ist. Damit Städte und Gemeinden dieses Geld haben, müssen sie es von ihren Bürgern und damit auch von den Eltern holen: Ein Teufelskreis, in dem für Eltern schon gar keine Zeit mehr bleibt, die Großeltern-Generation zu versorgen, wenn sie pflegebedürftig wird. Und weil nicht genug Geld für gute Pflege da ist, häufen sich die Meldungen über Missstände in Heimen…

Zur Erinnerung: Früher klappte das kostenlos. Ein Elternteil und/ oder die Großeltern übernahmen die Kindererziehung. Später haben Eltern und Kinder die Großeltern gepflegt. Die „moderne Wirtschaftswelt“ lässt das nicht mehr zu: Die (Groß-)Eltern sind im Heimatdorf zurückgeblieben, die Kinder arbeiten in fernen Ballungsräumen und die Enkel machen ein unbezahltes Praktikum im Ausland – wenn sie nicht noch betreut werden… Das ist das Ergebnis jener Mobilität, wie sie Wirtschafts-Bosse und Politiker gefordert haben.

Ohne Familie ist aber kein Staat zu machen. Konservative Politiker wussten das, als sie „die Familie“ in den 60er-Jahren vor der „Freien Liebe“ geschützt haben – um sie später aus Überzeugung der „Freien Marktwirtschaft“ zu opfern…

Aber wer will schon die alten Zeiten wieder? Wo kämen wir hin, wenn das Einkommen eines Elternteils wieder ausreichen würde, um die ganze Familie zu ernähren?

Lasst uns lieber viele Kinder bekommen und immer mehr arbeiten! Das ist zukunftsfähig – bis auch zwei Löhne nicht mehr ausreichen, um eine Familie zu versorgen. Und dann lassen wir Kinder nicht mehr betreuen, sondern arbeiten…!?

Andreas Ellinger, Südwest Presse Horb, Horber Chronik

Mittwoch

2

Juli 2008

Publikation:
Südwest Presse

 

Ressort:
Horb