Neues Amt, neues Leben
Veröffentlicht in: Gesellschaft, Kommentare
Michaela (Name geändert) erzählt voller Freude von ihrer neuen Familie – und lacht dabei immer wieder. Aus der bedrückten, ernsten Jugendlichen, die im Januar, Februar und März mehrfach in der SÜDWEST PRESSE- Redaktion war, ist eine fröhliche junge Frau geworden.
Was ist passiert? Michaelas Mutter ist vom Jugendamts-Bezirk Freudenstadt in den Jugendamts-Bezirk Rottweil umgezogen. Die Folge: Die 17-jährige Schülerin musste nicht in ihr Elternhaus zurück, wie es die Horber Amts-Außenstelle vorgesehen hatte, sondern sie kam in eine Pflegefamilie. Und sie erhielt psychologische Hilfe – wegen ihrer familiären Erlebnisse, unter denen die Jugendliche seit ihrer Kindheit gelitten hat.
Rückblende: Anfang Dezember ist Michaela bei ihrer Mutter rausgeflogen. Das Jugendamt versagte die Hilfe. Michaela zog rund zwei Monate lang von Freundin zu Freundin, bis sie bei einer sozial engagierten Familie aus dem Horber Raum eine längerfristige Bleibe fand (die SÜDWEST PRESSE berichtete am 28. Februar).
Anfang April sollte die Jugendliche zu ihrer Mutter zurück. So wollte es das Jugendamt, das all die Monate über keine finanzielle Hilfe für die 17-Jährige organisiert hatte. Sie bekam nicht einmal das Kindergeld weitergereicht.
Kurz vor der erzwungenen Rückkehr zur Mutter erreichte Michaelas Verzweiflung ihren Höhepunkt. Sie schrieb unter anderem folgende Zeilen, welche die SÜDWEST PRESSE am 30. März veröffentlicht hat: „Ich will all das nicht mehr erleben, nicht noch einmal durch die Hölle gehen. […] Ich bleibe erschlagen liegen, habe nicht den Willen, weiter zu leben.“
Man musste damals kein geschulter Jugendamts-Mitarbeiter sein, um zu erkennen: Da könnte Selbstmord-Gefahr bestehen. Der Vertrauenlehrer der Schülerin hatte bereits im Februar entsprechende Befürchtungen angedeutet. Doch auf der Horber Jugendamts- Außenstelle erkannte man das erst, nachdem die 17-Jährige selbst verfasste Lyrik an die zuständige Behörden-Mitarbeiterin schickte. Die Frau vom Amt veranlasste es, dass die Schülern von der Schulleitung aus dem Unterricht gerufen wird. Am 3. April, als eigentlich schon das Rottweiler Jugendamt für Michaela zuständig gewesen wäre, musste sie offenbar in der Horber Behörde versprechen, dass sie sich bis zum 8. April nicht umbringt…
Am 7. April kam Michaela nicht zurück zu ihrer Mutter, sondern in eine Pflegefamilie, die das Rottweiler Jugendamt organisiert hatte. Es folgte eine psychologische Analyse der Lebenssituation. Und seither ist die Rückkehr zur Mutter kein Thema mehr. Michaela kann bis zum Ende der Schulzeit in ihrer Pflegefamilie bleiben. Die Erleichterung darüber hat aus der Jugendlichen einen anderen, einen fröhlichen Menschen gemacht.
Michaela holt im Gespräch mit der SÜDWEST PRESSE einen Brief ihrer Mutter aus der Handtasche, den sie Ende Mai bekommen hat. Die Tochter sagt, sie habe beim Lesen lachen müssen. Aber es muss ein verbittertes Lachen gewesen sein… Denn die Mutter droht ihrer Tochter – letztlich, weil jene beim Jugendamt Hilfe gesucht hat – rechtliche Schritte an. Sätze, die auf Michaela teilweise wie psychische Dolchstöße wirken müssen – Sätze, die sich aber auch lesen, als habe sie ein trotziges Kind geschrieben, wie die Jugendliche zutreffend anmerkt. Die Aufforderung, sie solle ihre letzten Sachen aus der mütterlichen Wohnung holen, ist mit dem Hinweis verknüpft: „Wir sind nicht Dein Lager.“ Und unterzeichnet ist der Brief nicht etwa mit „Mama“ oder „Deine Mutter“, sondern mit vollem Namen – wobei der Vorname mit dem ersten Buchstaben abgekürzt ist.
Ein Außenstehender kann nur erahnen, was Michaela in all den Jahren durchgemacht hat. Am 7. April hat für sie ein neues Leben begonnen. Die Schülerin schmiedet Zukunftspläne. Nach dem Abitur möchte sie zu einer ihrer Schwestern ins Bayerische ziehen (die übrigens auch nicht bei der Mutter aufgewachsen ist) und dort studieren.
Andreas Ellinger, Südwest Presse Horb, Horber Chronik
Siehe auch:
Bericht: Das Jugendamt versagt die Hilfe (28.02.2009)
Kommentar: Ein Amt zum Verzweifeln (30.03.2009)