Andreas Ellinger

JOURNALISMUS IN WORT UND BILD

Ein Amt zum Verzweifeln

Veröffentlicht in: Gesellschaft, Kommentare

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Ich will all das nicht mehr erleben,

nicht noch mal durch die Hölle gehen,

kann nicht immer wieder vergeben.

Doch sie zwingen mich.

 

Diese Zeilen hat Michaela (Name geändert) vergangene Woche verfasst, überschrieben mit dem Titel „Ein Schrei“ – nach einem Gespräch auf dem Jugendamt, in dem ihre Mutter und eine Behörden-Vertreterin der 17-Jährigen keine Wahl gelassen hatten: knapp vier Monate, nachdem sie zuhause rausgeworfen worden ist, wie sie erzählt, soll sie wieder zurück. Und wenn sie nicht zur Mutter ziehe, die den Rauswurf inzwischen zurückgenommen habe, bekomme sie kein Geld für ihren Lebensunterhalt – wie bisher bereits…

Es stellt sich die Frage, warum die Mutter ihre Tochter wieder aufnehmen will? Alternativ hätte sie Geld für einen Heim-Unterbringung bezahlen müssen. Das hätte mehr gekostet als das Kindergeld…

Michaela hat in den vergangenen Monaten nicht einmal das Kindergeld von ihrer Mutter weitergereicht bekommen, wie sie erzählt. Zunächst ist sie bei Freundinnen und dann bei einer anderen sozial engagierten Familie kostenlos untergekommen. Drei Mitarbeiterinnen des Kreis-Jugendamtes waren bis heute nicht in der Lage, der Schülerin einen Verfahrenspfleger zur Seite zu stellen. Das wird normalerweise gemacht, um den Unterhalts-Anspruch von Minderjährigen gegenüber ihren Erziehungsberechtigten durchzusetzen. Darüber hat die SÜDWEST PRESSE am 28. Februar berichtet.

Michaela sei im Jugendamts-Bezirk Freudenstadt kein Einzelfall, sagen Insider. Die Behörde tendiere dazu, die Fälle auszusitzen, wenn 16- oder 17-jährige Jugendliche Hilfe suchen würden. So ging das auch bei Michaela los – Ende des Jahres 2007. Sie wollte unter anderem aufgrund von Gewalt und Suchtproblemen in der Familie ausziehen. Aber das Jugendamt half ihr nicht. Es stellte der Familie damals nicht mal einen Erziehungs- Beistand zur Seite, wie das jetzt auf einmal geschehen soll – rund vier Monate, nachdem der familiäre Konflikt eskaliert ist.

Auf die Idee mit dem Erziehungsbegleiter ist das Jugendamt aber erst gekommen, nachdem die Mutter in einen benachbarten Jugendamts-Bezirk zieht. Die Behörde des Kreises Freudenstadt hat den Fall erfolgreich ausgesessen.

Bei kleinen Kindern wissen Jugendamts-Mitarbeiter – nach mehreren Todesfällen bundesweit –, dass ihnen juristische Konsequenzen drohen, wenn sie nicht helfen. Bei einer 17-jährigen scheint es indes unwahrscheinlich zu sein, dass sie zuhause zu Tode kommt…!?

Das Freudenstädter Kreis-Jugendamt treibt das Mädchen zur Mutter zurück – und damit womöglich in die Verzweiflung. Man kann nur hoffen, dass Michaelas Vertrauenslehrer übervorsichtig war, als er die Schulleitung über die Situation der Jugendlichen informiert hat – weil er Angst hat(te), dass „etwas passieren“ könnte…

Andreas Ellinger, Südwest Presse Horb, Horber Chronik

 

Es fängt alles wieder von vorne an.

Es macht mich fertig und dann?

Versteht doch, dass ich nicht mehr kann.

Doch ihr zwingt mich dazu.

 

[…] Ich habe es bis hierher geschafft,

doch nun verlässt mich meine Kraft

und ihr habt’s immer noch nicht gerafft.

Ihr zwingt mich nur.

 

Ich bleibe erschlagen liegen,

habe nicht den Willen, weiter zu leben.

 

Ein Schrei aus tiefster Kehle.

Es wird Zeit, dass sie ihn hören.

Ein Schrei aus meiner Seele.

Und mich nicht endgültig zerstören.

 

(Auszug aus „Ein Schrei“ von „Michaela“)

 

Siehe auch:

Bericht: Das Jugendamt versagt die Hilfe (28.02.2009)

Kommentar: Neues Amt, neues Leben (29.08.2009)

Montag

30

März 2009

Publikation:
Südwest Presse

 

Ressort:
Horb