Andreas Ellinger

JOURNALISMUS IN WORT UND BILD

Die Big-Brother-Siedlung

Veröffentlicht in: Berichte, Wirtschaft

Print Friendly, PDF & Email

Mit Kameras überwachen die neuen Herren vom Haugenstein, ob sich ihre Mieter wunschgemäß verhalten

 

Die Deco-Gruppe, die den „Haugenstein“ gekauft hat, wendet offenbar viel Energie auf, um Bewohner zu disziplinieren und unerwünschte Gäste abzuschrecken… Noch mehr Energie will sie demnächst produzieren – mit einem Blockheizkraftwerk und Solaranlagen, wie der Vorstandsvorsitzende berichtet.

Horb. Nachdem die Deco-Gruppe den Bildechinger Haugenstein um die Jahreswende herum von der Bundesanstalt für Immobilienaufgaben (BIMA) übernommen hatte, entdeckten die Käufer bald „eine Art Mülldeponie“ in einem nahegelegenen „Wäldle“, wie Vorstand Dietmar Demczenko berichtet. „Mich wundert es, dass die Gemeinde da nichts gemacht hat“, sagt er. Seine Leute haben gehandelt: Zwei Felsbrocken und eine Schranke, die sich nicht öffnen lässt, versperren nun den Weg für die Müllsünder – allerdings auch für Kleingärtner und Landwirte, die bisher über den asphaltierten Feldweg ihre Parzellen erreicht haben. Und die Aussichtsplattform „Rauschbart“ ist um eine Zufahrt ärmer. Für die Müll-Probleme, so glaubt Demczenko inzwischen, seien gar nicht die Haugensteiner verantwortlich. Es seien Fremde mit Quads und anderen Fahrzeugen gesehen worden, berichtet er.

„Da viel passiert“, hat die Deco-Gruppe Videokameras installiert – beispielsweise an den Dächern des Heizwerks und des freikirchlichen Gemeindehauses. Wie wirkungsvoll Kameras sein können, ist in Bildechingen bekannt – am Hauptstandort von Filter-Volz. Der Senior- Chef war bekanntlich einige Zeit als „Big Brother“ am Start – wie jetzt die Deco-Gruppe, die Demcenzenko aus einem Familienbetrieb heraus aufgebaut hat.

Nur Kamera-Attrappen?

Während bei Volz kein Zweifel bestand, dass die Kameras funktionieren, ging unter den Haugensteinern anfangs das Gerücht, es handle sich um Attrappen, wie Demczenko zu Ohren gekommen ist. Er wolle nicht Polizei spielen, betont der Deco-Boss – aber dank der Kameras könnten Personen gezielt angesprochen werden: „Kollege, Du warst gestern da und da… – lass‘ es!“ Inzwischen sei klar, dass „die eine oder andere Kamera funktioniert“. Die Leute wüssten nicht, „werd‘ ich gefilmt oder nicht…“ – deshalb gebe es „viel Aufruhr“, berichtet Demczenko.

Der Landesdatenschutzbeauftragte Jörg Klingbeil äußerte sich auf Anfrage skeptisch, ob eine Rechtsgrundlage für einen solchen Kamera-Einsatz besteht. Ladenbesitzer dürften beispielsweise nur in einem „sehr eingeschränkten Bereich vor ihrem Eingang filmen“.

Auf dem Haugenstein sind die Kameras in alle Richtungen ausgerichtet. Auch der Wertstoff-Container- Platz ist im Bilde, sofern es sich nicht gerade bei dieser Kamera um eine Attrappe handelt.

Die Polizei vor Ort

Darüber hinaus machen die Deco-Hausmeister „sporadische Kontroll-Läufe“. Dietmar Demczenko hält fest: „Die meisten Haugensteiner sind ordentliche Leute und wollen auch, dass es ordentlich bleibt. […] Zu 98 Prozent kommen wir mit den Mietern gut aus.“ Aber: „Es gibt immer ein paar, die meinen, das Rad neu zu erfinden. Wenn nicht alles nach ihrem Kopf geht, dann ist alles Scheiße.“ So werde teilweise einfach auf Sperrflächen geparkt. „Es kann nicht sein, dass jeder parkt, wo er will“, sagt Demczenko. Würde der Abschleppdienst geholt, dann „würde es einen Zwergenaufstand geben“, vermutet er. Als Deco-Leute einen unerwünschten Stellplatz mit einem Stein blockierten, rief offenbar ein Mieter die Polizei – und das war nicht das erste Mal, dass die Beamten zwischen Mieter- und Vermieter-Seite schlichten mussten. Die Polizeidirektion hat auf Anfrage hin mitgeteilt: „Der Stein wurde unverzüglich entfernt.“

Dietmar Demczenko spricht von „Spielchen“, die manche mit der Deco-Gruppe machen wollten: Sie würden „mit der Presse drohen“, um damit ihren Forderungen Nachdruck zu verleihen. Die Familie Schwientek, die früher mit der BIMA ab und zu im Clinch lag, nimmt er aus seiner Kritik betontermaßen aus: „Mit Schwienteks kommen wir relativ gut klar.“

Auf Demczenkos Schilderungen hin hat die SÜDWEST PRESSE stichprobenartig mit ein paar Haugensteinern Kontakt aufgenommen. Offen äußern wollte sich niemand über den neuen Vermieter – nur unter der Voraussetzung, dass der Name nicht erscheint. „Ich fühle mich beobachtet“, sagte einer – und ein anderer: „Schikaniert wird man hier.“ Sogar ein Internet- Forum wurde eingerichtet. Unter der Überschrift „Erfahrungsaustausch“ schreiben die Initiatoren: „Hier könnt ihr alle Eure Erfahrungen mit der neuen Hausverwaltung, den Hausmeistern sowie den Bewohnern aufschreiben. Wir erhoffen uns von dem Forum, den Haugenstein zu einer angenehmen Wohnsiedlung zu machen.“

„Schnelles Internet“

Die Deco-Gruppe will dazu das Ihre beitragen. Bis Ende Mai soll eine 50 000 Euro teure Satelliten- Anlage für die Siedlung installiert sein, die außer türkischem und russischem Fernsehen auch „schnelles Internet“ bietet, wie Dietmar Demczenko erzählt. Rund 15 Euro im Monat soll das die Mieter kosten, die ihre privaten Satellitenschüsseln wegen der Fassadensanierung entfernen müssen. Auch das sorgt bei manchen für Missmut: „Die meckern, dass sie kein schnelles Internet haben, und wollen aber nicht bezahlen.“

Die Millionen-Investition

Gar einen siebenstelligen Betrag will die Deco-Gruppe in ein Blockheizkraftwerk investieren, das die Mieter mit Wärme und, auf Wunsch, mit „Strom zu sozialen Preisen“ versorgen soll – „so billig, wie sonst keiner in Horb Strom bekommt“, kündigt Demczenko an. Das Spar-Potenzial im Bereich der Nebenkosten sei höher als die Miet-Erhöhung zum Mai hin.

Beim Deutschen Mieterbund ist der Vorgang bekannt: Nachdem der Bund Jahre lang auf Erhöhungen verzichtet habe, steige die Miete nun um 20 Prozent. „Das ist absolut am Limit“, sagt Mieterbund- Jurist Alexander Guhl – am Limit dessen, was erlaubt ist. Trotzdem liege der Quadratmeterpreis dann nur bei 3,80 Euro, sagt Dietmar Demczenko – während der Mietspiegel an einem vergleichbaren Standort bei 4,50 Euro liege.

Bis Ende Juni sollen auf den Hausdächern Solaranlagen montiert werden. Blochkheizkraftwerk und Sonnenkollektoren werden auf eine Leistung von knapp zwei Megawatt kommen, wie der Deco-Chef schwärmt, der den Haugenstein zu einer Art Solarpark ausbauen möchte. Da gebe es ein Potenzial, das er beim Kauf noch gar nicht erkannt habe, erzählt er.

Bis Ende des Jahres sollen zudem die Häuser-Fassaden saniert werden. Diesbezüglich ist es zu zeitlichen Verzögerungen gekommen, weil die Gerüste nicht rechtzeitig geliefert worden seien, sagt Demczenko. Haugensteiner hatten sich schon gesorgt, als Arbeiter ohne Gerüst begonnen haben, die alten Solaranlagen auf den Dächern abzubauen. Auch die Berufsgenossenschaft hat sich das mal angesehen. „Aus Gründen des Sozialdatenschutzes“ kann sie aber „keine Einzelheiten zu den Untersuchungen mitteilen“. Nur soviel: Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass die Baustelle auch in Zukunft aufgesucht wird.“ Als der Zoll kurze Zeit später auf dem Haugenstein eintraf, ruhte die Baustelle.  „Sozial unterwegs“

Nach den Sanierungsarbeiten könnte die Deco-Gruppe ihre Mieten abermals erhöhen. „Das haben wir aber eigentlich im Moment noch nicht vor“, sagt Demczenko. „Wir sind im Moment sehr sozial unterwegs“ – wobei er betont: „Wenn uns ein paar Mieter ärgern sollten, dann können wir die Mieten auch erhöhen.“ Wenn Bewohner um die erste Mieterhöhung streiten wollten, dann könne er gleich um zwei streiten. Dietmar Demczenko: „Der eine oder andere hat das noch nicht begriffen.“

Andreas Ellinger, Südwest Presse Horb, Horber Chronik

Mittwoch

20

April 2011

Publikation:
Südwest Presse

 

Ressort:
Horb