Viele Höhepunkte im Leben hat sie erklettert
Veröffentlicht in: Gesellschaft, Porträts
Zum 75. Geburtstag von Rosemarie Schmid: Für ein Ehrenamt ist sie leicht „rumzukriegen“ – im Judo war das früher schwieriger
Rosemarie Schmid ist eine Macherin! Um alles zu schildern, was sie geschafft hat, ist ein Bericht zu kurz. Es folgen daher nur Schlaglichter auf das Leben einer vielseitigst engagierten Horberin, die heute ihren 75. (und das ist tatsächlich kein Zahlendreher!) Geburtstag feiert.
Horb. Gestern, am 8. März, war der Internationale Frauentag, an dem es um Frauenrechte und den Weltfrieden ging – heute ist der Tag einer Frau, die anno 1938 in eine kriegerische und patriarchale Welt hineingeboren wurde. Ihre Entschlossenheit und Ausstrahlung haben sie jedoch längst zu einer emanzipierten Frau werden lassen, ohne dass sie es darauf angelegt hätte. Rosemarie Schmid war und ist auch Hausfrau und Mutter – nicht, weil sie ihrem Manne Wolfgang, dem früheren Direktor des Martin-Gerbert-Gymnasiums „Untertan“ gewesen wäre, sondern aus Überzeugung: „Die Familie geht mir über alles!“ Nachdem ihr Ehemann die finanzielle Versorgung übernommen hat, war es für sie eine Selbstverständlichkeit, ihm zuhause „den Rücken freizuhalten“. Doch seit er in Pension ist, greift ihr „Schmid“, wie sie ihn – mit kurzem „i“ und hartem „d“ gesprochen – liebevoll nennt, zunehmend ins häusliche Geschehen ein.
Rosemarie Schmid ist emanzipierter als viele Frauen, die das von sich behaupten. Denn eine „Selbstbefreiung“ hatte sie nie nötig. Sie hat ihren vier Brüdern zwar Schuhe geputzt und Hemden gebügelt, aber sich auch durchgesetzt, wenn ihr etwas wichtig war.
Für Rosemarie Schmid bedeutet Freiheit beispielsweise, dass sie sich Zeit nehmen kann, um sich für andere einzusetzen: „Das kommt zehnfach zurück“, erzählt sie. Teilweise noch in Nagold, teilweise in Horb hat sie unter anderem Elternarbeit in Kindergarten und Schule gemacht, sich in der „Lebenshilfe“ sowie im Kultur- und Museumsverein engagiert und sich in der Seniorenarbeit bis auf die Landesebene hinauf eingebracht.
In den 90er-Jahren hat sie begonnen, die Horber Senioren- Volkshochschule zu dem zu entwickeln, was sie heute ist – eine Erfolgsgeschichte unter Regie von Rosemarie Schmid. Sie erkannte den großen Bildungshunger einer Generation, deren Leben in einer landwirtschaftlich geprägten Gegend vom Schaffen bestimmt war. Für kulturelle Freuden blieb allenfalls eingeschränkt Zeit. Rosemarie Schmid erinnert sich an eine Seniorin, die das Wort „Staatsgalerie“ mit einer Achtung ausgesprochen hat, als handle es sich um einen Edelstein. Als Leiterin der Senioren-VHS hat sie deshalb konsequent auf Weiterbildungsangebote gesetzt. Statt Ausflügen gibt es Exkursionen – zu Firmen, Ausstellungen, Theatervorstellungen, Konzerten und in Städte. Sogar ein Kernkraftwerk wurde besichtigt. Das eröffnet auch und gerade älteren Hausfrauen neue Horizonte, was wiederum ein emanzipatorisches Moment birgt – als Nebeneffekt. Rosemarie Schmid ist es vielmehr ein Anliegen, dass die Enkelkinder nicht sagen können: „Oma, da kannst Du nicht mitreden.“
Ob sie das alles umsonst mache, fragte mal einer staunend die SVHS-Leiterin. Ihre Antwort: „Umsonst nicht, ich mach‘s ehrenamtlich.“ Und das aus Leidenschaft.
Auf der Flucht
Das Durchhaltevermögen und die Haltung ihrer Mutter haben Rosemarie Schmid geprägt. Voller Hochachtung erzählt sie von ihr: „Mutter hat alles gegeben!“ Der Vater und zwei ältere Brüder waren im Krieg, als die Mutter mit ihr und drei Geschwistern aus Schneidemühl in Hinterpommern fliehen musste. Als Deutschland den Krieg verlor, war Rosemarie Schmid ein kleines Mädchen, gerade mal im Grundschulalter: „Uns Preußen hat man rausgeworfen, verfolgt oder erschlagen“, erzählt sie – und im übrigen Deutschland waren die Flüchtlinge ebenfalls nicht willkommen. Ihre Familie verschlug es in die Nähe von Hamburg. Rosemarie Schmid erinnert sich: „Wir waren der letzte Dreck.“
Aufgrund dieser Erfahrung war es Rosemarie Schmid später in Nagold besonders wichtig, sich als Elternvertreterin für die Integration von Zuwandererfamilien einzusetzen. Sie organisierte beispielsweise Lehrer-Eltern-Gespräche mit Dolmetschern und ein Schulfest mit internationaler Küche, bei dem die Deutschen am Ende auf ihren Würsten und Steaks sitzenblieben.
Als Rosemarie Schmid einst in Westdeutschland ankam, waren in einem Kuhstall in Reinbek gerade zwei Boxen leer: Dort wurde die Familie einquartiert. Das Mädchen lernte zu melken und bekam als Lohn immer etwas Milch, welche die Mutter mit Wasser verdünnte und mit Mehl anreicherte, sofern welches verfügbar war. Die „Partys“ der Nachkriegszeit wurden mit einem Riebel Brot und einem Töpfchen Schmalz gefeiert. Die mütterliche Mahnung aus jenen Tagen, als alles hart erarbeitet werden musste, ist Rosemarie Schmid bis heute gegenwärtig geblieben: „Kinder, lasst Euch niemals verleiten, unehrenhaft zu sein!“ Damals hat die heute 75-Jährige gelernt, wie wichtig familiärer Zusammenhalt ist. Mit viel Disziplin stand die Mutter „ihren Mann“. Sie arbeitete als Hebamme und begleitete bis zu 280 Geburten im Jahr, wie Tochter Rosemarie erzählt. Doch es warteten bereits die nächsten Schicksalsschläge auf sie: „1953 hat man uns die Hucke voll gelogen“ – um die Flüchtlinge aus dem Norden in die französische Besatzungszone gen Süden zu locken. Am Fuße der Schwäbischen Alb angekommen, gab es weder das versprochene Haus für die Familie noch eine Hebammenpraxis für die Mutter. Stattdessen mussten alle erst einmal sechs Wochen lang in einer „Barackenstadt“ leben. „Es war eine schlimme Zeit für Mutter“, sagt Rosemarie Schmid. Als ihr Vater aus der russischen Gefangenschaft zurückkam, hatte er nicht mehr lange zu leben – er starb 1955.
In Reutlingen wurde die immer kleiner werdende Familie sesshaft: Die Brüder zog es wieder zurück nach Norddeutschland, die jugendliche Rosemarie ging für drei Jahre in die Schweiz, um in der Gastronomie zu arbeiten. „Da habe ich Konversation gelernt“, erzählt sie. Und für ihre Beredtheit wurde sie mit Trinkgeld belohnt, das sie ihrer Mutter schicken konnte. Ihre Überzeugungskraft wusste sie später auch im Facheinzelhandel der Schuh- und Porzellanbranche einzusetzen. Dadurch ging schon mal eine Aussteuer für 30 000 Mark über den Ladentisch. Später kam ihr das bei der Sponsorensuche zugute, beispielsweise für den Horber Stadtbücherei-Förderverein: „Manchen Leuten darf man auf die Sprünge helfen“, sagt sie mit einem Augenzwinkern. „Es ist ja für die Allgemeinheit.“
Wie man jemanden „rumkriegt“, hat sie von der Pike auf gelernt: Rosemarie Schmid hat den braunen Gürtel im Judo. Und obwohl es schwer fällt, das zu glauben…: Auf den Mund gefallen ist sie auch einmal. Allerdings nicht beim Judo und schon gar nicht in sprichwörtlichem Sinne, sondern bei ersten Fahrversuchen auf einem Einrad.
Beruflich hat sie sich als Dekorateurin weitergebildet und wie bei allem im Leben ist sie voll in ihren Aufgaben aufgegangen: „Ich war verliebt in meine Arbeit.“ Daran änderte sich nichts, bis sie ein gewisser Wolfgang Schmid, der mit der Pfeife im Mund des Wegs kam, im Schaufenster eines Tübinger Schuhgeschäfts sah… Der Zufall wollte es, dass sich die beiden abends auch noch auf der Heimfahrt im Zug begegneten. Sie lernten sich kennen und lieben. Das Paar verband unter anderem die Faszination für die Bergwelt.
Die „500er BMW“
Während Wolfgang Schmid gerne Wandern ging, wollte seine Rosemarie zunächst deutlich höher hinaus oder zumindest steiler hinauf. In einer Skala mit Schwierigkeitsgraden von 1 bis 6 („1 bis 3 ist Spazierengehen…“) hat sie vorzugsweise die Sechser-Touren im Donautal und auf der Schwäbischen Alb bewältigt. Bis zu den entsprechenden Felsen musste die junge Frau teilweise über 80 Kilometer weit mit dem Fahrrad zurücklegen. Und als „des Mädle vo Hamburg“ gar zwei Sechser-Touren an einem Tag erklomm, machte diese Nachricht in der Kletterer-Szene schnell die Runde. Als Anerkennung für ihre Leistungen ließen sie Bergkameraden hin und wieder mit ihren Motorrädern fahren – nicht als Sozia, sondern am Lenkrad, obwohl sie keinen Führerschein hatte. Die Erinnerung an eine „500er BMW“ bringt Rosemarie Schmid noch heute ins Schwärmen: „Der Ton ist schon Musik…“ Und das sagt wohlgemerkt eine Frau, die gewöhnlich mit Klassik zu begeistern ist: „Klassische Musik ist etwas Großartiges!“ Aber es gibt noch manch‘ anderen Rhythmus, bei dem man mit muss… – zumindest in jungen Jahren. „Tanzen, das war eine Leidenschaft“, erzählt sie – vom Standard bis zum Rock‘n‘Roll. Frei nach dem Motto: „See You Later, Alligator!“ Als frühere Turnerin und Kunstradfahrerin brachte sie die notwendige Körperbeherrschung mit.
Die kulturelle Bildung, auch im Bereich der Literatur, spielte in der Familie von Rosemarie Schmid immer eine wichtige Rolle: „Ich könnte heute noch zwei Stunden rezitieren, ohne mich zu wiederholen.“ Anfangs hat sie den Literaturkreis der Senioren-Volkshochschule selbst geleitet. Bei Zehntklässlern hat sie gelegentlich Lyrik unterrichtet – vermutlich allerdings ohne südwestdeutsche Mundart-Gedichte. Denn eines kann die Horberin nach 60 Jahren im Ländle immer noch nicht, zumindeschd net g‘scheit: Schwäbisch.
Rosemarie Schmid hat – frei nach dem früheren US-Präsidenten John F. Kennedy – nie gefragt, was sie für ihre Stadt tun kann… Sie tut es einfach! Dass sie als Stadtführerin tätig ist, gehört dabei zu ihren kleineren Engagements.
Die „Grüne Dame“
Es gäbe noch vieles von ihr zu berichten… – zum Abschluss noch folgendes: Seit 18 Jahren ist Rosemarie Schmid eine so genannte „Grüne Dame“ im Krankenhaus (seit kurzem nur noch für Reha-Patienten). Als es in Horb noch das Hospital gab, hat sie unzähligen Kranken und Verletzten zugehört, mit ihnen geredet, ihnen die Angst vor Untersuchungen genommen, ihnen Mut gemacht. Und wie könnte es bei ihr anders sein? Selbstverständlich ehrenamtlich.
Ob die Aktivbürgerin mit 75 Jahren daran denkt, die eine oder andere Aufgabe abzugeben und es sich etwas gemütlicher zu machen? Rosmarie Schmid antwortet: „Ich habe es doch gemütlich.“ Na dann herzlichen Glückwunsch!
Andreas Ellinger, Südwest Presse Horb, Horber Chronik