Andreas Ellinger

JOURNALISMUS IN WORT UND BILD

Der Verhandlungskünstler

Veröffentlicht in: Arbeitswelt, Porträts

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Helmut Kraibühler hat sich sein Arbeitsleben lang für die Stadt Horb engagiert

 

Helmut Kraibühler ist länger ein Teil der Stadt Horb als die Stadtteile. Im März 1971 kam er aufs Rathaus… – und ist geblieben: „Ich bin mit der Stadt verwachsen“, sagt der Leiter des Fachbereichs „Bürgerdienste“. Standfest wie eine Eiche hat er manchen Sturm der Entrüstung überstanden, genauso wie politischen Druck. Mit 64 Jahren lässt er sich in den Ruhestand verpflanzen. Und das, wie es seine Art ist, ohne viel Aufhebens zu machen: „Ich hör‘ jetzt einfach auf“, kündigte er an. Am Dienstag war es soweit.

Horb. Mittwoch, 10. Dezember 2008, 19.30 Uhr, Marktstraße 11: Der größte Raum des Tageselternvereins ist überfüllt. Monate lange Verhandlungen mit dem Landratsamt um Geld und Personal haben die Führung zermürbt. Dem Verein droht die Auflösung. Die Verursacherin aus Freudenstadt ist anwesend, der damalige Oberbürgermeister verhindert. Fachbereichsleiter

Helmut Kraibühler ist kurzfristig für ihn eingesprungen. Wie könnte es, trotz allem, für den Verein weitergehen? Die Mitglieder brauchen Bedenkzeit, welche die Vertreterin der Kreisverwaltung nicht gewähren will. Es scheint so, als wolle sie mit einer Dampfwalze über das Minenfeld rollen… Helmut Kraibühler stellt sich sprichwörtlich in den Weg. Er agiert mit einer Ruhe und Gelassenheit, als habe er keinen Arbeitstag, sondern eine Meditation hinter sich. Bedächtig schildert er die Abwägung, welche die Mitglieder zu treffen hätten. Was dann folgt, lässt sich nicht wirklich beschreiben… Das hat mit Haltung, Erfahrung, Kompetenz, Ausstrahlung und Autorität zu tun. Helmut Kraibühler sagt der streitbaren Amtsleiterin aus der Kreis-Hauptstadt so höflich wie bestimmt: „Man kann den Verein jetzt nicht unter Druck setzen.“ Anschließend skizziert er den Weg zu einer Entscheidung – in einer Weise, die keine Zweifel aufkommen lässt, dass es so zu laufen hat. Aber gleichzeitig auf eine Art, die niemanden provoziert oder kränkt. Es handelt sich um eine straff organisierte Form der Mediation. Das Ergebnis: Den Tageselternverein gibt es bis heute.

Für solche Spezialeinsätze hat sich Helmut Kraibühler von Anfang an empfohlen: Als er zur Stadt Horb kam, gab es zwar den Schütteweg, aber die Grundstücksverhältnisse waren chaotisch. „Der Weg ist einfach gebaut worden, ohne dass jemand gefragt worden wäre“, stellte der junge Verwaltungsmann fest, der für „Rechtssicherheit“ sorgen sollte. Das brachte ihm Jahre lange Verhandlungen mit den Eigentümern ein – teilweise mit Leuten, die beklagten, dass sie in früheren Jahren von der Stadt übers Ohr gehauen worden seien. Ihre Bereitschaft zu Kompromissen war folglich nicht ausgeprägt. Aber „d’r Krai“, wie er in der Verwaltung liebevoll und hochachtungsvoll zugleich genannt wird, hat das hingekriegt.

Vielleicht lag der Erfolg darin begründet, dass Helmut Kraibühler seiner Zeit voraus war. „Früher wurde häufiger formell entschieden“, erzählt er. Heute werde mehr verhandelt. Und verhandeln kann Helmut Kraibühler, der stets wie die Ruhe in Person wirkt. Innerlich sei er manchmal schon unruhig und ungeduldig, verrät er. „Aber es hilft ja nichts…“ Ganz wichtig sei es, keine persönliche Betroffenheit aufkommen zu lassen. Konflikte löst Verwaltungsmann Kraibühler und nicht Privatperson Helmut.

Doch es liegt in der Natur der Sache, dass nicht jeder Diskurs ein Happy-End haben kann. „Manchmal bekommt man ein Mandat, etwas zu verhandlen, und man muss im Verlauf der Gespräche erkennen, dass die vorgegebene Position fachlich nicht zu halten ist.“ Manchmal sei es schlicht unmöglich, „den Belangen gerecht zu werden“ und seinen „Auftrag nicht zu verletzen“, sagt Kraibühler, der zudem Situationen erlebt hat, in denen „man zwischen richtig und falsch nicht unterscheiden kann“.

Ein besonders schwieriger Fall betraf die Ihlinger Feuerwehr. Die Abteilung wollte einen Feuerwehrmann ausschließen – rechtlich sei das aber nicht möglich gewesen, erzählt Helmut Kraibühler. Daran vermochte weder politischer Druck noch die Drohung, die Feuerwehr werde sich auflösen, etwas zu ändern. „Wenn Positionen bezogen sind, die man ohne Gesichtsverlust nicht mehr verlassen kann, dann wird‘s schwierig“, sagt der Verwaltungsmann, der übrigens selbst zehn Jahre lang bei der Feuerwehr war. Dieser Erfahrungsschatz brachte ihm in Ihlingen nichts: „Einen Kompromiss gab’s nicht.“ Die Folge: Der Stadtteil hat heute keine Abteilungswehr mehr.

Helmut Kraibühler hat früh erkannt, dass er „eine Linie“ haben und dieser treu bleiben muss, um sich vor politischer Einflussnahme zu schützen. Das Selbstverständnis als Verwaltungsmann bewog ihn dazu, selbst keine politische Karriere anzustreben. Sich „politisch zu verhalten“, wie er es formuliert, reizte ihn nicht. Deshalb trat er nie an, wenn ihm ein Oberbürgermeisteramt angetragen wurde.

Gleichwohl kam er an der Politik nicht vorbei, beispielsweise als eine Schließung der Stadtbücherei oder Budgetkürzungen für die Musikschule diskutiert wurden. Beides schmerzte den Literatur- und Musik-Liebhaber, der die kulturellen Aufgaben besonders gerne übernommen hat, als der damals neue Oberbürgermeister Michael Theurer in den 90er-Jahren die Verwaltung umstrukturierte. Kraibühler war bis dato Hauptamtsleiter und bekam den Fachbereich „Bürgerdienste“ übertragen. Neben dem Bürgerbüro sind dort unter anderem Kindergärten, Schulen, Jugendreferat, Standesamt, Neckarbad und Archiv angesiedelt.

Helmut Kraibühler war bereits aus seiner Ausbildung zum gehobenen Verwaltungsdienst, die seinerzeit noch generalistisch angelegt war, als Allrounder hervorgegangen. Er lernte auf dem Horber Landratsamt, bei der AOK, auf der Sparkasse und bei der Stadt Horb. Im anschließenden Berufsleben durchlief er Kämmerei, Ordnungsamt, Bauamt und Hauptamt.

Die Eingemeindungsverträge mit den heutigen Stadtteilen haben andere ausgehandelt, aber er musste an den Formulierungen feilen. Dass Regierungspräsident Müller Mitte der 80er-Jahre von einer „zusammengeschusterten Stadt“ gesprochen hat, ist ihm in Erinnerung geblieben. Helmut Kraibühler: „Die Versprechungen in den Eingemeindungsvereinbarungen waren relativ heftig.“ Die Konjunkturflaute in den 80er-Jahren tat ein Übriges, um die Stadt in Schwierigkeiten zu bringen. Die Gemeindeprüfungsanstalt stellte einen „vernichtenden Befund“ zur wirtschaftlichen Situation aus. „Das war eine schwierige Phase für die Mitarbeiter“, erzählt Kraibühler. „Da haben sich manche nicht mehr in die Stadt getraut.“ Aber so schlimm, wie es die Gemeindeprüfungsanstalt behauptet hatte, war die Lage gar nicht – der Bericht habe widerlegt werden können.

Politisch musste die CDU, die lange mit absoluter Mehrheit regierte, zunehmend Verluste hinnehmen. Die Parteien und Wählervereinigungen im Gemeinderat wurden mehr. Die wachsende Verkehrsbelastung und die Idee einer „Innerstädtischen Erschließungsstraße“ führten zu „heftigen Diskussion“. Kraibühler: „Die Stimmung ist schlecht geworden.“ Der anfangs leutselige Oberbürgermeister Dr. Hans Hörner habe sich immer mehr zurückgezogen. Die Wahl des Nachfolgers Michael Theurer sei zu einem Neustart geworden. Neu war auch, dass der OB keine Hausmacht hatte, sondern sich ständig behaupten musste. Helmut Kraibühler erinnert sich an einen „Kampf von allen Seiten“.

Motivierte Mitarbeiter

Als Leiter des neuen Fachbereichs „Bürgerdienste“ setzte er konsequent auf seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, zuletzt rund 150 an der Zahl. Der Diplom- Verwaltungswirt gehört einer Generation an, deren Studium vom Geist der 68er-Bewegung geprägt war. Es sei viel und kritisch mit den Professoren diskutiert worden, sagt er – unter anderem über Mitarbeiterführung. Kraibühler hat eigenverantwortliches Handeln gefördert. Zum einen, weil er es nicht sinnvoll fand, einen solch‘ großen Fachbereich „eng zu führen“. Zum anderen, weil das die Belegschaft motiviere. Zu manchen Terminen hat er seine Leute zwar begleitet, sich aber weitestgehend im Hintergrund gehalten. Das erklärt, warum er nach offiziellen Anlässen fast nie auf Pressebildern zu sehen war. Das bedeutete ihm nichts. Das Gesamtwerk, die Leistungsbilanz des Fachbereichs bescherte ihm Zufriedenheit genug. Und wenn mal etwas schief ging, war er sich nicht zu schade, sich stellvertretend zu entschuldigen. „Wenn mal was nicht so passt, fange ich das auf“ – das gehörte zu seiner Philosophie als Führungspersönlichkeit. „Wenn man jemanden laufen lässt, gibt es manchmal auch einen ungeraden Weg.“

Sein Einfühlungsvermögen half nicht nur, Konflikte zu lösen, sondern auch, das politische Umfeld richtig einzuschätzen: „Sie müssen schauen, dass Sie eine Mehrheit kriegen, wenn Sie etwas bewegen wollen“, erklärt Helmut Kraibühler. Der Leiter der Bürgerdienste konnte sich dabei immer wieder auf bürgerliche Unterstützung verlassen. Das betraf den Erhalt der Stadtbücherei, den Einsatz fürs Budget der Musikschule, die Sanierung des „Klosters“ zum Kulturzentrum sowie den „harten Kampf“ ums Bürger-Kultur-Haus.

„Wir brauchen eine Entwicklung am Bahnhof“, erläutert Helmut Kraibühler, „aber das Herz der Menschen kann man damit nicht gewinnen.“ Mit den Angeboten im Bürger-Kultur-Haus sei das hingegen möglich. Inzwischen hat der Gemeinderat sogar eine zusätzliche 50-Prozent-Stelle für die Bücherei genehmigt. „Das war undenkbar“, sagt Helmut Kraibühler im Rückblick auf die Schließungsdebatte. „Es hat sich einiges bewegt.“ Auch die Städtische Musikschule sei „neu ausgerichtet“. Sie geht in allgemeinbildende Schulen und kooperiert mit Musikvereinen.

Die Schulentwicklung war ein „ganz zentrales Thema“ in Kraibühlers Fachbereich. Was die zentralen Schulen in der Stadt wie das Martin-Gerbert-Gymnasium betreffe, habe lange „erheblicher Nachholbedarf“ bestanden. Erst in den vergangenen zehn Jahren seien die Entscheidungsträger richtig aufgewacht. „Heute sind wir auf einem wirklich guten Stand.“

Ausgeruht hat er sich auf Errungenschaften aber nie, sondern immer die Zukunft im Blick gehabt. So thematisierte er die Auswirkungen des Geburtenrückgangs auf Kindergärten und Schulen, als der demografische Wandel noch lange kein politisches Top-Thema war. Den daraus resultierenden Strukturwandel hat er nicht lamentierend, sondern gestaltend begleitet. Und das, obwohl ihm beispielsweise „die dankbare Aufgabe“ zugefallen ist, wie er sarkastisch anmerkt, die Talheimer Hauptschule aufzulösen. Doch er konnte die Entwicklung in eine positive Richtung lenken: Die Idee der profilierten Grundschule ist bei ihm im Fachbereich entstanden. Schulleitung und Ortschaftsrat hätten mitgezogen, sagt Helmut Kraibühler. Mit dem Resultat, dass die heutige Talheimer Ganztagsschule mit musischem Profil entstanden ist – inklusive eines Anbaus.

Was die kleinsten der Kleinen betrifft, hat Kraibühler „schnell gespürt“, dass der elterliche Bedarf nicht auf die vorgeschriebene Betreuungsquote von 35 Prozent beschränkt bleiben wird. Seine Devise: „Wir wollen Qualität und nicht nur Betreuungsplätze.“ Außerdem stand – zugespitzt formuliert – fest, dass nicht in jedem Kindergarten ein Ganztagesangebot für Kinder unter drei Jahren entstehen kann. Im Dießener Tal seien die Kindergartenangebote erstmals über Stadtteilgrenzen hinweg gestaltet worden, sagt der scheidende Fachbereichsleiter. Der ersten Kritik hat er sich in einer Versammlung gestellt – und sich später über die Solidarität der Eltern aus Bittelbronn, Dettlingen und Dießen gefreut.

Helmut Kraibühler, dessen Kinder inzwischen erwachsen sind, kennt derartige Strukturveränderungen auch aus Sicht der Betroffenen – aus Fürnsal, wo er aufgewachsen ist und bis heute mit seiner Frau wohnt. Die Grundschule, die er einst besucht hat, gibt es schon lange nicht mehr. Vor drei Jahren schloss der Kindergarten. Vorhanden sind im Wesentlichen noch eine Gaststätte, ein Sanatorium und ein Dorfgemeinschaftshaus, das in den Jahren 2004 und 2005 verwirklicht werden konnte.

Auch Vereine haben es in einem 400-Seelen-Dorf schwer. Der Fußball- und der Schützenverein sind Geschichte. Helmut Kraibühler engagierte sich 1970, um einen Ski- Club aufzubauen. Ohne Geld ging‘s los. Trotzdem gelang es, an einem 200-Meter-Hang einen Skilift zu bauen, an dem Kinder nach wie vor das Skifahren lernen können. Sogar Flutlicht ist vorhanden.

Ruhestand im Rathaus?

In Fürnsal verbringt er, seit 2002, auch noch seine Freizeit auf einem Rathaus. Nachdem der Ortsvorsteher gestorben war, wurde Helmut Kraibühler gefragt, ob er einspringen würde. In dieser Situation wollte er nicht „Nein“ sagen und sich bis zur nächsten Wahl einbringen. Sein Pflichtbewusstsein hinderte ihn allerdings daran, 2004 wieder abzutreten: „Ich kann ja nicht nach zwei Jahren aufhören.“ Also kandidierte er 2004 für den Ortschaftsrat… – 2009 aber nicht mehr. Weil sich kein Nachfolger fand, blieb er trotzdem Ortsvorsteher. Der Preis des Engagements: „Sie haben keine wirkliche Freizeit mehr.“ Aber der Verwaltungsmann in Haupt- und Ehrenamt ist genügsam: Im Sommer mal nachmittags in ein Café zu sitzen und einen Milchkaffee zu trinken, „das ist wie ein Tag Urlaub für mich“. Bevorzugt wählte er den Freisitz des „Dolada“ am Steinhaus. „Für mich ist das einer der Traumplätze – nicht nur in Horb, sondern überhaupt.“ Auf dass Helmut Kraibühler künftig viele Sommerurlaube in der Hirschgasse verbringen kann!

Andreas Ellinger, Südwest Presse Horb, Horber Chronik

Donnerstag

21

März 2013

Publikation:
Südwest Presse

 

Ressort:
Horb