Andreas Ellinger

JOURNALISMUS IN WORT UND BILD

Formaldehyd in Kreis-Schulen

Veröffentlicht in: Berichte, Gesundheit

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Der Stoff ist krebserregend / Landrat: Jetzt wird „regelmäßig und gründlich gelüftet“

 

Formaldehyd ist bei Luftmessungen in der Pestalozzi- und in der Roßbergschule festgestellt worden in Konzentrationen, die über dem verbindlichen Richtwert des Bundesgesundheitsamtes liegen. Darüber hat der Landrat Eltern und Schüler informiert. Denn diese Horber Schulen betreibt der Kreis. Was der Landrat nicht erwähnt hat: Formaldehyd ist krebserregend.

Horb. Formaldehyd, Pentachlorphenol und Polychlorierte Biphenyle – Eltern der Pestalozzischule und der Roßbergschule, welche die Stoffe zufällig kennen, dürften am 13. März die Luft angehalten haben, als sie der Rundbrief von Landrat Dr. Klaus Michael Rückert erreicht hat. Denn es ging um kein Chemie-Projekt, sondern um Luftmessungen in den Schulen: Jeweils „unter den ,schlechtesten‘ Bedingungen“ sei Formaldehyd „über dem verbindlichen Richtwert des Bundesgesundheitsamtes“ gemessen worden. Die „schlechtesten Bedingungen“ definierte Rückert wie folgt: „Der Raum wurde vor der Probennahme bewusst 24 Stunden nicht belüftet, die Fenster und Türe wurden geschlossen gehalten.“

Der „verbindliche Richtwert“ des Gesundheitsamtes liege bei 120 Mikrogramm Formaldehyd pro Kubikmeter Raumluft. Zum Vergleich: In der Roßbergschule wurden laut Rückerts Brief 124 und 123 Mikrogramm gemessen. „Damit wurde der verbindliche Richtwert des Bundesgesundheitsamtes geringfügig überschritten.“ Bezüglich der Pestalozzischule fehlte das Wörtchen „geringfügig“ im Schreiben des Landrats. Dort lag der Formaldehyd-Wert bei 156 Mikrogramm pro Kubikmeter und damit 30 Prozent höher als der Richtwert.

56 Prozent über dem Richtwert der WHO

Aber es gibt noch einen zweiten Richtwert, wie die SÜDWEST PRESSE vom Umweltbundesamt erfahren hat: „Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hat 2010 einen Richtwert von 100 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft empfohlen.“ Dieser Richtwert ist an der Roßbergschule um 23 bis 24 Prozent überschritten, an der Pestalozzischule sogar um 56 Prozent. Das Umweltbundesamt betont hinsichtlich des WHO-Richtwerts: „Der Wert ist für Kurzzeitbelastungen zu verstehen und sollte über den Tag in keinem 30-minütigen Intervall durchschnittlich überschritten werden. Der Wert zielt primär auf die Vermeidung sensorischer Irritationen, wird aber auch für die Vermeidung von Langzeitfolgen (inklusive Krebserkrankungen) übernommen.“

Der Unterricht ist aus Sicht des Landrats aber weiterhin möglich: „Als Sofortmaßnahme bei der Überschreitung des Richtwertes für Formaldehydkonzentration in der Innenraumluft wurde beschlossen, alle Räume regelmäßig und gründlich vor dem Unterricht und in den Pausen zu lüften. Dadurch kann die Formaldehydkonzentration deutlich abgesenkt werden, sodass laut Gesundheitsamt keine gesundheitlichen Auswirkungen bei der Weiternutzung der Räume zu erwarten sind.“

Die SÜDWEST PRESSE, die am Donnerstagabend zufällig von dem Landrats-Rundbrief erfahren hat, wollte umgehend vom Landratsamt wissen, welche Effekte die Sofortmaßnahmen haben. Konkreter: Wie hoch steigt die Formaldehyd-Konzentration bis zur nächsten Lüftungspause? Darauf konnte das Landratsamt im Laufe des Freitags keine Antwort geben. Was Pressesprecherin Sabine Eisele jedoch „wichtig“ war: „Durch die eingeleiteten Maßnahmen bestand keine Gesundheitsgefahr für Schüler und Lehrer und wir gehen davon aus, dass auch davor keine erhöhte Gefahr bestand, da künstlich herbeigeführte ,schlechteste Bedingungen‘, die zur Überschreitung der Richtwerte führten, nicht dem normalen Betriebsablauf entsprechen und die Räume auch vor den Messungen gelüftet worden sind.“

Die Roßbergschule ist eine Förderschule (früher Sonderschule für Lernbehinderte genannt). An der Pestalozzischule, einer Ganztagsschule, werden geistigbehinderte Kinder und Jugendliche unterrichtet. Pentachlorphenol und Polychlorierte Biphenyle sind laut Klaus Michael Rückert ausschließlich an der Pestalozzischule festgestellt worden – „jedoch deutlich unter den jeweiligen Richtwerten“.

Mit welch‘ gesundheitsgefährdenden Stoffen die Schülerinnen und Schüler konfrontiert sind, hat der Landrat in seinem Brief nicht erwähnt. Die SÜDWEST PRESSE hat sich auf Rat der „Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin“ in der Stoffdatenbank des „Instituts für Arbeitsschutz der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung“ informiert. Was Pentachlorphenol und Polychlorierte Biphenyle (besser bekannt als PcB) betrifft, ist dort unter anderem folgendes nachzulesen: „Von dem Stoff gehen akute oder chronische Gesundheitsgefahren aus.“

Und Formaldehyd ist krebserregend: Es kann „Tumore in den oberen Atemwegen beim Menschen auslösen“, wie das Bundesinstitut für Risikobewertung im Jahr 2006 bekanntgegeben hat.

Im selben Jahr hat das Landratsamt erstmals Formaldehyd in der Roßbergschule festgestellt – die Öffentlichkeit wurde darüber bis dato nicht informiert. Jetzt schreibt der Landrat: „Aufgrund des Alters der Roßbergschule Horb lässt der Landkreis Freudenstadt bereits seit 2006 Innenraumluftmessungen auf Formaldehyd vornehmen. Bei den Messungen wurden Formaldehydkonzentrationen festgestellt, welche bisher unter den verbindlichen Richtwerten des Bundesgesundheitsamtes von 120 Mikrogramm pro Kubikmeter Raumluft lagen.“

Die SÜDWEST PRESSE hat beim Landratsamt nach den konkreten Werten gefragt. Die Häufigkeit der Messungen würde erkennen lassen, wie intensiv der Kreis überwacht hat, welcher Formaldehyd-Belastung die Kinder und Jugendlichen Tag für Tag ausgesetzt waren. Zudem könnten die Ergebnisse mit dem Richtwert der Weltgesundheitsorganisation verglichen werden, der niedriger als der Richtwert des Bundesgesundheitsamts liegt.

Das Landratsamt sah sich nicht in der Lage, die Frage am Freitag zu klären. Aber folgendes war präsent: „Weitere Messungen folgten und werden in den kommenden zwei Wochen noch folgen. Nach Vorliegen der Ergebnisse werden wir mit Experten alle Alternativen für eine Sanierung der Schulen prüfen. Selbstverständlich werden wir Eltern, Lehrer und Schüler über die Ergebnisse informieren und auch die Öffentlichkeit informieren, sobald diese vorliegen.“

Info: Weitere Informationen gibt das Gesundheitsamt des Kreises Freudenstadt: Telefon 0 74 41 / 9 20-41 00.

Andreas Ellinger, Südwest Presse Horb, Horber Chronik

 

Siehe auch:

Kommentar: Vergiftetes Schulklima (26.03.2013)

Bericht: Zwischen den Richtwerten (27.03.2013)

 

Samstag

23

März 2013

Publikation:
Südwest Presse

 

Ressort:
Horb