Andreas Ellinger

JOURNALISMUS IN WORT UND BILD

So sozial wie „Hartz IV“…

Veröffentlicht in: Kommentare, Politik

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Während der Bürgerschaft zunehmend bewusst wird, dass der „Hartz IV“-Satz für Kinder kaum fürs tägliche Essen reicht, ist „HartzIV“ für Landes-Justizminister Ulrich Goll (FDP) ein Beleg für das „höchst beachtliche Sozialleistungs-Niveau“ in Deutschland. Das sagte er gestern beim Bürger-Empfang der Stadt Horb in der Hohenberghalle. Weil „HartzIV“ noch mit Wohngeld ergänzt werde, bekomme der Staat bei einer Familie mit Eltern und zwei Kindern sogar „Probleme mit dem Lohn-Abstands-Gebot“. Dass manche deshalb Mindestlöhne fordern, die entsprechend höher liegen, ärgert den Minister: „Man kann nur den Kopf schütteln, für wie blöd die Leute gehalten werden.“ Manche würden den Eindruck erwecken, als ob in der Wirtschaft beliebig viel Geld für Sozialleistungen verdient werden könne. Und: „Bevor man Löhne erhöhen kann, muss man sie verdienen.“ Was Goll nicht erwähnte: Wenigstens für die Millionen-„Löhne“, die (teils unfähige) Manager einstreichen, reicht das Geld…

10 Prozent der Bürger bestreiten 50 Prozent der Einkommensteuer-Einnahmen des Staates und 50 Prozent der Bürger bezahlen 94 Prozent, wie Ulrich Goll sagte. Was der Minister nicht ausgerechnet hat: 40 Prozent der Bürger zahlen also 44 Prozent der Einkommensteuer. Sind das die Verdiener der gestiegenen Durchschnitts-Einkommen, von denen der FDP-Politiker sprach? Wer das 1,5-fache des Durchschnitts-Lohns verdiene, müsse den höchsten Steuersatz bezahlen – früher sei das erst beim 15-fachen Durchschnitts-Lohn der Fall gewesen, sagte der Minister. Fragt sich nur: Verdient der Durchschnitts-Bürger so gut oder gibt es Einkommen, die deutlich höher besteuert werden sollten…?

Ulrich Goll interpretierte die Einkommensteuer-Statistik wie folgt: „Viel mehr kann man nicht umverteilen. Die Umverteilung findet statt – aber von oben nach unten, nicht umgekehrt.“ Eine Überlegung, auf die das Führungsmitglied aus der Partei der Besserverdienenden nicht gekommen ist: Eine extrem ungleiche Verteilung der Einkommensteuer-Beiträge muss nicht nur mit unterschiedlichen Steuersätzen zu tun haben – sie kann auch aus extremst ungleichen Einkommen resultieren…

Während die politische Konkurrenz eine Verstaatlichung jener Banken fordert, deren Existenz mit staatlichem Geld gesichert wird, kritisiert Ulrich Goll ein „Liebäugeln mit einem System, wie es erst vor 20 Jahren abgeschafft wurde“. Geht mit der Verstaatlichung von Banken etwa eine (DDR-)Diktaturisierung des Staates einher? Wenn der Justizminister Recht hätte, müsste mit der Privatisierung von Post und Bahn eine Demokratisierung einhergegangen sein… War die Schließung der Post-Filialen in Horber Stadtteilen eine Demokratisierung und keiner hat‘s gemerkt?

Professor Dr. Ulrich Goll bekennt sich zum Neoliberalismus und zur Sozialen Marktwirtschaft. Es gehe um „Spielregeln“, nicht um Raubtier-Kapitalismus. Seiner Meinung nach hat sich der Sozialstaat gut entwickelt, weil viel Geld verdient wurde. Und folglich zog er nach „60 Jahren Grundgesetz“ eine positive Bilanz bezüglich des darin verankerten Sozialstaats-Gebots.

Was Ulrich Goll hingegen Sorge bereitet, ist die Entwicklung der grundgesetzlich garantierten Freiheit, die untrennbar mit der Privatsphäre verbunden sei. Diesen „Kernbereich privater Lebensgestaltung“ habe das Bundesverfassungsgericht in den vergangenen Jahren mehrfach gegen den Staat schützen müssen, bedauerte der Justizminister. Mails könnten gelesen werden – obendrein wollten manche die Online-Durchsuchung von Festplatten. Der PC drohe vom Personal- zum Public-Computer zu werden, sagte Goll: „Man muss sich mal vorstellen, dass jemand alle Briefe öffnen würde…“

Und man stelle sich vor, der Staat würde zudem die privaten Akten-Ordner durchlesen lassen… Nichts anders sind Computer-Festplatten. Der FDP-Politiker kämpft zurecht dagegen! Denn darunter leiden auch die Besserverdienenden…

Andreas Ellinger, Südwest Presse Horb, Horber Chronik

Montag

12

Januar 2009

Publikation:
Südwest Presse

 

Ressort:
Horb