Andreas Ellinger

JOURNALISMUS IN WORT UND BILD

„Gemeinsam für ein gutes Leben“

Veröffentlicht in: Arbeitswelt, Berichte

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1000 Betriebsrats-Gründungen dank Organizing: Die IG Metall mobilisiert Mitarbeiter – Betrieb für Betrieb

 

Die Betriebsrats-Gründung bei Filter-Volz war kein Zufall, sondern Teil einer neuen IGMetall-Strategie. Die Firma ist eines von 1000 Unternehmen aus dem Arbeitsbereich der Gewerkschaft, in denen – während der vergangenen 1,5 Jahre – erstmals ein Betriebsrat gewählt worden ist.

Horb/Frankfurt. „In Betrieben, in denen keine Gewerkschaft vertreten ist, gibt es weniger Demokratie, weniger Freiheit und der aufrechte Gang gestaltet sich schwierig.“ Das sagt Detlef Wetzel, der stellvertretende Bundesvorsitzende der IG Metall. Er steht für die neue Strategie der größten deutschen Gewerkschaft – das „Organizing“.

Das „Organisieren“ selbst ist allerdings nicht neu. Die Methode stammt aus den 1920er-Jahren: In den Armenvierteln von Chicago wurden die Menschen mobilisiert und dazu befähigt, gemeinsam Kräfte zu entwickeln, um ihre Interessen gegen Unternehmen und staatliche Einrichtungen durchzusetzen.

Neben der IG Metall haben in Deutschland auch die Gewerkschaft „Ver.di“ und die IG Bau dieses Handlungsprinzip erprobt.

Detlef Wetzel hat in einem Gespräch mit der SÜDWEST PRESSE erklärt, wie Organizing funktioniert: Die IG Metall sucht Betriebe aus, in denen kein Betriebsrat und keine Gewerkschaft präsent ist. Die Gewerkschafter knüpfen einen ersten Kontakt zur Belegschaft, um zu erfragen, welche Probleme es gibt und welche Themen die Mitarbeiter besonders beschäftigen.

Bei Filter-Volz mussten die Metaller gar nicht suchen… – unzufriedene Mitarbeiter gab es viele. Video-Überwachung am Arbeitsplatz, Toiletten-Besuch mit Chip-Karte, Leistungs-Kontrolle mit der Stopp-Uhr… – hinzu kamen das niedrige Lohn-Niveau und die Umgangsformen der Führungskräfte (wir berichteten). Es gab also genügend Themen, die sich eigneten, um die Mitarbeiter zu aktivieren – und das ist das zentrale Ziel, das beim Organizing verfolgt wird.

Sobald die Bedürfnisse einer Belegschaft herausgefiltert sind, hilft die IG Metall den Beschäftigen, Durchsetzungskraft zu entwickeln. Im Gegensatz zu früher wird nicht mehr auf Stellvertreter-Politik gesetzt. „Wir unterstützen die Belegschaften darin, ihr Schicksal selbst in die Hand zu nehmen und ihre Mitbestimmungsmöglichkeiten zu nutzen“, erklärt Detlef Wetzel. „Wer sich engagiert und zusammenschließt, hat am Ende Erfolg.“

Auch Filter-Volz hat einen Betriebsrat bekommen – trotz arbeitsgerichtlicher Verzögerungstaktik der Geschäftsführung.

Wie eine Revolution…

Die Volz-Leitung hat Fehler gemacht, wie sie in früheren Herrschaftssystemen zu Revolutionen geführt haben: Mitarbeiter wurden in eine Notlage versetzt, in der das Risiko des Aufbegehrens nicht größer war als die Gefahr des Gehorsams – das Aufbegehren aber wenigstens eine Chance bot, die eigene Existenz zu sichern. Konkreter: Es ging um Arbeitszeitverkürzungen und damit verbundenen Lohnabbau. Sechs Männer unterschrieben die entsprechenden Änderungsverträge nicht, weil der Einkommensverlust ihre Familien in existenzielle Schwierigkeiten gebracht hätte. Sie kämpften vor dem Arbeitsgericht und… – sie haben gewonnen! Von diesem Erfolgs-Erlebnis motiviert, riskierten sie auch eine Betriebsratsgründung – ebenfalls mit Erfolg. Einer der sechs Mitarbeiter, die geklagt haben, ist der heutige Betriebsrats-Vorsitzende Alex Rossoschanski.

Die Filter-Fabrik ist in verschiedener Hinsicht ein Paradebeispiel für die Organizing-Methoden. Dazu gehört beispielsweise die vorbereitende Recherche. So hat die IG- Metall-Verwaltungsstelle Freudenstadt die Volz’schen Geschäftsbeziehungen untersucht – und Daimler unter den Kunden ausgemacht. Das war ein Ansatzpunkt für die Gewerkschaft. Der Auto-Konzern hat Standards für nachhaltiges Handeln, die für seine Zulieferer gelten – in Bezug auf soziale, ökologische sowie ethische Aspekte. „Direkte Lieferanten von Daimler sind ausdrücklich aufgefordert, die Richtlinie innerhalb ihres eigenen Unternehmens sowie an ihre Geschäftspartner in der Zulieferkette zu kommunizieren und die Einhaltung der Standards einzufordern.“

Daimler machte Druck

Als Daimler von den Zuständen bei Volz erfuhr, bekam der Filter-Zulieferer Druck. Und siehe da: Die Geschäftsführung hat ihr arbeitsgerichtliches Vorgehen gegen die Betriebsratswahl eingestellt – und zuletzt hat Volz seine gekündigten Mitarbeiter sogar so abgefunden, dass die drohenden und teilweise schon terminierten Arbeitsgerichts-Prozesse abgesetzt wurden. Mit weiteren gerichtlichen Niederlagen wäre das Image der Horber Firma noch stärker beschädigt worden, als es das ohnehin ist.

Missstände öffentlich zu machen – auch das zählt zum Organizing. Der Nebeneffekt für die IG Metall: Sie gewinnt auf diese Weise neue Mitglieder. Und je höher der Organisationsgrad desto durchsetzungsstärker werden die Arbeitnehmer insgesamt. Die IG-Metall-Verwaltungsstelle Freudenstadt setzt deshalb gezielt auf Organizing.

Mit Gewerkschaftssekretär Robert Schuh wurde ein Experte auf diesem Gebiet verpflichtet. Er hat in den vergangenen eineinhalb Jahren an acht Betriebsrats-Gründungen mitgewirkt. Er sucht in unzähligen Feierabend-Gesprächen den Kontakt zu Arbeitnehmern, er verteilt zum Schichtende Flugblätter vor Unternehmen und er steht denen als Zuhörer und Ratgeber zur Seite, die – wie im Fall Volz geschehen – mit Kündigungen bedroht werden. Das Organizing erfordere seitens der IG Metall mehr Personal, sagt Robert Schuh. Aber dieser Einsatz werde mit zufriedenen Mitgliedern belohnt. Der neue Leitspruch der Metall-Gewerkschaft lautet: „Gemeinsam für ein gutes Leben.“ Und der stellvertretende Bundesvorsitzende Detlef Wetzel erklärt: „Das klingt zwar so harmlos wie ,Schöner Wohnen‘ –aber das ist das Radikalste, was man in der jetzigen Zeit fordern kann. Wir wollen mit den Menschen alles dafür tun, dass sie ein gutes Leben haben. Das beinhaltet unter anderem, dass sie einen sicheren Arbeitsplatz haben, fair bezahlt werden, dass die junge Generation eine gute Zukunft hat, dass man im Alter finanziell abgesichert ist und, dass sich Familie und Beruf vereinbaren lassen.“

Andreas Ellinger, Südwest Presse Horb, Horber Chronik

 

Siehe auch:

Interview mit Detlef Wetzel (26.08.2010)

Kommentar: Demokratie bis zum Werkstor (04.09.2010)

 

Samstag

4

September 2010

Publikation:
Südwest Presse

 

Ressort:
Horb