Vergiftetes Schulklima
Veröffentlicht in: Gesundheit, Kommentare
Wie geht das Landratsamt Freudenstadt mit der Gesundheit von Kindern und Jugendlichen in der Pestalozzischule und der Roßbergschule um? Das Schulklima ist gewissermaßen vergiftet: Nach 24 Stunden ohne Lüftung wurde eine Formaldehyd-Konzentration von 23 bis 56 Prozent über dem Richtwert der Weltgesundheitsorganisation gemessen (wir berichteten).
In der Pestalozzischule kamen Pentachlorphenol und Polychlorierte Biphenyle (PcB) hinzu. Welche Werte diesbezüglich konkret festgestellt wurden, hat Landrat Dr. Klaus Michael Rückert in seinem Elternrundbrief verschwiegen. Ebenso ließ er Väter und Mütter im Unklaren, um welch‘ gefährliche Substanzen es sich dabei handelt.
An der Pestalozzischule kündigte er Lüftungen vor dem Unterricht und in den Pausen als „Sofortmaßnahme“ an. Von „Maß nehmen“ kann jedoch keine Rede sein. Denn dazu müsste das Landratsamt wissen, in welcher Höhe sich die Formaldehydkonzentration zwischen den Lüftungspausen bewegt. Danach hat die SÜDWEST PRESSE in der Nacht auf Freitag gefragt – auch am Montag gab das Landratsamt keine Antwort darauf. Am Freitag hieß es: „Durch die eingeleiteten Maßnahmen bestand keine Gesundheitsgefahr für Schüler und Lehrer und wir gehen davon aus, dass auch davor keine erhöhte Gefahr bestand.“ Was soll denn das heißen? „Wir gehen davon aus…“ Das klingt nach dem Prinzip Hoffnung. Und der Schulträger geht nicht einmal davon aus, dass keine Gefahr bestand, sondern nur davon, dass „keine erhöhte Gefahr“ bestand. Das liest sich wie ein Versuch, sprachlich zu verschleiern, dass das Landratsamt keine Ahnung hat, welchen Gefahren Schüler und Lehrer ausgesetzt waren – und möglicherweise noch sind.
An der Roßbergschule kündigte der Landrat keine „Sofortmaßnahme“ an. Denn „sofort“ ist hier nichts passiert. An der Schule wurde schon im Jahr 2006 Formaldehyd festgestellt, was die Eltern offenbar bis dato nicht wussten. Damals scheinen nicht einmal gezielte Lüftungen verordnet worden zu sein – der „verbindliche Richtwert des Bundesgesundheitsamtes“ sei nicht überschritten worden, schreibt der heutige Landrat. Ob und wie oft der Schulträger seither Messungen veranlasst hat, um die Risikolage der Schüler zu überwachen und welche Werte gegebenenfalls ermittelt wurden, ist nicht bekannt. Auch dieser Teil der Anfrage wurde bis Montagabend vom Landratsamt nicht beantwortet.
Was aufgrund der Art und Weise, wie das Hospital geschlossen wurde, in Vergessenheit geraten ist: Der Landrat ist vor zweieinhalb Jahren mit dem Versprechen angetreten, transparent zu handeln. Der Kreistag täte gut daran, diesbezüglich nachzuhelfen. Dazu könnte eine Studie beitragen: Wie viele Lehrer und (ehemalige) Schüler der Roßbergschule sind an Krebs erkrankt, wie viele leiden unter anderen Krankheiten, die von Formaldehyd verursacht sein könnten? Dazu zählen ausweislich der Stoffdatenbank des Instituts für Arbeitsschutz der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung chronische Bronchialerkrankungen.
In der Roßbergschule sind im Februar Formaldehydkonzentrationen von bis zu 124 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft gemessen worden, in der Pestalozzischule zu einem unbestimmten Zeitpunkt gar 156 Mikrogramm. Zum Vergleich: Einen Referenzwert von 60 Mikrogramm hat das Institut für Arbeitsschutz der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung für Schulen vorgeschlagen – im Sommer 2012. Die Luft in Schulen solle eigentlich „entsprechend der Arbeitsstättenverordnung in der Regel Außenluftqualität aufweisen“, heißt es in dem Positionspapier. Der Referenzwert lasse zwar „keine Beurteilung der gesundheitlichen Gefährdung“ zu, aber „eine wesentliche Überschreitung des Werts kann ein Hinweis darauf sein, dass in dem Raum Emissionsquellen vorhanden sind, die möglicherweise zu gesundheitlichen Beeinträchtigungen führen können“.
Das Landratsamt ist Rechenschaft schuldig.
Andreas Ellinger, Südwest Presse Horb, Horber Chronik
Siehe auch:
Bericht: Formaldehyd an Kreisschulen (23.03.2013)
Bericht: Zwischen den Richtwerten (27.03.2013)