Daimler-Chef muss Schlappe einstecken
Veröffentlicht in: Berichte, Wirtschaft
Zetsche vs. Grässlin
Niederlage für Daimler-Chef Dieter Zetsche: Der größte Kritiker des Managers, Jürgen Grässlin, wird ihm kein Schmerzensgeld zahlen müssen.
Daimler-Chef Dieter Zetsche steht kein Schmerzensgeld des Daimler-Kritikers Jürgen Grässlin zu. Das hat das Landgericht Hamburg entschieden. Die Begründung zur Entscheidun wird – wie bei Zivilverfahren üblich – erst in einigen Wochen veröffentlicht. Grässlin hatte mehrfach den Verdacht geäußert, der Manager habe als Zeuge in einem Gerichtsprozess falsche Angaben gemacht. Diese Aussage ist ihm nach wie vor untersagt, obwohl inzwischen auch die Staatsanwaltschaft Stuttgart diesen Verdacht hat. Sie ermittelt deshalb gegen Zetsche.
Die Daimler AG geht seit rund zwei Jahren juristisch gegen Grässlin, einen Sprecher der Kritischen Aktionäre Daimler, vor. In einem Verfahrenskomplex geht es um Grässlins Äußerungen zum Rücktritt des ehemaligen Vorstandsvorsitzenden Jürgen Schrempp, in einem anderen um Aussagen zu einer Zeugen-Vernehmung des heutigen Vorstandsvorsitzenden Zetsche.
Ordnungsgeld in Höhe von 5000 Euro durchgesetzt
Daimler hat gegen Grässlin bei Berliner Gerichten insgesamt 5000 Euro Ordnungsgeld durchgesetzt – weil Grässlin mehrmals den Verdacht geäußert hatte, Zetsche habe in einem Prozess vor dem Stuttgarter Landgericht unwahr ausgesagt. Nach mehreren zivilgerichtlichen Auseinandersetzungen in Berlin ist Grässlin diese Äußerung untersagt worden. Das gilt auch, nachdem die Stuttgarter Staatsanwaltschaft ebenfalls den Verdacht hat, dass Zetsche vor Gericht falsch ausgesagt haben könnte. Sie ermittelt gegen den Daimler-Boss. Die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft richten sich zudem gegen eine Erklärung an Eides Statt, die Zetsche in vier Fällen in Verfahren gegen Grässlin eingebracht hat. Auch darin getroffenen Aussagen könnten falsch sein – so der Verdacht der Staatsanwaltschaft.
Bezüglich des Rücktritts von Jürgen Schrempp als Daimler-Chef ist Grässlin vom Hamburger Landgericht folgende Äußerung untersagt worden: „Ich glaube nicht, dass der Rücktritt freiwillig war. Ich glaube, dass er dazu gedrängt und genötigt wurde.“ Und in Verbindung damit: „Und das muss damit zusammenhängen, dass die Geschäfte nicht immer so sauber waren, die Herr Schrempp geregelt hat.“
Grässlins Zitate stammen aus Fernseh-Interviews, in denen er als Daimler-Experte befragt wurde. Grässlin hat unter anderem eine Biografie über Schrempp und Bücher wie „Das Daimler-Desaster“ veröffentlicht, in dem er unter anderem wirtschaftliche Fehlentscheidungen in der Ära Schrempp anprangert. Die Bücher sind nicht Gegenstand einer juristischen Auseinandersetzung, sondern lediglich die Einschätzungen, die Grässlin in Interviews geäußert hat.
Daimler, Schrempp und Zetsche nutzen bei der juristischen Auseinandersetzung mit Grässlin den Umstand, dass beide Fernseh-Interviews bundesweit ausgestrahlt wurden. Die Kläger betrachten jeden Ort, an dem das Interview empfangen werden konnte, als Tatort – und in der Folge kann der Gerichtsstand beliebig gewählt werden. Daimler kann sich also Gerichte aussuchen, die dem Konzern geeignet erscheinen, um sein rechtliches Anliegen durchzusetzen.
Nachdem der Konzern wiederholt Recht bekommen hat, stand Grässlin vor der Wahl, die entsprechenden Einschätzungen künftig nicht mehr zu äußern oder den kostspieligen Weg bis in die höchste gerichtliche Instanz zu gehen. Grässlin hat sich entschieden, um seine Meinungsfreiheit zu kämpfen. Gerichts- und Anwaltskosten sowie Ordnungsgelder haben inzwischen mehr als 50.000 Euro betragen, wie er sagt. Vor dem Landgericht Hamburg erklärte er: „Hier geht es nicht darum, sich auf die Sachebene der Argumente einzulassen, sondern mich als Kritiker von Daimler mundtot zu machen, und zwar finanziell mundtot zu machen.“
Was Grässlins Äußerungen zu Schrempps Rücktritt betrifft, soll Daimler zunächst versucht haben, bei Gerichten in Köln und München einstweilige Verfügungen gegen den Konzern-Kritiker zu erwirken, wie Grässlin in einer Verhandlung vor dem Hamburger Oberlandesgericht sagte. Und nachdem die dortigen Gerichte das aus Gründen der Meinungsfreiheit abgelehnt hätten, sei das Verfahren nach Hamburg verlegt worden. Sein Anwalt Holger Rothbauer ergänzte: „Niemand hat bezüglich des Interviews einen Bezug hier, außer dass heute übers Internet jede Sendung weltweit empfangen werden kann. Man könnte den Prozess auch in Miami führen.“ Die Pressekammer des Hamburger Landgerichts hat den Ruf, die Persönlichkeitsrechte zu Lasten der Meinungsfreiheit sehr hoch zu bewerten.
Im Falle der Zetsche-Äußerungen Grässlins, wegen der Daimler die Ordnungsgelder aus Berlin nicht mehr ausreichend erschienen, wählte der Konzern beziehungsweise sein Vorstandvorsitzender für die Schadensersatzklage wiederum das Landgericht Hamburg als Gerichtsstand.
„Wir müssen weitere präventive Maßnahmen einleiten“
Richter Andreas Buske hatte schon während der Verhandlung im November gesagt: „Wir meinen, dass ein hinreichendes Maß an Eingriffsintensität nicht gegeben ist.“ Für ein Schmerzensgeld müsse eine schwere Persönlichkeitsverletzung und ein hinreichendes Maß an Verschulden gegeben sein. Außerdem müsse erörtert werden, inwiefern andere Ausgleichsmöglichkeiten bestehen.
Zetsche-Anwalt Christian Schertz argumentierte, dass die bisherigen Ordnungsgelder nicht ausgereicht hätten, um Grässlin davon abzuhalten, seine Äußerungen zu wiederholen – es hätten bereits drei Ordnungsgelder verhängt werden müssen. Künftig „müssen wir weitere präventive Maßnahmen einleiten“ – die Klage auf Schmerzensgeld. Das Gericht sah aber schon in der Verhandlung „keine tragfähige Grundlage“ für eine Geldentschädigung. Die Urteilsbegründung steht noch aus.
Schertz hatte in der Verhandlung angekündigt: „Wir werden auch das Oberlandesgericht fragen, wie sie die Sache sehen.“ Ob das tatsächlich geschieht, soll bei Daimler aber noch nicht entschieden sein.
Im Falle der Grässlin-Äußerungen zum Schrempp-Rücktritt hat Daimler im Dezember in der zweiten Instanz gewonnen. Wie schon das Landgericht Hamburg sah auch das dortige Oberlandesgericht keine ausreichenden Anknüpfungstatsachen vorliegen, die Grässlins Aussage rechtfertigen würden, Schrempp sei zum Rücktritt gedrängt worden – auch weil seine Geschäfte nicht immer so sauber gewesen seien.
Schrempp und Daimler argumentierten, der Rücktritt sei freiwillig gewesen und Schrempp habe keine unsauberen Geschäfte gemacht. Grässlin und sein Anwalt Rothbauer hielten dagegen, dass Schrempp aus einem Vertrag ausgestiegen sei, der erst ein paar Monate vorher verlängert worden sei und bis Ende 2008 gegolten habe. Das sei untypisch. Grässlin sei außerdem nicht der Einzige, der den Rücktritt als unfreiwillig gewertet habe.
Grundsätzlich betonte Grässlin, dass er seine Interview-Antworten mit Formulierungen wie „Ich muss jetzt mutmaßen…“ und „Ich glaube, dass…“ eingeleitet habe. Bezüglich der „unsauberen Geschäfte“ Schrempps argumentierte er unter anderem mit Ermittlungen, die von der amerikanischen Börsenaufsicht SEC gegen Daimler und Schrempp geführt würden. Es gehe dabei um den Verdacht, der Konzern habe Bestechungsgelder gezahlt und schwarze Kassen geführt.
Das reichte der Vorsitzenden Richterin Marion Raben nicht aus. Von unsauberen Geschäften Schrempps dürfe nur gesprochen werden, wenn gesagt werden könne, welches illegale oder anrüchige Geschäft von Schrempp persönlich getätigt worden sei.
Eine „Hamburger Besonderheit“
Grässlin-Anwalt Rothbauer bezeichnete es als „Hamburger Besonderheit“, dass in der Auseinandersetzung um die Meinungsfreiheit Anknüpfungstatsachen verlangt würden, die einem „vollumfänglichen Tatsachenbeweis wie bei wahren oder unwahren Tatsachen“ entsprächen. Grässlin sagte: „Bei allem, was ich jetzt sage, kann man natürlich immer sagen: Schrempp war nicht informiert. Die Frage ist nur, wie ein Vorstandsvorsitzender nicht informiert sein kann über Graumarktgeschäfte, über schwarze Kassen, über Steuerhinterziehung und Korruption in zwölf Ländern.“
Zudem sprach er eine Schadensersatzklage an, die Daimler 300 Millionen Dollar gekostet habe. Nur einen Teil davon habe eine Versicherung übernommen, den Rest hätten die Aktionäre bezahlt. Und das nur, weil Schrempp den Zusammenschluss von Daimler und Chrysler als „Merger of Equals“ (eine Fusion ebenbürtiger Unternehmen) ausgegeben habe – später aber in einem Interview davon gesprochen habe, dass er Chrysler von Anfang an zu einer Abteilung habe machen wollen. Das habe zu der Millionenzahlung geführt.
Was Grässlin berichte, deute daraufhin, dass unter der Ägide von Schrempp bei Daimler „schlimme Dinge gelaufen sind“, sagte die Vorsitzende Richterin. Raben. Um Grässlins Aussage vom unfreiwilligen Rücktritt Schrempps und angeblich unsauberen Geschäften zu stützen, reichte es aber nicht – das Oberlandesgericht Hamburg wies die Berufung Grässlins gegen das Urteil des Landgerichts Hamburg zurück. Rechtsanwalt Rothbauer hatte das schon während der Verhandlung befürchtet: „Was Sie hier versuchen, ist schlicht, das Persönlichkeitsrecht über Artikel 5 des Grundgesetzes zu stellen.“ Im Grundgesetz heißt es: „Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten.“ Vor diesem Hintergrund wollen Grässlin und sein Anwalt Rothbauer bis vors Bundesverfassungsgericht oder gar bis vor den Europäischen Gerichtshof ziehen.
Andreas Ellinger, sueddeutsche.de, Wirtschaft
Siehe auch:
Bericht: Daimler inside (16.11.2007)
Bericht: Daimler: Zetsche erklärt sich (28.11.2007)
Feature: Schrempp auf Ebay (17.01.2008)
Bericht: Warum der Daimler-Chef verloren hat (18.01.2008)
Bericht: Maulkorb für lästigen Kritiker (31.03.2008)
Bericht: Daimler-Chef zieht Klagen gegen Konzernkritiker zurück (03.06.2008)
Feature: Staatsanwaltschaft Stuttgart pro Zetsche (16.11.2008)