Andreas Ellinger

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Daimler-Chef zieht Klagen gegen Konzernkritiker zurück

Veröffentlicht in: Berichte, Wirtschaft

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Zetsche vs. Grässlin

 

Daimler-Chef Dieter Zetsche will den jahrelangen Rechtsstreit mit dem Konzernkritiker Jürgen Grässlin beenden. Die noch offenen Verfahren in Hamburg und Berlin werden nicht weiterverfolgt, eine Klage gegen Grässlin kurzfristig zurückgenommen.

Vor dem Berliner Landgericht hätte es am Dienstag die nächste juristische Runde zwischen Daimler und Dieter Zetsche auf der einen und Jürgen Grässlin auf der anderen Seite geben sollen. Doch die Anwaltskanzlei von Christian Schertz aus Berlin, die den Automobilkonzern und seinen Vorstandsvorsitzenden vertritt, hat am Montagabend die Klage zurückgezogen. Grässlin-Anwalt Holger Rothbauer aus Tübingen wäre beinahe vergeblich nach Berlin gereist – das Fax des Daimler-Anwalts kam erst am Abend, nur noch zufällig war die Kanzlei besetzt.

Thema der Verhandlung vor dem Landgericht sollte eine Pressemitteilung der „Kritischen Aktionäre Daimler-Chrysler“ (heute: „Kritische Aktionäre Daimler“) sein, die Buchautor Grässlin auf seiner Internetseite veröffentlicht hatte. Grässlin ist einer der Sprecher der Kritischen Aktionäre, betont aber, dass er diese Pressemitteilung nicht verfasst habe.

250.000 Euro Strafe angedroht

Daimler und Zetsche sehen das anders. Sie legen die Inhalte der Pressemitteilung Grässlin zur Last. Darin geht es um Dokumente und Beweismittel, die den Verdacht nahelegen sollen, dass eine Zeugenaussage von Dieter Zetsche in einem Gerichtsverfahren gegen einen Spediteur falsch gewesen sein könnte. Diese Verdachtsäußerung der Kritischen Aktionäre wollten Daimler und Zetsche ihrem Dauer-Kritiker Grässlin untersagen lassen – und zwar so, dass Grässlin bei Zuwiderhandlung bis zu 250.000 Euro zahlen muss. Begründung: Die Verdachtsäußerung sei ehrkränkend und falsch.

Eben wegen des Verdachts der Falschaussage ermittelt aber seit rund einem halben Jahr die Staatsanwaltschaft Stuttgart gegen den Daimler-Chef – und zwar ausgelöst von den Dokumenten, die Grässlin den Ermittlern übergeben hatte. Das Ermittlungsverfahren gegen Zetsche dauert an, wie eine Sprecherin der Staatsanwaltschaft Stuttgart am Dienstag sagte. Neben dem Verdacht der uneidlichen Falschaussage vor Gericht geht es auch darum, ob Zetsche in einer Versicherung an Eides statt falsche Angaben gemacht hat, die er in mehrere Verfahren gegen Grässlin eingebracht hat.

Weil das alles seit Monaten bekannt ist, drängt sich vor allem eine Frage auf: Warum wurde die Klage am Montagabend kurzfristig zurückgenommen? Eine Daimler-Sprecherin teilte dazu auf Anfrage mit: „Die Daimler AG und ihr Vorstandvorsitzender Dr. Dieter Zetsche haben sich entschlossen, die noch anhängigen Verfahren gegen Jürgen Grässlin nicht weiterzuverfolgen. Da sie bisher alle Unterlassungsverfahren gewonnen haben, wird man nun mit den beiden noch offenen Verfahren die Gerichte in Berlin und Hamburg nicht weiter beschäftigen.“ Die angesprochenen Unterlassungsverfahren waren allerdings im Februar schon gewonnen, als Daimler und Zetsche die Klage in Berlin erhoben hatten.

Dasselbe gilt für eine Klage auf Schmerzensgeld, welche der Daimler-Chef in erster Instanz verloren hat und in nächster Instanz vor dem Hanseatischen Oberlandesgericht verhandelt werden sollte. Auch davon nimmt Zetsche Abstand. Dazu die Erklärung des Konzerns: „Es ist Dieter Zetsche nie um die Einklagung eines Schmerzensgeldes für sich selbst gegangen, sondern nur um die Unterlassung. Diesen Anspruch hatte das Gericht ja durchaus anerkannt.“ Das Hamburger Landgericht hatte es Anfang des Jahres abgelehnt, ein Schmerzensgeld in Höhe von 50.000 Euro zu verhängen.

Frühere Auseinandersetzungen um Äußerungen Grässlins, in denen er Konzernchef Zetsche der Falschaussage verdächtigt hatte, hat Daimler gewonnen. Damals hatte die Staatsanwaltschaft Stuttgart allerdings noch kein Ermittlungsverfahren gegen Zetsche wegen des Verdachts auf Falschaussage eingeleitet.

Grässlin-Anwalt Holger Rothbauer sagte am Dienstag: „Mit den sehr substantiellen und außerordentlich ernstzunehmenden staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen ist die Daimler-Strategie des Verharmlosens nicht aufgegangen. Dass Zetsche und Daimler jetzt vor dem Landgericht Berlin eingeknickt sind, ist aus meiner Sicht als deutlichstes Signal zu werten, dass das staatsanwaltschaftliche Ermittlungsverfahren nicht mehr ignoriert werden kann. Mit dem Rückzug in Berlin wird auch das morbide Kartenhaus des neuerlichen Schmerzensgeldverfahrens vor dem Hanseatischen Oberlandesgericht zusammenbrechen, das Zetsche gegen Grässlin initiiert hat.“

Dieses Szenario hat Zetsche jetzt mit seiner Erklärung zur Rücknahme der Klage ausgeschlossen.

Andreas Ellinger, sueddeutsche.de, Wirtschaft

 

Siehe auch:

Bericht: Daimler inside (16.11.2007)

Bericht: Daimler: Zetsche erklärt sich (28.11.2007)

Bericht: Daimler-Chef muss Schlappe einstecken (11.01.2008)

Feature: Schrempp auf Ebay (17.01.2008)

Bericht: Warum der Daimler-Chef verloren hat (18.01.2008)

Bericht: Maulkorb für lästigen Kritiker (31.03.2008)

Feature: Staatsanwaltschaft Stuttgart pro Zetsche (16.11.2008)

Dienstag

3

Juni 2008

Publikation:
sueddeutsche.de

 

Ressort:
Wirtschaft