Andreas Ellinger

JOURNALISMUS IN WORT UND BILD

Staatsanwaltschaft Stuttgart pro Zetsche

Veröffentlicht in: Features, Justiz

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Was für eine Einstellung…

 

Die Automobilbranche steckt in der Absatzkrise. Wenn die Autos vergleichsweise teuer sind und relativ viel Sprit verbrauchen, kann das den Verkauf zusätzlich bremsen. Daimler-Boss Dr. Dieter Zetsche hat folglich auch noch andere Sorgen als das Ermittlungsverfahren, das die Staatsanwaltschaft Stuttgart gegen ihn wegen des Verdachts auf falsche Aussagen führt.

Doch Zetsche kann etwas Aufatmen: Der ermittelnde Staatsanwalt scheint ein Einsehen zu haben, dass der mächtigste Manager Deutschlands ein Ehrenmann ist und hat in diesem Monat immerhin einen Teil des Verfahrens eingestellt. Seit einem Jahr dauerten diese Ermittlungen an – damit es nicht noch länger geht, hat die Staatsanwaltschaft sogar darauf verzichtet, mögliche Belastungszeugen zu vernehmen.

Es geht um Aussagen von Zetsche, die er im Jahr 2002 als Zeuge in einem Prozess gegen den Spediteur Gerhard Schweinle und dessen Geschäftsführer Kai-Uwe Teich vor dem Stuttgarter Landgericht gemacht hat. Die Spedition Schweinle war in so genannte Graumarkt-Geschäfte verwickelt: Das waren in diesem Fall Mercedes-Verkäufe am exklusiven Händlernetz des Autoherstellers vorbei. Nach EU-Recht hat sich Daimler dazu verpflichtet, solche Graumarkt-Geschäfte zu unterlassen. Als Zeugen vernommene Daimler-Mitarbeiter wollten für diese Geschäfte nicht verantwortlich sein. Ihre Aussagen führten dazu, dass Schweinle und Teich wegen Betrugs zu Lasten der damaligen Daimler Chrysler AG verurteilt wurden – unter ihnen war der heutige Vorstands-Chef Dr. Dieter Zetsche.

Das Urteil des Stuttgarter Landgerichts wurde später vom Bundesgerichtshof in Leipzig aufgehoben. Was den angeblichen Vermögensschaden von Daimler Chrysler betraf, stellte der Bundesgerichtshof fest: „Letztlich übernimmt das Landgericht dabei nur Behauptungen der als Zeugen einvernommenen Mitarbeiter der Daimler Chrysler Vertretung Deutschland.“ In der Folge gingen Anzeigen bei der Staatsanwaltschaft Stuttgart ein, in denen dem heutigen Vorstands-Chef Dieter Zetsche und andere Daimler-Zeugen vorgeworfen wird, sie hätten in dem Landgerichts-Prozess gegen Schweinle und Teich falsch ausgesagt.

Eingereicht worden sind die Anzeigen von Spediteur Gerhard Schweinle und Autor Jürgen Grässlin, einem Sprecher der „Kritischen Aktionäre Daimler“. Grässlin hat in seinem Buch „Abgewirtschaftet – Das Daimler Desaster geht weiter“ den Justiz-Krimi um das Schweinle-Teich-Verfahren geschildert. Die Inhalte des Buchs sind juristisch unstreitig. Das Grässlin in Interviews jedoch gesagt hat, Dieter Zetsche und andere Daimler-Mitarbeiter hätten als Zeugen vor dem Landgericht falsch ausgesagt, das wollte der Daimler-Boss nicht auf sich sitzen lassen und ging mit mehreren Zivilklagen gegen Grässlin vor. Weil das fragliche Interview in einem ARD-Magazin bundesweit zu empfangen war, konnte sich Daimler den Gerichtsort aussuchen – und entschied sich für Berlin und Hamburg. Dort sitzen Richter, die den Ruf haben, sie würden zu Gunsten des Persönlichkeitsschutzes und zu Lasten der Meinungsfreiheit urteilen.

Daimler beziehungsweise Dieter Zetsche bekamen so lange Recht, bis die Staatsanwaltschaft Stuttgart gegen Zetsche Ermittlungen aufgenommen hat – aufgrund von Beweismaterial, das Grässlin und sein Tübinger Anwalt Holger Rothbauer der Staatsanwaltschaft übergeben haben. Einerseits besteht der Verdacht, Zetsche könnte als Zeuge vor dem Landgericht Graumarktgeschäfte geleugnet haben, von denen er gewusst haben könnte. Andererseits hat er in einer Versicherung an Eides Statt erklärt, er sei in jenem Prozess gegen Spediteur Schweinle gar nicht zu „Graumarktgeschäften generell“ befragt worden.

Diese eidesstattliche Versicherung hat Zetsche in mehreren Zivilverfahren gegen Grässlin eingebracht, mit denen Grässlin dazu gezwungen werden sollte, seinen Falschaussage-Verdacht gegen Zetsche nicht mehr zu äußern. Denn Grässlin begründete seinen Verdacht mit Aussagen, die Zetsche als Zeuge zu Graumarkt-Geschäften gemacht haben soll.

50000 Euro Schmerzensgeld verlangte der Daimler-Boss wegen der Anschuldigungen von Grässlin. Diese Schmerzensgeld-Klage brachte Zetsche Anfang 2008 seine erste Niederlage ein. Die Staatsanwaltschaft Stuttgart hatte zwischenzeitlich denselben Verdacht, wie Grässlin ihn in Interviews geäußert hatte – und deshalb hat die Behörde gegen Zetsche ermittelt. Bevor es in die zweite Schmerzensgeld-Instanz ging, ließ Daimler beziehungsweise Zetsche die Klage fallen. Auch auf ein zivilgerichtliches Hauptsacheverfahren wegen einer Pressemitteilung, die Grässlins Verdachts-Äußerungen gegen Zetsche enthielt, verzichteten der Auto-Konzern und sein Boss – obwohl es eine einstweilige Verfügung gegen Grässlin in dieser Sache bereits gab. Aber jene stammte aus der Zeit, bevor die Stuttgarter Staatsanwaltschaft ihr Ermittlungsverfahren gegen Zetsche eröffnet hatte.

Was wollte der Daimler-Boss mit seiner Versicherung an Eides Statt, in der er unter anderem schrieb: „Ich bin anlässlich der gerichtlichen Vernehmung vor dem Landgericht Stuttgart nicht über Graumarktgeschäfte generell befragt worden. Gegenstand der Befragung war ausschließlich die Vertragsbeziehung zwischen der Daimler-Chrysler AG und der Firmengruppe Schweinle.“ Er wollte Grässlin widerlegen, der seinen Falschaussage-Verdacht mit angeblichen Aussagen des Zeugen Zetsche zu Graumarktgeschäften belegte.

Die Stuttgarter Staatsanwaltschaft schreibt in dieser Frage: „Die Auswertung der vorhandenen Unterlagen lässt allerdings erkennen, dass der Beschuldigte im Rahmen seiner Zeugenvernehmung beim Landgericht Stuttgart auch Angaben über ,Graumarktgeschäfte’ und Anstrengungen zu deren Unterbindung gemacht hat, die über die konkrete Geschäftsbeziehung der Daimler(Chrysler) AG zum damaligen Angeklagten Schweinle hinausgingen.“ Dieses Ergebnis musste übrigens deshalb ermittelt werden, weil es von der fraglichen Landgerichts-Verhandlung weder ein Inhalts- noch ein Wort-Protokoll gibt, in dem die Zeugen-Vernehmung von Dieter Zetsche festgehalten wäre.

Aufgrund der veränderten Sachlage begannen die Zetsche-Anwälte die Eidesstattliche Versicherung ihres Mandant auf den wortwörtlichen Sinn zu beschränken: Demnach hat sich Zetsche darin gar nicht dazu geäußert, was er als Zeuge vor dem Stuttgarter Landgericht zu „Graumarktgeschäften generell“ gesagt hat – sondern nur dazu, dass er zu diesem Thema nichts gefragt worden sei. Was diese Einlassung dann in den Zivilverfahren gegen Kritiker Grässlin sollte? Jener hatte nie mit Fragen argumentiert, die Zetsche im entsprechenden Landgerichts-Prozess gestellt worden sein sollen, sondern nur mit Zetsches Antworten… Die Staatsanwaltschaft Stuttgart erklärt dazu: „Setzt man sich mittels einer eidesstattlichen Versicherung gegen den Vorwurf der Falschaussage zur Wehr, dürfte es auch eher darauf ankommen, was man als Zeuge gesagt hat und weniger, was man gefragt worden ist.“ Die Staatsanwaltschaft hält diesen Umstand allerdings nicht für maßgeblich, sondern vielmehr: „Zugunsten des Beschuldigten muss von dieser wörtlichen Auslegung des Begriffs ,befragt werden’ ausgegangen werden.“ Ergebnis: „Die damit entscheidende Frage, ob den Ausführungen des Beschuldigten zu Graumarktgeschäften im Unternehmensbereich im Allgemeinen eine konkrete Frage eines Prozessbeteiligten vorausging, ist nicht mehr mit der erforderlichen Sicherheit feststellbar. Die im damaligen Strafverfahren beteiligten Mitglieder der Strafkammer sowie die Staatsanwältin konnten sich hierzu und an Einzelheiten der Zeugenvernehmung des Beschuldigten nicht mehr erinnern. Der damalige Angeklagte Schweinle und seine Ehefrau gaben im vorliegenden Ermittlungsverfahren in gleichlautenden Erklärungen zwar an, es habe eine entsprechende Frage zur Graumarkthematik allgemeine im Unternehmensbereich an den Beschuldigten gegeben. Angesichts des Zeitablaufs von nahezu sechs Jahren seit der Zeugeneinvernahme des Beschuldigten lässt sich jedoch auch hieraus nicht mit der erforderlichen Sicherheit entnehmen, ob den in Rede stehenden Angaben des Beschuldigten konkrete Fragen von Verfahrensbeteiligten vorausgingen.“ Deshalb hat die Staatsanwaltschaft Stuttgart diesen Teil des Ermittlungsverfahrens gegen Dieter Zetsche eingestellt, wie am Freitag bekannt wurde.

Sehr gewundert haben dürfte sich darüber der Rechtsanwalt Peter Müller, der einstige Strafverteidiger des Spediteurs Schweinle. Er sagte am Donnerstagabend noch: „Ich kann mir nicht vorstellen, dass die Staatsanwaltschaft dieses Verfahren einstellen kann, ohne die mögliche Erkenntnis-Quelle des damaligen Verteidigers genutzt zu haben.“ Der ermittelnde Staatsanwalt habe ihm vor einigen Monaten bereits angekündigt, er werde wegen des Ermittlungsverfahrens gegen Dieter Zetsche noch auf ihn zukommen, berichtete Peter Müller. „Er kam aber nie.“ Nach den Inhalten der Zeugen-Befragung Zetsches gefragt, antwortete der Jurist aus dem Stegreif: „Jedenfalls war in der Phase meiner Befragung von Graumarktgeschäften allgemein die Rede.“

Grässlin-Anwalt Holger Rothbauer aus Tübingen kritisiert, dass mehrere Prozessbeteiligten nicht vernommen worden seien: „So hätten mindestens vier Teilnehmer, darunter ein Stuttgarter Rechtsanwalt, vermutlich bestätigen können, dass der frühere Daimler-Vertriebs-Chef Zetsche sehr wohl zu ,Graumarktgeschäften im Generellen’ befragt worden ist.“ Er hat angekündigt, er werde im Auftrag seines Mandanten Beschwerde gegen die Einstellungsverfügung der Staatsanwaltschaft einlegen. Die „Kritischen Aktionäre Daimler“ schreiben in einer Pressemitteilung: „Da entscheidende Zeugen – aus welchen Gründen auch immer – nicht dazu vernommen wurden, sind der Staatsanwaltschaft schwerwiegende Versäumnisse und Wertungsfehler vorzuwerfen, die in einem ordentlichen und alle gelich behandelnden Rechtsstaat eine Wiederaufnahme der Ermittlungen unumgänglich machen.“

Was seine Aussage als Zeuge vor dem Landgericht angeht, dauern die Ermittlungen gegen Dieter Zetsche wegen des Verdachts der Falschaussage an. Gegen den ehemaligen Pkw-Vertriebs-Chef Deutschland von Daimler-Chrysler, Jürgen Fahr, soll demnächst der Meineids-Prozess eröffnet werden. Auch er hatte gegen Schweinle und Teich ausgesagt.

Wie sagte der damalige Angeklagte und Schweinle-Geschäftsführer Kai-Uwe Teich unter dem Eindruck von zwei Jahren Haft, die mit einem Fehlurteil des Stuttgarter Landgerichts endeten? „In Stuttgart gilt nicht das Recht eines unbescholtenen Bürgers, sondern das des Konzerns Daimler-Chrysler.“

Andreas Ellinger

 

Siehe auch:

Bericht: Daimler inside (16.11.2007)

Bericht: Daimler: Zetsche erklärt sich (28.11.2007)

Bericht: Daimler-Chef muss Schlappe einstecken (11.01.2008)

Feature: Schrempp auf Ebay (17.01.2008)

Bericht: Warum der Daimler-Chef verloren hat (18.01.2008)

Bericht: Maulkorb für lästigen Kritiker (31.03.2008)

Bericht: Daimler-Chef zieht Klagen gegen Konzernkritiker zurück (03.06.2008)

Sonntag

16

November 2008