Andreas Ellinger

JOURNALISMUS IN WORT UND BILD

Muss dieser Mann ab Mittwoch obdachlos sein?

Veröffentlicht in: Berichte, Soziales

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Dem herzkranken Rentner Alfons Glatthaar aus Altheim droht die Zwangsräumung

 

Alfons Glatthaar – ein herzkranker Rentner aus Altheim, dessen Rente kaum zum Leben reicht – sucht eine Wohnung, wie es sie im Raum Horb nicht zu geben scheint. Sie muss in Preis und Größe den Vorgaben des Sozialamtes entsprechen und verkehrsgünstig liegen – wegen Glatthaars Krankheiten und mangels Auto. Wenn er bis kommenden Mittwoch keine Wohnung mehr findet, wird er vom Gerichtsvollzieher per Zwangsräumung vor die Tür gesetzt.

Horb. Die letzte Frist zum Auszug ist fast verstrichen: Am kommenden Mittwoch muss Alfons Glatthaar seine Wohnung verlassen. Seine Vermieterin hatte ihm „wegen Eigenbedarfs“ gekündigt. In einem gerichtlichen Vergleich am 17. Oktober 2005 hatte sich Glatthaar – mangels Alternative – zu einem Auszug bis am 30. September 2006 bereiterklärt. Sein Rechtsanwalt Winfried Mühlebach hat mit einem Räumungs- Schutz-Antrag für weiteren Aufschub gesorgt. Das Amtsgericht Horb hatte dem stattgegeben, die Entscheidung wurde jedoch vom Rottweiler Landgericht aufgehoben. Der Gerichtsvollzieher hat Alfons Glatthaar mitgeteilt: „Ich werde die Räumung am Mittwoch, den 28. Februar 2007, 8 Uhr, an Ort und Stelle vornehmen, falls Sie bis zum obigen Termin nicht freiwillig ausgezogen sind.“ So wird es voraussichtlich kommen.

Alfons Glatthaar hat in den vergangenen Wochen zwei Zeitungs- Annoncen geschalten und auf unzählige Vermietungs-Anzeigen reagiert. Auf der Ablage seiner Eckbank stapeln sich die Zettel mit Telefonnummern. Doch die Bemühungen waren vergebens: Die Wohnungen waren zu groß, zu teuer oder sie hatten steile Treppen und eine Vermieterin wollte ohne Miet-Vertrag vermieten, was Glatthaar den Miet-Zuschuss des Sozialamtes und den Kündigungsschutz gekostet hätte. Das Sozialamt, das Alfons Glatthaar mit gut 100 Euro pro Monat unterstützt, hat in einem schriftlichen Bescheid erklärt: Die Wohnung darf nicht größer als 45 Quadratmeter sein und nicht mehr als 4,50 Euro (kalt) pro Quadratmeter und Monat kosten. Die Freudenstädter Landkreis-Behörde orientiert sich mit diesem Satz am Wohnraum-Förderprogramm Baden-Württembergs. Jenes schreibt für den Raum Horb vor, dass ein Vermieter maximal 4,20 Euro pro Quadratmeter verlangen darf, wenn er den Wohnungsbau vom Land gefördert haben will.

In der Realität ist dieser Mietsatz wohl allenfalls vereinzelt anzutreffen. Das belegt eine Anfrage bei der Horber Baugesellschaft, die bekannt dafür ist, dass sie unter anderem günstige Objekte hält, um sie an sozial schwache Bürger vermieten zu können. Ihre niedrigste Miete liegt bei 4,70 Euro pro Quadratmeter – in einem Altbau aus den 40er-Jahren, der weder saniert noch modernisiert ist, und mit Öl-Einzelöfen beheizt wird. Und ein Blick in den Horber Wohnungsmarktbericht der „Immobilien Scout GmbH“ zeigt, dass die Nachfrage für Ein- bis Zwei-Zimmer-Wohnungen in Horb fast doppelt so hoch ist wie das Angebot.

Aufgrund eines Herzinfarkts, seines Bluthochdrucks und einer Nervenkrankheit in den Beinen hätte Alfons Glatthaar sich gerne eine „betreute Wohnung“ genommen. Auch hier gab es ein Größen- und Kostenproblem. Die einzige betreute Wohnung, die in Horb frei gewesen wäre, hätte 499 Euro pro Monat gekostet und 56 Quadratmeter gehabt. Das Sozialamt Freudenstadt war nicht bereit den höheren Preis zu tragen – auch nicht übergangsweise, weil nicht abzusehen gewesen wäre, wann eine kleinere „betreute Wohnung“ frei wird.

Die katholische Spitalstiftung führt für ihre betreuten Wohnungen eine Warteliste mit 30 Leuten – betreute Wohnungen unter 50 Quadratmetern gebe es fast nicht, erklärt Stiftungs-Direktor Peter Silberzahn. Gebaut würden Wohnungen, die wahlweise mit ein oder zwei Personen belegt werden könnten und folglich größer seien. Das Sozialamt teilte auf Nachfrage mit: „Für Sozialhilfe-Empfänger sind betreute Wohnungen einfach zu teuer.“ 5,50 Euro pro Quadratmeter seien das absolute Maximum, was zugestanden werde – wenn beispielsweise eine Einbauküche in der Wohnung sei.

Im Fall von Alfons Glatthaar verweist das Sozialamt darauf, dass der 66-Jährige zu lange mit der Wohnungssuche gewartet habe. Dass er erst in den vergangenen Wochen intensiv gesucht hat, räumt der Betroffene ein. Er habe gewusst, dass er unter diesen Bedingungen nichts finde, sagte er – und die Marktlage scheint ihm Recht zu geben. Das Sozialamt hat ihm zwischenzeitlich Miet-Angebote aus dem Raum Baiersbronn zukommen lassen und verweist auf die guten Einkaufs-Verhältnisse in der Gemeinde. Aus Sicht von Alfons Glatthaar ist Baiersbronn jedoch ungeeignet – und die Teilorte sowieso. Er habe kein Auto und sei aufgrund seiner Nervenkrankheit sehr schlecht zu Fuß, sagt er. So kauft er bisher nicht einmal in Altheim ein, weil er dazu einen Berg hinunterlaufen müsste – er läuft ebenerdig zur Bushaltestelle, die 50 bis 100 Meter vom Haus entfernt ist, und fährt mit dem Bus nach Horb.

Was Gesetze und Richtlinien von Behörden nicht berücksichtigen, ist die Psyche der Betroffenen, deren Belastung möglicher Weise auch zu vermeintlich unlogischen Entscheidungen führen kann. Glatthaar schildert, wie er unter Streitigkeiten mit seinen Mietern leidet, wie er aus diesem Grund sogar eine Operation an seinen Beinen vor sich hergeschoben und schließlich verschoben habe. Sein Arzt schrieb am 7. Dezember in einem Attest: „Der Patient leidet an einer chronischen Herzerkrankung. Seine momentane Wohnungs-Situation und die dadurch verbundenen Aufregungen stellen für die Gesundheit des Patienten eine Gefährdung dar.“

Wie Alfons Glatthaar in diese Notlage gekommen ist? Er gehört zur Kriegs-Generation: 1941 geboren, übernahm er mit 15 als jüngstes von drei Kindern die elterliche Landwirtschaft, weil der Vater gestorben war. Er sorgte für das wirtschaftliche Auskommen der Mutter und begann sich nebenher als Fließenleger mit Hilfsarbeiter-Status durchzuschlagen. Eine Ausbildung hat er nie abgeschlossen – und mit Mitte 50 wurde er in Folge seines Herzinfarktes arbeitsunfähig. Eine geschiedene Ehe mit drei Kindern bescherte ihm zusätzliche Schwierigkeiten.

575,24 Euro Rente reichen Alfons Glatthaar kaum zum Leben. „Wenn das Geld vor Monatsende aus war, dann konnte ich halt nicht mehr einkaufen“, sagt er und muss schlucken, um die Tränen zu unterdrücken. Wenn er badet, verwendet er das Wasser, um die Toilette zu spülen. In Schlafzimmer, Küche und Hausflur heizt er nie, um zu sparen.

Sollte Alfons Glatthaar bis Dienstag wenigstens nachweisen können, dass er ab 1. April eine Wohnung hat, so würde ihn das vor der Obdachlosigkeit bewahren – weil dann wahrscheinlich nochmal ein einmonatiger Räumungs-Aufschub möglich wäre, wie sein Rechtsanwalt meint.

Findet der 66-Jährige bis dahin keine Wohnung, wird der Gerichtsvollzieher ihn wohl im Erdgeschoss des städtischen Obdachlosen-Hauses am Marktplatz absetzen. Dort müsste der kranke Mann mit Holz und Kohle heizen – in Einzelöfen. Und mit der Adresse „Marktplatz 22“ werde er wohl nie mehr eine andere Wohnung finden, fürchtet Alfons Glatthaar: „Das wäre meine Ende – auch gesundheitlich.“

Andreas Ellinger, Südwest Presse Horb, Horber Chronik

 

Siehe auch:

Die Ärmsten sind in Horb arm dran (01.03.2007)

Diakon: „Das geht so nicht!“ (02.03.2007)

Keine Perspektive für OBdachlosen Rentner (03.03.2007)

Obdachloser Rentner liegt im Krankenhaus (05.03.2007)

Ein Zimmer für Alfons Glatthaar (08.03.2007)

 

Samstag

24

Februar 2007

Publikation:
Südwest Presse

 

Ressort:
Horb