Andreas Ellinger

JOURNALISMUS IN WORT UND BILD

Die Ärmsten sind in Horb arm dran

Veröffentlicht in: Berichte, Soziales

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Gerichtsvollzieher holte kranken Rentner aus der Wohnung / Was die Stadt Obdachlosen zumutet…

 

Die Wohnung von Alfons Glatthaar ist gestern vom Gerichtsvollzieher zwangsweise geräumt worden. Der herzkranke Rentner hat im Raum Horb keine Bleibe mehr gefunden, die den Preis- und Größen-Vorgaben des Sozialamtes entsprochen hätte – ihm ist ein rund zehn Quadratmeter großes Zimmer in der städtischen Obdachlosen-Unterkunft zugeteilt worden. Sein Schicksal wirft vor allem zwei Fragen auf: Wie realitätsfremd dürfen existenziell bedeutsame Vorschriften des Sozialamtes sein? Und: Wie geht die Stadt Horb mit den ärmsten ihrer armen Bürger um?

Horb/Altheim. Die Stadt Horb hält ihre Obdachlosen, wie manche Bürger nicht mal ihren Hund einquartieren würden. Das offenbart ein Besuch in der neuen Behausung von Alfons Glatthaar, einem herzkranken Rentner aus Altheim. Die Haustür zum neuen Heim könnte genauso gut in einen Viehstall führen. In die morsch wirkende Holzkonstruktion ist ein Sicherheitsschloss eingebaut – das ist eine der wenigen Modernisierungen in dem baufälligen Gebäude.

In Anbetracht des Gesamtzustandes am „Marktplatz 20“ hat Alfons Glatthaar die „Nobel-Suite“ des Hauses bezogen: Die Wände haben nur ein paar Risse, hie und da bröckelt der Putz, der vergilbte Holzboden ist steinalt und die Stromleitungen sind über Putz verlegt. „Mich hat alles so angeekelt“, berichtete der 66-Jährige nach der Besichtigung am Dienstag. „Mir ist so elendig schlecht gewesen.“ Trotzdem überwiegt bei ihm die Dankbarkeit, ein Dach über dem Kopf zu haben.

Das Klo ist die Krönung: Die sanitäre Besenkammer ohne Waschbecken bietet einen „Komfort“ wie in der Vorkriegszeit. „Ich traue mich da gar nicht hinzusitzen“, sagt Glatthaar. „Wer weiß, was man sich da holt.“ Vom „Vormieter“ scheinen braune Spuren in der Kloschüssel zurückgeblieben zu sein und eine Zigarettenkippe auf dem Fenstersims. Diesen Ort muss der Rentner vor allem nachts öfter aufsuchen.

Wenn Alfons Glatthaar vor seine Zimmertür tritt, muss er zuerst einmal durch einen eiskalten, bühnenartigen Raum mit kaputten Wänden und ohne Licht-Anschluss. Hier bieten sich wie auf der steilen und verzogenen Holztreppe Stolperfallen – der Rentner kam gestern mehrfach ins Straucheln. Das Laufen fällt ihm aufgrund einer Nervenkrankheit ohnehin schwer. Holz und Kohle für die Einzelöfen wird er nicht auf den Marktplatz und dann ins erste Obergeschoss hinauf schleppen können. Er muss die veralteten Elektro-Öfen nutzen. Sie seien Stromfresser, wie ihn eine Mitarbeiterin der Stadtverwaltung gewarnt habe, erzählt Alfons Glatthaar. Er fürchtet sich wegen der Kosten. Strom und Heizung sind nämlich nicht in seinem Nutzungs-Entgelt von 64 Euro enthalten.

In einem Raum, der aufgrund der Dusche im Innern als Bad fungiert, blättert die Farbe von der Decke. Die Bad-Tür liegt im kalten Flur hinter dem Hauseingang, gegenüber den Müll-Tonnen. Poster mit Rennwagen haben hier obdachlosen Familien mit Kindern wenigstens einen Fetzen Lebensqualität beschert.

Alfons Glatthaar bewohnt die Horber Obdachlosen-WG vorerst alleine. Eine Gemeinschafts-Nutzung von Küche, Klo und Dusche bleibt im erspart – bis zur nächsten Zwangsräumung im Stadtgebiet.

Glatthaar musste gestern seine Wohnung unter Aufsicht des Gerichtsvollziehers verlassen – weil er keine 45 Quadratmeter kleine Wohnung zu 4,50 Euro pro Quadratmeter im Raum Horb fand. Auf den SÜDWEST PRESSE-Bericht vom Samstag hin, in dem die Wohnungssuche des Rentners auf dem leergefegten und vergleichsweise teuren Horber Miet-Markt geschildert war, meldete sich zwar ein Ehepaar: Die Wohnung, die für Glatthaar in Frage gekommen wäre, war aber noch nicht renoviert – er hätte sich meist in der angeschlossenen Wirtschaft aufhalten müssen, was er aufgrund des Rauchs gesundheitlich nicht durchgehalten hätte. So dankbar der Altheimer für das Angebot war – er musste nach einer Besichtigung ablehnen. Die Baiersbronner Wohnungen, auf die ihn das Sozialamt aufmerksam gemacht hatte, kamen für ihn nicht in Frage, weil ihn solch‘ ein Umzug mangels Auto von seinen Bekannten abschneiden würde – und für lange Telefonate reichen 575,24 Euro Rente nicht aus.

Mangels Telefon-Anschluss im Obdachlosen-Haus hat er gestern ein Handy gekauft – um bei Herz-Attacken die Chance auf einen Notruf zu haben. Für den Nachsendeauftrag bei der Post, der 19 Euro gekostet hätte, fehlte Glatthaar danach das Geld. Die Zwangsräumung hat die finanzielle Situation des Rentners weiter verschlechtert. Allein die Kosten für den Gerichtsvollzieher belaufen sich auf rund 200 Euro. Ein Teil der Wohnungs-Einrichtung musste von der Spedition eingelagert werden, weil die Stadt im weitgehend leeren Obdachlosen-Haus keinen Platz angeboten hat. Wenn Alfons Glatthaar sein Hab und Gut bis in zwei Monaten nicht auslösen kann, kommt es auf den Müll.

Die Wohnungssuche geht für den Rentner folglich weiter. Wer eine Wohnung mit bis zu 45 Quadratmetern Fläche und einem Quadratmeter-Preis von bis zu 4,50 Euro an Alfons Glatthaar vermieten würde, kann sich unter Telefon (0 74 51) 90 09-35 melden – die SÜDWEST PRESSE stellt dann Kontakt her.

Info: Der wirtschaftliche Erfolg der Stadt Horb in Zahlen: Die Gewerbesteuer-Einnahmen haben sich von 1999 bis 2005 mehr als verdoppelt: von fünf auf elf Millionen Euro. Das Arbeitsplatz-Wachstum zwischen 1995 und 2004 beträgt 8,62 Prozent. Die Verschuldung ist von 32,5 Millionen Euro im Jahr 1998 auf 26 Millionen Ende 2006 gesunken. Trotzdem fehlt das Geld, um das Obdachlosen-Haus herzurichten. Es wird überlegt, das Gebäude zu verkaufen.

Andreas Ellinger, Südwest Presse Horb, Horber Chronik

 

Siehe auch:

Muss dieser Mann ab Mittwoch obdachlos sein? (24.02.2007)

Diakon: „Das geht so nicht!“ (02.03.2007)

Keine Perspektive für OBdachlosen Rentner (03.03.2007)

Obdachloser Rentner liegt im Krankenhaus (05.03.2007)

Ein Zimmer für Alfons Glatthaar (08.03.2007)

Donnerstag

1

März 2007

Publikation:
Südwest Presse

 

Ressort:
Horb