Zeitzeugen der Nazi-Herrschaft sterben aus
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Erinnerung! Ein scheinbar kleines Wort, das historisch doch von großer Bedeutung ist. Jeder hat sich schon einmal erinnern müssen an die deutsche Vergangenheit, die Nazi-Zeit. Sei es nun, weil sie jemand selbst noch erlebt hat oder aber weil jemand in der Schule zwischen Mathematikund Chemiestunde davon gehört hat. Erinnerung nach Stundenplan.
Auch Mahnmale, meist aus Stein gehauen, erinnern. Aktuell dreht sich die Diskussion gerade um das große Holocaust-Mahnmal in Berlin. An ihm scheiden sich die Geister. Sinnvolle Erinnerung oder lästiges Bauwerk? Viele reagieren – so könnte man meinen – geschichtsüberdrüssig, vielleicht faktenübersättigt. Sie wollen sich nicht ewig mit der deutschen Vergangenheit konfrontieren lassen und schon gar nicht die Verantwortung dafür tragen. Das ist bei vielen Erwachsenen so und verhält sich bei Jugendlichen nicht anders. Da tönt es beispielsweise aus den Klassenzimmern: „Was geht mich das an?“ Oder etwas jugendlicher ausgedrückt: „Bin ich vielleicht mein Opa?“ Heute haben viele Schüler wenigstens noch Großeltern dieser Generation, die ihnen aus dieser Zeit berichten können. Aber sie werden zunehmend weniger. Die Zeitzeugen sterben aus.
Dabei halten gerade die lebenden „Mahnmale“ die Erinnerung an die Verbrechen der NaziZeit wach. Hedy Epstein, deren Eltern in Auschwitz ermordet wurden, ist das beste Beispiel dafür. Ihr Zeitzeugenvortrag in Fischingen (siehe unsere Sulzer Lokalseite) wog mehr als jeder steinerne Gedenkstein und mehr als jede Unterrichtseinheit. Gott sei Dank gibt es noch solche Leute, die auch in hohem Alter bereit sind, mit ihrem Wissen und ihren Erlebnissen an die Öffentlichkeit zu gehen. Aber wie lange noch? Wer soll den Kindern meiner Generation später einmal authentisch aus der Nazi-Zeit berichten? Irgendwann wird es keinen mehr geben, der es kann und das ist gefährlich.
Die Alarmsignale stehen bereits jetzt auf rot. Die Schreie jener Ewiggestrigen, die sich gegen Aussiedler, Ausländer und Asylanten richten, nehmen nämlich zu. Diese Entwicklung zeigt sich insbesondere bei Wahlkampfveranstaltungen. Bemerkbar macht sich dieser schleichende Faschismus aber überall, wo das gesellschaftliche Leben pulsiert. Und die etablierten Parteien schwimmen in diesem Strom mit. Das Asylrecht haben sie schon vor Jahren stark beschnitten, manche meinen: beinahe abgeschafft. Parallel dazu schauen die Politiker den wachsenden Arbeitslosenzahlen hilflos zu. Das war schon einmal so.
Wir müssen daher aufpassen, daß die braune Krake des Faschismus nicht noch einmal ihre Arme um unsere Gesellschaft legt. Deshalb darf sich die Erinnerung künftig keinesfalls auf die Geschichtsstunde zwischen Mathematik und Chemie reduzieren. Das reicht einfach nicht aus.
Andreas Ellinger, Südwest Presse Horb, Sulzer Chronik
Siehe auch:
Bericht: 1939: Ein Abschied für immer (08.05.1999)
Bericht: Den Haß in positive Energie verwandeln (18.05.1999)