Andreas Ellinger

JOURNALISMUS IN WORT UND BILD

Mit Steinen für den Frieden

Veröffentlicht in: Ausland, Reportagen

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Benediktiner-Mönch Karl Helmreich aus Österreich bindet den Wiederaufbau im Kosovo an Verträge, die Minderheiten schützen sollen. Wer von ihm Baumaterial möchte, muss sich zur Friedfertigkeit gegenüber anderen Volksgruppen verpflichten. Das Problem ist: Dem Pater geht das Geld aus.

Auf einem staubigen Platz mit Schlaglöchern parkt der rund zehn Jahre alte Golf von Karl Helmreich. Es ist der Marktplatz einer Ashkali-Siedlung in Fushe Kosove, eine Auto-Viertelstunde von der Hauptstadt Prishtina entfernt. Das Volk der Ashkali ist eine albanisch sprechende Minderheit moslemischen Glaubens, die von Kosovo-Albanern bekämpft wird.

Der Benediktiner Karl Helmreich kümmert sich um Ashkali, die in einem Armenviertel bei Pristina leben. Bild: A. Ellinger

Der Benediktiner Karl Helmreich kümmert sich um Ashkali, die in einem Armenviertel bei Pristina leben.
Bild: A. Ellinger

Der Benediktiner-Mönch, der für die österreicher Diakonie im Kosovo ist, fährt keinen 60000-Mark-Jeep wie die UN-Leute. Für 60000 Mark finanziert er vier Häuser, jedes 56 Quadratmeter groß. Karl Helmreich verzichtet auf Hotelzimmer und Wohnung. Er lebt in einem Wohnmobil, das er gegenüber dem Haus des Ashkali-Bürgermeisters von Fushe Kosove aufgestellt hat.

Erster Ansprechpartner des Mönchs ist jeden Morgen ein Mischlingshund, der sich ein Stück Wurst abholt. Abends klopft es bis halb elf an der Tür des Wohnmobils. Die Leute suchen Hilfe, die ihnen der Österreicher immer seltener gewähren kann. Die Diakonie Österreich, die Caritas in Oberösterreich und Salzburg sowie die Benediktiner-Kongregation des Stiftes Melk haben ihn nach Kräften unterstützt. Spenden fließen kaum mehr. Ende des Jahres will sich die Diakonie als Hauptgeldgeber zurückziehen ‑ der Pater möchte weitermachen. Er organisiert Baumaterial und setzt sich für Menschenrechte ein. Zum Beispiel dafür, dass Ashkali-Kinder zur Schule gehen können. Die Armut, die Helmreich erlebt, ist groß. Er erzählt von einer 14-köpfigen Großfamilie, die mit 120 Mark Sozialhilfe im Monat auskommen muss. Zum Vergleich: 200 Kilogramm Mehl kosten 110 Mark.

Wenn der Mönch in Polo-Hemd und Outdoor-Hose durch die Ashkali-Siedlung in Fushe Kosove läuft, ist er von einer Menschentraube umringt. Ein 17-jähriger Waise übersetzt ihm. Die Menschen möchten Baumaterial von „Karl“, der sich in diesen Momenten „völlig hilflos“ fühlt. „Ich kann nicht mehr“, sagt er. „Ich weiß nicht, was ich machen soll. Ich bin total an die Grenze gegangen.“ Das erklärt er alle paar Meter und kann von den verzweifelten Bittstellern kaum Verständnis erwarten.

Der Rundgang führt Karl Helmreich vorbei an Grundstücken, die mit rostigen Blechplatten voneinander abgegrenzt sind. Abgesehen von wenigen Neubauten bietet die Wohngegend ein Bild der Verwüstung. Wo wenigstens die Wände eines Erdgeschosses stehen, hängen Kleider, liegen Teppiche. 98 Häuser sind zerstört, für 15 kann der Pater Steine liefern.

Kinder und Erwachsene begrüßen Karl Helmreich nach einem kurzen Österreich-Aufenthalt freudig. Einem Jungen, der seinen Pullover falsch angezogen hat, hilft er richtig hinein. Der Oberkörper des Kindes ist abgemagert, das Brustbein steht heraus. „Viele leiden Hunger“, sagt der Bürgermeister.

Den Kindern streicht der 63-jährige Mönch wie ein Großvater übers Haar, er klopft ihnen auf die Schulter. Viele haben Staub und Dreck auf der Haut und an den Kleidern. Tagsüber fließt in der Gegend kein Wasser. Mit Kopfschütteln registriert Karl Helmreich, wie einige Kinder mit Maschinengewehren aus Holz spielen. An seine Begleiter gewandt, sagt er: „Einmal möchte ich erleben, dass die Frieden spielen.“

In Frieden leben die Ashkali nicht. Das letzte Attentat in der Gegend liege erst drei bis vier Monate zurück, sagt Helmreich. Extremistische Albaner werfen den Ashkali vor, dass sie mit den Serben zusammengearbeitet hätten. Karl Helmreich weiß von einem Ashkali aus Magure, der vor dem Krieg mit Albanern gestreikt hat, mit ihnen ins Gefängnis ging und trotzdem nicht geduldet wird.

In der Stadt Magure hat der Österreicher die Hilfe eingestellt. „Ich konnte es vor meinem Gewissen nicht verantworten, den einen zu helfen, wenn den anderen immer mehr zerstört wird.“  Der Schritt fiel schwer. Seit 1994 unterhielt er partnerschaftliche Kontakte nach Magure. Sie entwickelten sich aus seiner Arbeit als Flüchtlingsberater in Österreich. Der Pater wollte wissen, wo die Jugendlichen herkommen, um die er sich kümmerte.

Im vergangenen Jahr stand Karl Helmreichs Wohnmobil für knapp fünf Monate in Hallaq i Vogl zwischen Albaner- und Ashkali-Viertel. Dort erlebte er sieben Attentate auf Ashkali. Mehrfach wurden Bomben mit Türklinken gekoppelt, die beim Öffnen der Tür explodierten. „Das Fatale ist, das kein einziges Attentat aufgeklärt ist“, sagt Helmreich. Vier Ashkali wurden nachts in ihrem Zelt ermordert, das neben der Baustelle für ihr Haus stand. „Ihr Begräbnis geriet zur größten stillen Demonstration der Ashkali im Kosovo“, sagt Karl Helmreich. Allmählich beginne eine kosovarische Menschenrechtsorganisation, sich um Minderheiten wie die Ashkali zu kümmern. Ein wenig hat sich die Situation entspannt.

Die Mission der Vereinten Nationen im Kosovo (UNMIK) habe erst in diesem Jahr damit angefangen, etwas für rückkehrende Minderheiten zu tun, kritisiert Karl Helmreich. „Den Beweis getraue ich mir vor jedem anzutreten.“ Der Pater ist aufgrund der ethnischen Konflikte dazu übergegangen, mit den Hilfsbedürftigen Verträge abzuschließen. Darin regelt er, wieviel Baumaterial sie bekommen. Die Bauherren müssen im Gegenzug erklären, dass sie sich anderen Volksgruppen gegenüber friedlich verhalten. Andernfalls wird die Hilfe eingestellt. Das funktioniert bisher. Jeweils eine Hälfte der Baustoffe geht an Albaner, die andere an Ashkali. Im vergangenen Jahr hat Karl Helmreich den Bau von 116 Häusern unterstützen können, in diesem Jahr sind es 48.

„Fast eine Panik habe ich davor, wenn die nächsten Jahre in erhöhtem Maße Ashkali zurückkehren müssen“, sagt der Mönch. Hilfsorganisationen verlassen den Kosovo. „Wenn die Ärmsten der Armen kommen, ist keine Hilfe da.“ Der Ashkali-Bürgermeister von Fushe Kosove sagt: „Ich weiß nicht, was die essen sollen.“ Er ist für 3000 Leute zuständig. Niemand von ihnen habe Arbeit, 960 bezögen Lebensmittelhilfe. In Baden-Württemberg halten sich nach Zahlen des Innenministeriums 4770 Roma, Sinti und Ashkali aus dem Kosovo auf. Sie haben eine Duldung bis zum 30. September diesen Jahres.

Andreas Ellinger

Eine Kurzfassung dieser Reportage erschien am 8. August 2001 auf der Brennpunkt-Seite der Südwest Presse.

 

Siehe auch:

Bildergalerie

Mittwoch

8

August 2001

Publikation:
Südwest Presse

 

Ressort:
Im Brennpunkt