Würde Jesus FDP wählen?
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Was ist in Michael Theurer gefahren? Als Horber OB hat er der Landkreis-FDP ein sozialpolitisches Profil verpasst, von dem Sozialdemokraten in der SPD nur träumen können – im Europaparlament scheint die „Horber Tafel“ hingegen weit. In einem Interview der „Stuttgarter Nachrichten“ forderte Theurer kürzlich „schmerzhafte Einschnitte“ im Bereich der Arbeitsmarktpolitik, er will das „Bürgergeld“-Konzept der FDP eingeführt haben: Mit schlecht bezahlten Jobs kann mehr hinzuverdient werden als im Hartz IV-System – wobei Theurer weiß, was sein Vorschlag auch beinhaltet: „Das senkt das Grundsicherungs-Niveau.“ Und: „Das ist weniger als HartzIV.“
Ist das der Theurer, der sich seines demokratischen Politik-Stils rühmt? Mit seiner Forderung, Kinder mit langzeitarbeitslosen Eltern noch schlechter zu versorgen, befindet er sich womöglich nicht einmal mehr auf dem Boden des Grundgesetzes. Das hessische Landessozialgericht hat entschieden: „Die HartzIV-Regelleistungen decken nicht das soziokulturelle Existenzminimum von Familien und verstoßen daher gegen das Grundgesetz.“ Die Regelsätze seien weder mit der Menschenwürde, dem Gleichheitsgebot noch dem sozialen Rechtsstaat vereinbar. Jetzt kümmert sich das Bundesverfassungsgericht um Hartz IV.
Die SÜDWEST PRESSE hat bei der Bundespressestelle der FDP schriftlich angefragt, wie viel Bürgergeld eine vierköpfige Familie mit zwei Kindern über 14 Jahre bekommen würde. Erst auf telefonische Nachfrage hin erklärt ein Sprecher, dass er binnen Tagesfrist nicht herausfinden könne, wie viel Bürgergeld eine vierköpfige Familie bekäme. Ausgerechnet die Partei, die das Steuersystem vereinfachen will, lässt bezüglich ihres eigenen Bürgergeld-Konzepts erklären: „Das ist doch ein bisschen kompliziert…“ Offenbar so kompliziert, dass auch nach gut einer Woche keine Antwort möglich ist.
Beim Durchsuchen der FDP-Seiten im Internet findet sich immerhin ein Vergleich des FDP-Bürgergeldes mit HartzIV für eine fünfköpfige Familie. Es wird der Eindruck erweckt, als betrage das niedrigste „verfügbare Einkommen“ in beiden Systemen 1919 Euro pro Monat. Aber: Im Bürgergeld sind Wohngeld und Heizkosten-Zuschüsse enthalten – bei Hartz IV nicht. Inklusive dieser Zusatzleistungen liegt eine vierköpfige Familie in Freudenstadt bei 1819 Euro – fürs dritte Kind bleiben nach dem FDP-Konzept 100 Euro: für Nahrung, Schule, Kleidung, Wohnraum…
Wenn ein Politiker ausgerechnet den Menschen etwas abziehen will, die schon jetzt (zu) wenig haben, dann ist das nicht nur intellektuell schäbig. Theurer sollte sich fragen, wo er stünde, wenn er das Pech gehabt hätte, in einer HartzIV-Familie aufzuwachsen. Dann säße der Europaabgeordnete vermutlich nicht einmal in einem Ortschaftsrat…
Top-Verdiener will Theurer übrigens nicht mit einer zusätzlichen Spitzensteuerklasse belasten. Er verweist auf die „psychologische Komponente“, wenn der Staat von einem verdienten Euro mehr hole als dem Top-Verdiener selbst bleibe. Theurer saniert den Haushalt lieber auf Kosten der Langzeitarbeitslosen, bei denen es nur um eine existenzielle Komponente geht – und erst in der Folge um eine psychische: Wer täglich Existenzangst hat, verliert an Leistungsfähigkeit und findet erst recht keinen Job. Auch die Vermögen der Reichen und Superreichen will Theurer nicht angreifen – nicht einmal Kapitalflucht unterbinden. „Eine Mauer für Kapitalanleger wollen wir nicht.“ Die Freiheit des Geldes ist dem Freidemokraten wichtiger als die Freiheit der Menschen – Armut lässt fast keine Freiheiten.
Ein Politiker, der wie Michael Theurer gerne auf seine christlichen Grundwerte verweist, sollte sich regelmäßig die Frage stellen: „Was würde Jesus zu meinen politischen Vorschlägen sagen?“ Man muss nicht besonders bibelfest sein, um zu dem Ergebnis zu kommen: Jesus würde diese FDP nicht wählen.
Andreas Ellinger, Südwest Presse Horb, Horber Chronik