Andreas Ellinger

JOURNALISMUS IN WORT UND BILD

Ehebruch? Kirche kündigt. Gnadenlos.

Veröffentlicht in: Berichte, Kirche

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Wie die Diözese Rottenburg-Stuttgart ihren Gesamtbetriebsrats-Chef losgeworden ist /

„KriDiK“ – ein Verein als Betriebs-Rat

 

16 Jahre lang war der Freudenstädter Gemeindereferent und Dekanatsjugendseelsorger Stephan Karus eine Art Gesamtbetriebsrats-Vorsitzender in der katholischen Diözese Rottenburg-Stuttgart – dann wurde er, nach insgesamt 20 Jahren im kirchlichen Dienst, fristlos gekündigt, wegen Ehebruchs. Der Beweis: Das Kind, das er eineinhalb Jahre nach der Trennung von seiner damaligen Ehefrau mit seiner neuen Partnerin bekommen hat. Mit einem ehemaligen Kollegen hat er im Jahr 2011 den Verein „Kritische DienstnehmerInnen in Kirchen“ (KriDiK) gegründet.

Freudenstadt/Rottenburg. Kirchliche Mitarbeitervertreter haben es strukturell schwieriger als jeder Betriebsrat: Ihr „Gegenüber“, der Bischof, ist nicht nur Arbeit-, sondern gleichzeitig Gesetzgeber. Dem staatlichen Betriebsverfassungsgesetz unterliegt die Kirche nicht: „Die Bischöfe erlassen eigene Ordnungen“, erklärt Stephan Karus. „Die Beteiligungsrechte der Mitarbeiter sind eingeschränkt.“

Rund 22 000 kirchliche Arbeitnehmer vertritt die „Diözesane Arbeitsgemeinschaft der Mitarbeitervertretung“, die DiAG-MAV, der Karus bis ins Jahr 2009 hinein vorstand. Faktisch war das ein Fulltime-Job, auf dem Papier war das aber nicht dokumentiert. Offiziell wurde der Leiter des katholischen Gesamtbetriebsrats als Freudenstädter Gemeindereferent geführt.

Ende vor dem Anfang

Beinahe wäre seine kirchliche Karriere schon beendet gewesen, bevor sie richtig begonnen hatte. Auf seiner ersten Stelle, in der Erzdiözese Freiburg, sei er „wenige Tage vor Ablauf des Probehalbjahrs“ gekündigt worden, erzählt Stephan Karus. Schon während seiner Ausbildung habe er „Dinge kritisch hinterfragt“. Nur hinter vorgehaltener Hand habe er den wahren Kündigungsgrund erfahren: „Hätten wir den nicht gekündigt, dann hätte der sich in die Mitarbeitervertretung wählen lassen.“

Nach einer vierjährigen Ausbildung im kirchlichen Bereich, die ihn auf den katholischen Arbeitgeber festlegte, drohte ihm mehr als ein Karriere-Knick. Unter der Voraussetzung, dass er nicht an die Öffentlichkeit gehe und keine rechtlichen Schritte gegen die Kündigung einlege, habe er dann doch einen unbefristeten Arbeitsvertrag bekommen, erzählt er – in der Diözese Rottenburg-Stuttgart, in Freudenstadt. Hier hat er daran mitgewirkt, eine örtliche Mitarbeiter- Vertretung zu gründen. Obwohl er noch kein halbes Jahr da war, wurde er in das Gremium gewählt. Das war der erste Schritt in einer kirchlichen Betriebsrats-Karriere, die Stephan Karus unzählige Konflikte einbringen sollte…

Firmung und Kondome

Zunächst ging er aber als Gemeinde- und Dekanatsjugendseelsorger einen Weg, auf dem Stolpersteine lagen. Stephan Karus führte eine Firmvorbereitung ein, die nicht unmittelbar von Erwachsenen, sondern von älteren Jugendlichen gestaltet wurde – „weil Jugendliche eher bereit sind, von Jugendlichen etwas anzunehmen als von Erwachsenen“. In diesem Rahmen kam auch ein Verhütungsmittel-Koffer zum Einsatz, auf den der damalige Bischof Walter Kasper bei einem Diözesantag aufmerksam wurde, bei dem die Freudenstädter ihr Konzept vorstellten. Just als der Bischof ein Kondom in der Hand hielt, kam ein Pressevertreter hinzu… – und Karus wurde anschließend vom zuständigen Domkapitular einbestellt, wie er sich erinnert. Der Gemeindereferent konfrontierte Bischof Walter Kasper daraufhin mit einem Fall, in dem ein 18-Jähriger ein 15-jähriges Mädchen geschwängert hatte – was nach einer Aufklärung über Verhütungsmittel möglicher Weise nicht passiert wäre. Karus erlebte den Bischof daraufhin als „einen der wenigen Kirchenoberen, die bereit sind, sich auf Argumente einzulassen und ihre Meinung zur Disposition zu stellen“. Das Firmkonzept mit dem Titel „Und plötzlich riecht’s nach Himmel…“ ging schließlich sogar in einem Buch des Katholischen Bibelwerks auf: „Firmvorbereitung mit Esprit“.

Konflikte in der Kirche

Anfang der 90er-Jahre handelte sich Stephan Karus als überregionaler Mitarbeitervertreter „die erste größere Auseinandersetzung“ ein, wie er berichtet. Es ging um Lohnzuschläge, die kirchliche Arbeitnehmer für Nacht- und Sonntagsarbeit beantragen konnten – Karus informierte die Kollegen über ihre Rechte. Das habe ihm eine „rüde Attacke“ der vorgesetzten Referentin eingebracht: Was ihm einfallen würde, sowas öffentlich zu sagen? Kritik nach dem Motto: „Stellen Sie sich vor, die beantragen ab morgen alle Zuschläge…“

Solche Erlebnisse zogen sich „wie ein roter Faden“ durch die Arbeit im Gesamtbetriebsrat. Karus wurde klar: „Wir müssen schauen, dass wir dem Arbeitgeber auf die Finger hauen, wenn er sich nicht an die gesetzlichen Vorgaben hält.“

Fortschritte stellten sich mit dem „Personal-Entwicklungs-Prozess“ (PEP 2001) ein, der 1996 auf Initiative des Gesamtbetriebsrats – und von der Diözesanleitung unterstützt – startete. Der Qualifizierungsprozess für Betriebsräte sowie für Mandats- und Amtsträger in Arbeitgeber-Funktion sollte dazu beitragen, die zwangsläufig vorhandenen Kontroversen zu entschärfen, wie Stephan Karus berichtet. Ihm sei es wichtig gewesen, dass alle Beteiligten „lernen, so miteinander umzugehen, dass Konflikte in der Sache, nicht auf der persönlichen Ebene ausgetragen werden“ – im Sinne eines „kirchengemäßen Umgangs“. In Generalvikar Werner Redies fand er unter Bischof Kasper einen Unterstützer. „Wir haben es geschafft, das auf die Sachebene zu setzen“, sagt Karus, der neben dem leitenden Rechtsdirektor Hermann-Josef Drexl einer der Projektleiter war. Mehrere Jahre habe sich PEP entwickelt, dann sei Kasper als Kardinal nach Rom berufen worden.

Der Bischofs-Wechsel

Mit dem Bischof habe der Generalvikar gewechselt – und der neue habe „klargemacht, dass er viele Themen nicht so wie sein Vorgänger behandeln werde“. Die Diözese Rottenburg-Stuttgart habe PEP „an die Wand gefahren“, indem Entscheidungen an der Arbeitnehmerseite vorbei getroffen worden seien, sagt Karus. Der beteiligte Rechtsdirektor habe zu verstehen gegeben, dass es „ja noch schöner wäre, wenn Mitarbeiter an Unternehmensentscheidungen beteiligt würden“. Karus: „Heute weiß ich, dass das Scheitern des Projekts am neuen Bischof und dessen Generalvikar Clemens Stroppel lag.“

Mit Bischof Gebhard Fürst habe es in Bezug auf die arbeitsrechtliche Kommission (KODA) „heftige Auseinandersetzungen“ gegeben. Er habe beispielsweise die Löhne senken, aber weiterhin dieselbe Leistung von den Leuten verlangen wollen… Die Position des damaligen Gesamtbetriebsrats-Chefs: Es sei „völlig egal, ob die Ausbeutung im Namen des Mammon oder im Namen Jesu Christi“ erfolge – es bleibe Ausbeutung. In der Folge bekam Stephan Karus vom Bischof eine „kirchenrechtliche Ermahnung“. Als er sich angeschickt habe, dagegen vorzugehen, habe der Bischof den Vorgang ins Geheimarchiv der Kurie verwiesen. Dadurch sei der Sachverhalt nicht mehr zugänglich gewesen – man habe somit auch nichts mehr dagegen unternehmen können, erklärt Karus. Der Konflikt habe sich anschließend weiter zugespitzt.

Ein Kind als Beweis

Parallel dazu scheiterte die Ehe von Stephan Karus. Als er sich knapp eineinhalb Jahre nach der Trennung mit seiner neuen Partnerin entschied, ein Kind zu bekommen, habe das die Diözesanleitung als „Ehebruch“ gewertet und als „Grund genommen, mich fristlos zu kündigen“. Der Beweis dafür, dass er mit einer anderen Frau als seiner früheren Ehefrau geschlafen habe, sei das Kind gewesen.

Von einem Tag auf den anderen hatte der gekündigte Mitarbeitervertreter kein Einkommen mehr. Das war im März 2009. Als Vater mehrere Kinder brachte ihn das in besondere Schwierigkeiten. Im November schloss er mit der katholischen Kirche einen gerichtlichen Vergleich: Bis Ende 2009 müsse sein Gehalt weitergezahlt werden und eine Abfindung dazu. Was das „positive Zeugnis“ betreffe, das ebenfalls vereinbart worden sei, schlossen sich weitere arbeitsgerichtliche Verfahren an, weil Karus mit dem kirchlichen Zeugnis nicht einverstanden war. Vor dem Landesarbeitsgericht Stuttgart kam es kürzlich zu einem Vergleich, wie Karus berichtet. „Mehr als zweieinhalb Jahre nach der Kündigung erhalte ich endlich mein Zeugnis.“

Soviel sagt die Diözese

Die SÜDWEST PRESSE hat die Diözese Rottenburg-Stuttgart um eine Stellungnahme gebeten – unter anderem zu dieser Frage: „Warum hat die Kirche nach der Kündigung von Stephan Karus sofort kein Gehalt mehr gezahlt und nicht bis zur Entscheidung des Arbeitsgerichts über die Kündigung gewartet? Schließlich wusste die Kirche, dass von der abrupten Einstellung der Zahlungen auch mehrere Kinder betroffen sind.“ Und wie denkt Bischof Fürst über Kündigungen wegen Ehebruchs, wenn ein Kirchen-Mitarbeiter den „Ehebruch“ nach der Trennung von seiner Frau begangen hat: „Sind solche arbeitsrechtlichen Schritte aus Ihrer Sicht mit den christlichen Grundwerten von Gnade und Barmherzigkeit vereinbar?“

Die Antwort: „Bitte verstehen Sie, dass die Diözese zu Personalfragen und rechtlichen Auseinandersetzungen mit (ehemaligen) Mitarbeitenden grundsätzlich keine Auskunft geben kann und darf.“ Auf eine weitere Nachfrage der SÜDWEST PRESSE schrieb die Pressestelle der Diözese eine Antwort, die sie losgelöst vom Fall Karus verstanden wissen wollte: „Die Wiederverheiratung nach der nach weltlichem Recht erfolgten Scheidung ist nach dem kirchlichen Arbeitsrecht ein Verstoß gegen das kirchliche Arbeitsrecht und gilt als schwer wiegender Verstoß gegen die so genannten Loyalitätsverpflichtungen kirchlicher MitarbeiterInnen. […] Der Bischof einer Diözese ist daran gebunden und hat nicht einfach die Wahl, nach individueller Einschätzung der konkreten menschlichen Situation darüber hinweg zu gehen. Eine Rechtsordnung kann weder im kirchlichen noch im weltlichen Bereich einfach zur Disposition gestellt werden, ohne die Strukturen, die das menschliche Miteinander stützen, zu gefährden. Welche entlastenden Lösungen und Vereinbarungen bei eventuellen Härtesituationen getroffen werden, ist jeweils eine den individuellen Umständen geschuldete Ermessenssache.“

KriDiK gegründet

Auch der Geschäftsstellenleiter des Gesamtbetriebsrats in der Diözese, Christian Kunz, ist gekündigt und abgefunden worden, wie Stephan Karus berichtet. Zusammen haben sie im vergangenen Jahr den Verein „Kritische DienstnehmerInnen in Kirchen“ (KriDiK e.V.) gegründet – eine Art außerkirchlichen Betriebs-Rat: „Wir unterstützen Mitarbeitervertretungen durch Vermittlung von Schulungen und Trainings. Wir helfen Mitarbeiter-Innen bei Problemen in der Dienststelle durch Beratung. Wir klären MitarbeiterInnen auf durch Informationen über ihre Rechte in der Kirche. Wir nehmen Einfluss auf Verbesserung der Arbeitsplätze durch Öffentlichkeitsarbeit. […] Alle Quellen der an uns übermittelten Informationen werden dabei streng vertraulich behandelt.“

Info: www.kridik.de

 

„KriDiK“ über die Diözese Rottenburg-Stuttgart: „Mitarbeiterfeindliche Kirchenleitung“

Im Internet äußern sich die „Kritischen DienstnehmerInnen in Kirchen“ zur Diözese Rottenburg-Stuttgart:

„Die Diözesen Deutschlands haben zur Unterstützung und rechtlichen Beratung der MAVen zumeist Juristen angestellt, um das Ungleichgewicht zwischen mit Juristen versehener Diözesanleitung und Mitarbeiterschaft nicht ganz so krass erscheinen zu lassen. Nicht so die Diözese Rottenburg- Stuttgart. Hier wurde an Stelle eines Juristen eine ehemalige Tourismusfachfrau für diese Funktion eingestellt. Nicht nur damit steht die Diözese nach Recherchen und der Bewertung seitens KriDiK an der Spitze der derzeit mitarbeiterfeindlichsten Kirchen in der Republik.

Für KriDiK sind Ursache und Absicht ersichtlich: Der Amtsvorgänger der neu Eingestellten hatte sich mitÜberzeugung und juristischem Know-How für die Mitarbeitervertretungen und damit für die MitarbeiterInnen eingesetzt und wurde seitens der jetzigen Diözesanleitung (im diametralen Gegensatz zur früheren) durch ein sozialwidriges Kündigungsverfahren kalt gestellt. Die vor dem Arbeitsgericht unterlegene Diözesanleitung hat es vorgezogen, dem früheren Rechtsberater der MAVen eine so hohe Abfindung zu zahlen, dass dieser sich davon ein Eigenheim kaufen und bar bezahlen konnte. Wir vermuten, dass durch die neue Stellenbesetzung nicht nur Geld eingespart werden soll, welches auf der anderen Seite rausgeschmissen wurde, sondern dass vor allem eine juristische Stärkung und Qualifizierung der Mitarbeitervertretungen vermieden werden soll.“

 

Andreas Ellinger, Südwest Presse Horb, Horber Chronik

 

Siehe auch:

Die den ersten Stein werfen…

Samstag

21

Januar 2012

Publikation:
Südwest Presse

 

Ressort:
Horb