Andreas Ellinger

JOURNALISMUS IN WORT UND BILD

Vögel im Klimawandel

Veröffentlicht in: Features, Umwelt

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Die gefiederten Gäste im Schlaraffenland von Helmut Eisseler

Das Schlaraffenland für Vögel hat eine Adresse: Es liegt an der Baisinger Straße in Göttelfingen. Auf dem Grundstück von Helmut Eisseler gibt es von einer körnigen Spezialmischung für Singvögel bis hin zu Schlachtabfällen für Greifvögel alles.

Göttelfingen. Es ist kurz nach 16 Uhr an einem kalten Tag. Als Helmut Eisseler in seine Scheuer geht, um Großsittich-Futter mit Sonnenblumen-Kernen zu mischen, werden die Finger eisig kalt. Der frostige Eindruck darf jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass es wärmer wird – global. Das merkt Helmut Eisseler am veränderten Verhalten der Zugvögel.

Von einem Baum auf dem Nachbar- Grundstück pfeift ein Rotmilan. Es ist Helmut Eisselers Milan. Seit sechs Jahren verbindet den Göttelfinger und den Greifvogel eine pfiffige Freundschaft. Wenn Eisseler eine bestimmte Tonfolge zwitschert, antwortet der Milan- Hahn. Seit gut vier Wochen ist er aus seinem Winterquartier zurück – Helmut Eisseler hätte ihn noch bis Mitte oder Ende März in Südspanien oder Nordafrika erwartet. Und im vergangenen Herbst schien er erst gar nicht fliegen zu wollen. Mitte November rief ihm Eisseler sicherheitshalber zu: „Hee, jetzt musch ganga.“ Der Vogel schien die Botschaft zu verstehen: Drei Tage später war er weg.

Ein Paar Distelfinken haben in seinem Garten heuer erstmals überwintert, berichtet Eisseler, der zu den Aktivposten des Naturschutzes im Gäu gehört. Sein 46 Ar großes Grundstück gleicht einem „Kalten Buffet“ für Vögel. Dürre Astern hat er zusammengebunden und an seine Scheune gelehnt. Deren Samen fressen zum Beispiel die Distelfinken. Weberkarden und Disteln hat Eisseler im Herbst nicht umgemäht, sondern als Nahrungsquelle stehen lassen.

Ein klassisches Vogelhäuschen und ein selbst gebastelter Samenspender, wie er normalerweise in Vogel-Volieren eingesetzt wird, ergänzen das Futter-Angebot. Zudem hat der Göttelfinger schweinisches Bauchfett aufgehängt, an dem unter anderem Meisen gerne naschen. Mancher Greifvogel würde da auch gerne ran und im Zweifel die Meisen samt des Fetts verspeisen.

Helmut Eisseler hat gegen derart tödlichen Futterneid Vorsorge getroffen. Die Fettstreifen hängen unter dem Gitter eines ehemaligen Hamsterkäfigs, das nur von unten offen ist. Die Meisen wissen das – ein Sperber saß hingegen schon vergeblich oben drauf.

Hungern müssen die Greifvögel trotzdem nicht. Sie bekommen Schlachtabfälle wie Herz, Leber, Muskeln und Sehnen zum Fraß vorgeworfen. Hähnchen und Rind stehen in Helmut Eisselers Garten- Restaurant für Vögel beispielsweise auf der Speisekarte. Vor zwei Jahren kehrten mehr als 30 Bussarde bei ihm ein. Es waren einige weiß gefiederte Tiere unter ihnen – wie sie in Osteuropa verstärkt vorkommen sollen. Daher vermutet der Göttelfinger, dass die Gäste aus Russland gekommen sein könnten. Dort herrschte damals ein besonders strenger Winter.

Als Eisseler vor einem Jahr mitten in der kalten Jahreszeit einen Storch gesichtet hat, wollte er ihm ebenfalls eine Mahlzeit anbieten. „Des hett‘ dem au guad dau“, sagt er. „Aber der war nô schüchtern…“ – und ist davongeflogen.
Der Vogelfreund achtet darauf, dass die Tiere die selbstständige Nahrungssuche nicht verlernen. „I schick‘ se manchmôl au fort“, erzählt er und meint die Greifvögel, unter denen inzwischen sogar seltene Schwarzmilane sind. Helmut Eisseler will das natürliche Nahrungsangebot nur ergänzen. Schließlich haben Menschen mit ihrer Lebensweise auch viele Nahrungsquellen der Tiere zerstört. Auf dem Gartengrundstück an der Baisinger Straße fühlen sich die Vögel nicht nur des Futters wegen wohl. Unter fast jedem Dachvorsprung und an Bäumen hängen Nistkästen. Stare, Mauersegler, Meisen, Schwalben und Spatzen brüten dort. Sogar eine Schleiereule gehört zur Vogelwelt des Helmut Eisseler. Und selbst die alten Nistkästen, die vorübergehend auf einem Holzstapel stehen, sind nicht ungenutzt. Einer dient einem Zaunkönig als Nachtquartier. Eisseler hat den Kasten deshalb so hingestellt, dass weder ein Marder noch seine zugelaufene Katze dem Vogel gefährlich werden kann.

Goldammern, Grünfinken, Buchfinken, Buntspechte, Grünspechte, Amseln und Klaiber lassen sich ebenfalls auf der Baumwiese blicken. Ab und zu bietet ihnen Helmut Eisseler mit seiner Stereoanlage im Gartenhäuschen ein Vogelstimmen-Konzert. Über Publikums- Zuspruch kann er nicht klagen. Es reicht, dass er zum Vogelhäuschen läuft – und schon kommt ein Schwarm von 20 Vögeln angeflogen. Die Stare waren heuer auch schon früh aus ihrem Winterquartier zurück. Helmut Eisseler hat sie gewarnt: „Eich schneit‘s môl no uff da Schnabel.“

Um all die gefiederten Gartenbewohner – ohne sie zu stören – filmen zu können, hat sich der Vogel- Freak ein Beobachtungs-Häuschen gebaut, das von der Größe her an ein altes Plumps-Klo erinnert. An der Front ist eine Öffnung in der Bastwand, durch die das Objektiv der Kamera ragt. In diesem Winter ist allerdings ein Igel dort eingezogen, um seinen Winterschlaf zu halten – der Hobby-Tierfilmer musste folglich draußen bleiben.

Das störte Helmut Eisseler allerdings nicht. Im Gegenteil: Er freute sich über den Igel. Einen zweiten beherbergt er in seiner Scheune. Er bietet Tieren jeden Winkel seines Grundstücks an. Fast überall hängen zum Beispiel Kästen mit dünnen Holzröhren für Wildbienen und Wespen. Auch die Pflanzenwelt pflegt Helmut Eisseler mit Bedacht. Der Schmetterlingsflieder lockt – wie sein Name schon sagt – Schmetterlinge an. An Sanddorn und Eberesche wächst Vogelfutter.

Wenn all die Vögel nur wüssten, was Helmut Eisseler früher für ein schräger Vogel war. Auf die Frage, seit wie vielen Jahren er sich mit den gefiederten Tieren beschäftige, fällt ihm ein, dass er „als jonger Soacher mit dam Luftg‘wehr uff Schbatza g‘schossa hot“…

Das hat er aber längst wiedergutgemacht. Als kürzlich ein Falke einen Spatz beim Hühnerfutter- Fressen in die Krallen bekam, sprang Helmut Eisseler schreiend und wild um sich schlagend hinzu. Der Greifvogel ließ den kleinen Kerl fallen. Der hatte zwar einen gehörigen Schock und saß einige Zeit regungslos da – dann ging das Leben aber für ihn weiter.

Andreas Ellinger, Südwest Presse Horb, Aus dem Gäu

Samstag

29

März 2008

Publikation:
Südwest Presse

 

Ressort:
Gäu