Andreas Ellinger

JOURNALISMUS IN WORT UND BILD

Journalistische Sensationsgier

Veröffentlicht in: Kommentare, Medien

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Das Außergewöhnliche ist eine Nachricht. Das ist die grundlegendste Grundlage journalistischer Nachrichten-Auswahl. Folglich ist es eine herausragende Nachricht, wenn die Leiche eines Babys in einem Gefrierschrank gefunden wird – so wie es gestern in Horb publik wurde. Die Internet-Suchmaschine „Google“ registrierte gestern Abend bereits mehr als 250 „News“-Treffer.

Abgesehen vom „Nachrichten- Wert“ ist die Berichterstattung über die Horber Tragödie wichtig und richtig, wenn sie sachlich informiert und Hintergründe aufzeigt, wie es zu der Kinds-Tötung kommen konnte – und wie gegebenenfalls ähnliche Fälle in Zukunft verhindert werden können.

Was gestern allerdings manche Journalisten gemacht haben, war fragwürdig. Ob es die eigene Sensationsgier war oder das Ziel, die Sensationsgier von Lesern, Zuhörern oder Zuschauern zu befriedigen, sei einmal dahingestellt… – auf jeden Fall gingen in der SÜDWEST PRESSE-Redaktion schon am Morgen Anrufe von Medienvertretern ein, die vor allem wissen wollten, in welchem Haus das Baby im Gefrierschrank gefunden worden ist. Natürlich bekamen sie keine Antwort. Denn wo die Mutter gewohnt hat, das spielt für eine seriöse Berichterstattung keine Rolle. Wie oben erwähnt: Es geht darum, was passiert ist, warum es passiert ist und wie es eventuell hätte vermieden werden können. Das Haus der Familie zu veröffentlichen, bringt inhaltlich also nichts.

Trotzdem hatte nicht einmal die ARD Skrupel, im Magazin „Brisant“ das Haus zu zeigen. Und das, obwohl die Familie, die das Gebäude bewohnt, nicht einmal tatverdächtig ist: Es sind die Eltern eines jungen Mannes, der mit der Mutter des Babys zusammengelebt hat. Und die ARD war nicht der einzige Sender, der mit einem Kamera-Team vor Ort war…

Auch uns wurde gestern Mittag ein Bild dieses Hauses von einer Foto-Agentur angeboten. Überschrieben war das Angebot mit den Worten: „Mutter ermordet Säugling in Horb.“ Das ist nicht nur reißerisch, sondern schlicht falsch. Gegen die Mutter wird gegenwärtig wegen Totschlags ermittelt. Und der Totschlag – also kein Mord – ist gegenwärtig nur ein Verdacht.

Diese Jagd nach der „Sensation“, wie sie gestern manche „Kollegen“ betrieben haben, war widerwärtig!

Andreas Ellinger, Südwest Presse Horb, Horber Chronik

Donnerstag

29

Mai 2008

Publikation:
Südwest Presse

 

Ressort:
Horb