Andreas Ellinger

RESEARCH, ANALYSES AND REPORTING

Der Graf, der Prinzessinnen frisierte

Veröffentlicht in: Porträts, Wirtschaft

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Der 68er Klaus Graf gibt seinen „Haarem“ ab

 

Sein Name repräsentierte den Hochadel unter den Horber Friseuren, 18 Jahre lang war er Obermeister ihrer Innung: Klaus Graf, seit heute 68. Morgen macht er einen Schnitt – seinen letzten.

Horb. Dort, wo den Kunden im „Mode-Friseur-Salon Graf“ der Kopf gewaschen wird, hängt der Abzug eines Kupferstichs, der einen Coiffeur im Biedermeier-Stil zeigt – Wand füllend. Streng im Ausdruck, zugleich erhaben und voller Eleganz frisiert er eine Perücke. Für Graf hat das Bild Symbolcharakter – für ein Handwerk, das Kreativität verlangt und in dem „man sich auch ein bisschen in Szene setzen muss“. In Szene setzen? „Onkel Klaus“ hatte eine Riesenfreude, als auf den letzten Metern seines beruflichen Weges der Junggesellinnen-Abschied seiner Nichte anstand und es sie samt Freundinnen futuristisch zu stylen galt. Eine Herausforderung, die der Arbeitsalltag nicht bietet. Trauungen und andere festliche Anlässe boten Graf aber genug Spielraum, um sich „kreativ austoben“ zu können, wie er erzählt. Insbesondere türkische Hochzeiten haben es ihm angetan. Nicht nur die Braut, auch die eingeladenen Frauen wollten auf diese „Events“ hin extravagante Frisuren: oft Hochsteckfrisuren, die den Salon-Chef zum virtuosen Künstler werden lassen. Eine Frau zur Prinzessin zu machen – das ist Grafs große Leidenschaft. Auf Schloss Weitenburg zeichnete er für den haarigen Teil von märchenhaften japanischen Hochzeiten verantwortlich.

In seinen 54 Berufsjahren hat der heute 68-Jährige viele Moden miterlebt. „Ende der 60er-Jahre hatte fast jede Frau ein Haarteil und, wenn es sein musste, auch zwei“, erzählt Klaus Graf. Aktuell seien Extensions, also Haar-Verlängerungen „ganz groß in Mode“. Diesen Trend nutze fast jede Schauspielerin mit langen Haaren.

Salon-Chefin Ursula Graf, die über all die Jahre im Service mitgearbeitet hat, ergänzt: „Die jungen Leute haben derzeit alle glatte, glänzende Haare.“ Ein Glätteisen mit Keramik-Oberfläche gehört heute zum Handwerkszeug wie Schere und Kamm. Das Gerät eigne sich wohlgemerkt auch, „um richtig schöne Locken hinzubekommen“, verrät Klaus Graf. In der Regel seien es die jungen Frauen, welche die Trends setzen – beendet werden sie von den älteren Semestern: Nachdem sie die jeweilige Haarmode für sich entdeckt haben, verliert sie für die Jugend an Reiz, wie Graf beobachtet hat.

Was wirklich zum Trend werde, lasse sich kaum beeinflussen. Das habe schon die Industrie feststellen müssen, wenn sie Models mit Locken in Szene setzte, um Dauerwellen unter die Frauen zu bringen, berichtet der Altmeister. Umgekehrt hätte er als schneidiger Nachwuchs-Friseur nicht gedacht, dass sich „die erste luftgetrocknete Dauerwelle“ durchsetzt. „Das waren so richtige Schafslocken.“ Als der Branche diese Spielart vorgeführt wurde, stand für Klaus Graf fest: „So wird niemand rumlaufen.“ Drei Jahre später sei es aber so weit gewesen… „Ich habe gelernt, dass man über keine Mode sagen kann: Daraus wird nie was.“

Immer wieder seien Prominente Trendsetter gewesen. Jackie Kennedy habe in ihrer Zeit als amerikanische Präsidenten-Gattin die Frisuren geprägt, sagt Klaus Graf. Den beruflichen Grundsatz, dass die Kopfform und die Beschaffenheit der Haare die Frisur bestimmen, musste er nicht nur damals ab und zu beiseiteschieben – auf ausdrücklichen Wunsch der Kundinnen: „Da war es egal, ob das Gesicht rund ist oder nicht – die Frisur musste so sein.“ Später waren Tennisstars in Mode: „Es wollte keiner so aussehen wie Boris Becker – aber viele wollten so eine Frisur haben.“ Heute finde Fußball-Bundestrainer Jogi Löw mit seinem Pony-Schnitt zahlreiche Nachahmer. Ein Klassiker bei den Frauen sei unterdessen die „Anneliese-Rothenberger-Frisur“.

Klaus Graf scherte sich immer um den Fortschritt, wenn es galt, den Kollegen im Kreis neue Frisuren vorzustellen. Mehr als 40 Jahre lang war er ehrenamtlich in der Freudenstädter Innung aktiv, 18 Jahre davon als Obermeister. Zudem saß der Horber im Regionalbeirat der Innungskrankenkasse. Und er war in der Kreishandwerkschaft sowie auf der Landesebene im Zentralverband des Deutschen Friseurhandwerks engagiert.

Als die SPD-geführte Bundesregierung unter Kanzler Gerhard Schröder den Meisterbrief als alten Zopf abschneiden wollte, standen Klaus Graf die Haare zu Berge. „Das hätte unser ganzes Ausbildungssystem infrage gestellt.“ Die Drohung mit einem Ausbildungs-Stopp wirkte. Alleine in Baden-Württemberg wären 5000 Friseurs-Lehrstellen weggefallen.

Von Haus aus im bürgerlich-konservativen Spektrum verortet, hat der Friseurmeister vor rund 30 Jahren beim Thema „Mindestlohn“ gegen den Strich gebürstet. Mit Erfolg: Die Branche im Ländle hat einen Mindestlohn festgelegt (inzwischen 7,70 Euro), der auch von Salon-Chefs bezahlt werden muss, die keiner Innung angehören. Vorher hätten manche Friseurinnen für 4 Euro pro Stunde arbeiten müssen, erzählt Klaus Graf. „Im Akkord lässt die Leistung nach.“

Für seine Verdienste ist der Horber mit der goldenen Ehrennadel des „Deutschen Zentralverbands des Friseurhandwerks“ und mit der Alfred-Geisel-Medaille der Handwerkskammer Reutlingen ausgezeichnet worden. Vor Ort hat sich Klaus Graf unter anderem in der Narrenzunft, im Tennis-Club und in der Kirche eingebracht. Sein Perücken-Fundus ist beim Eröffnungsball wie bei Theateraufführungen gleichermaßen gefragt.

Nach seiner Ausbildung im Salon Lächler, Gesellen-Jahren in Sulz, Schwenningen, Freudenstadt und Stuttgart sowie der Meisterprüfung hatte der gebürtige Bildechinger Hans Haßmanns Friseur-Geschäft im Horber Mühlgässle übernommen. Kunden der ersten Stunde sind ihm bis heute treu geblieben – ganze Familien hat Klaus Graf über einen Kamm geschoren.

Nach seinem Umzug in die ehemalige Molkerei anno 1969 und in das Gebäude gegenüber (1975) hat er an der Horber Hauptstraße gearbeitet – 41 Jahre lang. Die Verkehrsbelastung ließ den berufsständischen Sozialpolitiker mit konservativem Hintergrund sogar zum „Sponti“ werden – mit „Wirbeln“ kannte er sich ohnehin aus: Im Jahr 2006 zettelte er kurzentschlossen eine B 14-Blockade an. Klaus Graf geht morgen als echter „68er“ in den Ruhestand.

Andreas Ellinger, Südwest Presse Horb, Horber Chronik

Mittwoch

17

November 2010

Publikation:
Südwest Presse

 

Ressort:
Horb