Andreas Ellinger

RESEARCH, ANALYSES AND REPORTING

Vom Makel zum Qualitätsmerkmal

Veröffentlicht in: Porträts, Soziales

Print Friendly, PDF & Email

Maria Flaig-Maier hat in Horb die Schulsozialarbeit aufgebaut – jetzt arbeitet sie als Suchtberaterin bei der Diakonie

 

Schulsozialarbeit ist ein Beziehungs-Spagat. Maria Flaig-Maier hat es geschafft, mit einem Bein „beste Freundin“ zu sein und mit dem anderen Respektsperson. Sie war die erste Frau ihres Fachs in Horb und hat die Schulsozialarbeit aufgebaut. Nach neun Jahren an der Hohenberger Hauptschule reizte sie eine Spezialisierung: Seit Oktober arbeitet sie als Suchtberaterin der Diakonie in Freudenstadt.

Horb/Freudenstadt. Alkohol- und andere Süchte sind kein Kinderspiel. Trotzdem ist es ein Spielgerät, das Maria Flaig-Maier an ihren neuen Arbeitsplatz mitgenommen hat: eine Wippe. Mit ihr hat die gelernte Religionspädagogin Schülern den gefährlichen Weg in die Sucht aufgezeigt. Die Erwachsenen, denen Maria Flaig-Maier jetzt Hilfe anbietet, wandeln auf diesem schmalen Grat. Er beginnt mit Genuss – auf jener Seite der Wippe, auf welcher der Mensch das Suchtmittel im Griff hat. Wer von hier aus aber in kleinen Schritten weitergeht, dessen Lebensweg kippt schon auf halber Strecke – und nicht erst, wenn das Suchtmittel den Betroffenen völlig im Griff hat.

Der Zufall wollte es, dass Maria Flaig-Maier zum Auftakt ihrer Beratungsarbeit für die Diakonie einen Kollegen vertritt, der sich um Jugendliche kümmert, die betrunken im Krankenhaus landen. Die Sozialarbeiterin hat kürzlich mit einem Klienten ein Cliquen-Gespräch vereinbart – ein Einsatz auf ihrem bisherigen Terrain. Ihre Hauptaufgabe ist jedoch die Beratung von suchtkranken Erwachsenen und ihrer Angehörigen.

In der Schulsozialarbeit war die Beratung nur eine Facette der Arbeit – jetzt spezialisiert sich Maria Flaig-Maier, wobei die Süchte ihrerseits sehr verschieden sein können: Alkohol, Heroin, Computerspiele… „Die Suchthilfe gibt es seit 100 Jahren“, sagt Maria Flaig-Maier, „das ist sehr ausgereift.“

Im Bereich der Schulsozialarbeit hat sie hingegen Neuland betreten, als sie vor neun Jahren an der Hohenberger Hauptschule angefangen hat. Sie kam aus der mobilen Jugendarbeit in Stuttgart und hatte erste Projekt-Erfahrungen an einer Schule, in welcher der Rektor keine Sozialarbeit haben wollte. In Horb war das anders, obwohl eine Schulsozialarbeiterin damals noch als Makel galt. „Das hat ein G‘schmäckle gehabt“, wie sich die Pionierin erinnert. „Heute ist es ein Qualitätsmerkmal, mit dem Schulen auf ihrer Homepage werben.“

Schulsozialarbeit hat Maria Flaig-Maier als sehr weites Arbeitsfeld definiert. Es begann für sie bei der Beziehungsarbeit. Und dazu gehörte für sie weit mehr, als die Schüler in Klassenrats-Sitzungen oder Unterrichts-Projekten kennenzulernen. Maria Flaig-Maier übernachtete mit den Kindern und Jugendlichen beispielsweise im Schulhaus und spielte mit ihnen im Schein von Taschenlampen Verstecken – ein unheimliches Vergnügen in dem leeren Gebäude.

Das Büro der Schulsozialarbeiterin, die mit der Umstellung auf den Ganztagsschulbetrieb eine Kollegin bekommen hat, war ein Eisenbahn-Waggon. Hier haben Mädchen und Jungen ihre Probleme angesprochen. Mobbing und Selbstverletzung waren genauso ein Thema wie Gewalt in der Familie und Missbrauch. Die Hilfs- und Handlungsbereitschaft von Maria Flaig-Maier reichte weit über das Schulgelände hinaus: In einem Fall hat sie eine Jugendliche sogar zu einer Abtreibung begleitet.

Mit Konflikten zwischen Schülern und Lehrern war sie ebenfalls befasst. Besonders delikat wurde es, wenn sich einzelne Pädagogen nicht an Grundsätze hielten, die Maria Flaig-Maier den Kindern in sozialen Kompetenztrainings vermittelt hatte. Einen Schüler als „Sieb“ zu bezeichnen, um ihm zu verdeutlichen, dass bei ihm der Lernstoff durchrieselt, ist beispielsweise das Gegenteil eines respektvollen Umgangs miteinander.

Gerade bei Hauptschülern sei es wichtig, dass sie Bestätigung bekommen, sagt die bisherige Schulsozialarbeiterin. Jeder Fünfklässler habe von seinem Umfeld vermittelt bekommen: „Mit dem Hauptschul-Abschluss hast Du eh keine Chance.“ Es sei ein Witz, wenn es heiße, im dreigliederigen Schulsystem werde jeder angemessen gefördert, merkt Maria Flaig-Maier an. Abgesehen davon sei die Welt unübersichtlicher geworden und die Familien hätten an Stabilität verloren – unter anderem durch Trennungen und wirtschaftliche Not bedingt. Moderne Kommunikationsmittel könnten den Jugendlichen das Leben zusätzlich schwer machen: „Mich hat als Schülerin noch keiner per SMS beschimpft.“

Maria Flaig-Maier hat in Horb mehrere Jahrgänge durch ihre gesamte Haupt- und Werkrealschulzeit begleiten können. „Das war sehr viel wert.“ In diesem Kontext fällt auf, dass die Stadt Horb die Nachfolge-Stelle nur auf zwei Jahre befristet ausgeschrieben hat.

Dass die Schulsozialarbeit bis dato vom Gemeinderat politisch anerkannt und unterstützt worden ist, hat Maria Flaig-Maier im Arbeits-Alltag als sehr hilfreich empfunden. Zweieinhalb Jahre lang hat sie außerdem das Städtische Jugendreferat kommissarisch geleitet. In dieser Zeit ist unter anderem der Mitternachtssport eingeführt worden. Zudem hat sie sich um Bands und ihre Proberäume gekümmert – sowie um deren Müllaufkommen… Und vor einigen Jahren hat Maria Flaig-Maier Punks und Polizisten zusammengeführt: In diesem Gespräch konnten Konflikte entschärft beziehungsweise beigelegt werden.

Die Sozialarbeiterin hat Kindern und Jugendlichen geholfen, aber ihnen auch Grenzen gesetzt. „Sie müssen wissen, für was ich stehe“, so lautete ein Arbeits-Grundsatz.

Ihre Standpunkte vertrat Maria Flaig-Maier seit September 2009 auch im Vorstand des „Netzwerks Schulsozialarbeit Baden-Württemberg“. Der landesweite Zuwachs in der Schulsozialarbeit komme daher, erklärt sie, „dass die Praxisbeispiele vor Ort überzeugt haben.“ Sie selbst hat ihre Arbeit immer wieder in Supervisionen überprüft, überdacht und weiterentwickelt. Diese Beratungsverfahren haben sie derart überzeugt, dass sie seit einiger Zeit selbst eine Weiterbildung zur Supervisorin macht.

Trotz Vorfreude auf ihre neuen Aufgaben bei der Diakonie in Freudenstadt ist Maria Flaig-Maier der Abschied von der Hauptschule schwer gefallen. Ihr ist zum Schluss bewusst geworden, dass es nicht nur die konkrete Hilfe oder Projekte waren, welche die Schüler geschätzt haben, sondern auch ihre bloße Anwesenheit. Sie wussten: „Wen irgendwas ist, ist sie da.“

Eine Botschaft der Schulsozialarbeiterin ist einem Schüler ganz besonders in Erinnerung geblieben: „Es geht viel besser, wenn man zusammenhält.“ Diesen Leitsatz wiederholte er, als er das Abschiedsgeschenk seiner Klasse überreichte: das Foto der Klassengemeinschaft, die in Puzzle-Form zusammenhält.

Andreas Ellinger, Südwest Presse Horb, Horber Chronik

Freitag

19

November 2010

Publikation:
Südwest Presse

 

Ressort:
Horb