Andreas Ellinger

JOURNALISMUS IN WORT UND BILD

Wie das Lernen reizvoll wird

Veröffentlicht in: Berichte, Bildung

Print Friendly, PDF & Email

Modellprojekt am MGG: Schüler für die Produktentwicklung begeistert

 

50 Achtklässler des Martin-Gerbert-Gymnasiums haben vergangenes Jahr damit begonnen, die Stadt Horb virtuell nachzubauen – dreidimensional im Internet. Diplom-Designer Martin Schmitter und Diplom-Ingenieur Florian Wiest haben mit diesem Projekt gezeigt, das Lernen mit Begeisterung besser zu funktionieren scheint als Wissensvermittlung mit Noten-Druck.

 Wenn du ein Schiff bauen willst, so trommle nicht Männer zusammen, um Holz zu beschaffen, Werkzeuge vorzubereiten, Aufgaben zu vergeben und die Arbeit einzuteilen, sondern lehre die Männer die Sehnsucht nach dem weiten endlosen Meer.

Dieser pädagogische Leitsatz stammt von Antoine de Saint Exupery – Florian Wiest und Martin Schmitter haben ihn projektweise auf das heutige Schulsystem übertragen. Gewagt haben sie ihr Experiment mit Achtklässlern – einer Altersstufe, die unter Pädagogen als die schwierigste gilt. Schmitter und Wiest wollten mit den Schülern allerdings kein Schiff bauen, sondern sie im Hinblick auf ihr späteres Berufsleben für die Produktentwicklung begeistern.

Ausgangspunkt war die Erkenntnis: „Schule bleibt abstrakt bis zum Beruf“, sagt Martin Schmitter. „Es ist nicht der Ehrgeiz, der den Kindern fehlt, sondern es fehlt im Unterricht die Verbindung zur Anwendung.“ Dass die Projekt-Initiatoren damit richtig liegen könnten, darauf deutet das Ergebnis ihres Versuchs hin, das Projekt in der Freizeit der Schüler anzubieten – nachmittags. Als sogar 50 Achtklässler kamen, waren nicht nur die begleitenden Lehrer, sondern auch die Projektleiter positiv überrascht. „Und auf Anhieb waren zu 50 Prozent Mädchen dabei – ohne ,Girls-Day‘“, sagt Florian Wiest.

Die heutige Jugend, auch „Generation Y“ genannt, wurde von Florian Wiest und Martin Schmitter in ihrer Lebenswirklichkeit abgeholt. „Die Schüler sind mit Handy, Computer und Internet groß geworden“, sagt Florian Wiest. „Google Earth“ – ein geografisches Angebot der Internet-Suchmaschine „Google“ – sei für sie folglich Alltag. Und mit der Software von „Google Earth“ machten sich die beiden Projekt-Lehrer mit den Schülern daran, Horb nachzubauen. Das Grafik-Programm lernten die Jugendlichen spielend – so sehr faszinierte es sie, real existierende Horber Häuser in dreidimensionaler Optik für die Nutzer des Internets virtuell nachzubauen.

Aus Sicht der Projekt-Entwickler belegt das, dass es in Schule und Ausbildung generell darauf ankommt, dass die „Sinnhaftigkeit der Arbeit“ unmittelbar erkennbar ist. Das wollen sie künftig auch Lehrern vermitteln. Mit ihrem Horber Referenzprojekt konnten sie die Reutlinger Hochschule als Partner für Lehrer-Seminare gewinnen – im Rahmen der Weiterbildungs-Stiftung „Knowledge Foundation“.

MGG-Lehrer Harald Marks, der für die Computer der Schule zuständig ist, hat das Projekt über fünf Nachmittag à vier Stunden begleitet. Die Begeisterung der Schüler sei groß gewesen, bestätigt er. Allerdings habe es sich um ein Strohfeuer gehandelt, das zwischenzeitlich verpufft sei. Achtklässler würden ein solches Projekt nicht selbstständig weiterentwickeln, sprich weitere 3D-Häuser fürs Internet „bauen“ – im Zeitalter des achtjährigen Gymnasiums schon gar nicht. Marks: „Die Schüler sind da an der Belastbarkeits-Grenze.“ Darunter leide der Bereich der Arbeitsgemeinschaften insgesamt, der Schule vor dem achtjährigen Gymnasium lebendig gemacht habe. Marks hätte sich allerdings auch von den Projekt-Initiatoren gewünscht, dass sie für die Schüler ein Folge-Projekt anbieten.

Florian Wiest ist es bewusst, dass das Projekt fortgesetzt werden sollte: „Da müsste man jetzt am Ball bleiben.“ Und Martin Schmitter sagt: „Wir würden die Schüler gerne bis zum Abitur begleiten.“ Leider habe es nicht geklappt, die Landesstiftung Baden-Württemberg für eine finanzielle Unterstützung zu gewinnen, um das Projekt in verschiedener Hinsicht auszuweiten – auch auf andere Schulen. Auf der Suche nach anderen Partnern haben die beiden die Fachhochschule Reutlingen gefunden, wobei es bei dieser Kooperation um die Fortbildung von Lehrern geht, die dann ihrerseits entsprechende Projekte anbieten sollen.

Konzeptionell haben Martin Schmitter und Florian Wiest übrigens schon eine neue Unterrichts-Idee auf dem Schirm: Schüler sollen einen eigenen MP3-Player gestalten, den sie hinterher als funktionsfähigen Prototypen in Händen halten. Dadurch soll es bei den Schülern „Klick“ machen, erklärt Schmitter – sie sollen merken: „Ich kann selber die Welt mitgestalten.“

Angesichts der Herausforderungen, die sich gerade in der gegenwärtigen Krise für die Zukunft stellen, wird laut Martin Schmitter eine Generation gebraucht, „die neu an die Aufgaben rangeht“.

Der pädagogische Ansatz ist folglich nur ein Teil des Konzepts von Florian Wiest und Martin Schmitter. Ihnen ist schlicht während ihres Studiums aufgefallen, dass in industriell orientierten Studiengängen vergleichsweise hohe Abbruchquoten von 30 bis 35 Prozent zu verzeichnen sind. Bei der Ursachenforschung stießen sie auf falsche Vorstellungen von den Berufsbildern. Ihre eigene Erfahrung besagte indes: „Produktentwicklung kann genauso sinnhaft und faszinierend sein wie traditionell ideell belegte Laufbahnen.“

Martin Schmitter und Florian Wiest sind selbst begeistert von der Produktentwicklung. Sie verstehen sie als eine Welt, „in der man Probleme erkennt und löst“. Dieses Bewusstsein, dass hinter allen Produkten Überlegungen stecken, wollen sie bei den Schülern schaffen. Das beginnt mit dem Nachbauen – wie im ersten Projekt mit den Häusern geschehen. „Und irgendwann fangen die Jugendlichen an, die Produkte, die sie nachbauen, besser zu denken“, erklärt Florian Wiest die Idee. Auf diese Weise könne idealerweise auch „Gründergeist“ entstehen.

Dieses Konzept und vor allem das technische Verständnis (bezüglich der Computer-Programme für entsprechende Projekte) wollen die beiden in Zusammenarbeit mit der Reutlinger Fachhochschule Lehrern vermitteln.

Dann könne ein Lehrer beispielsweise den Horber Schurkenturm per PC virtuell nachbauen – das wecke Interesse und Begeisterung. Florian Wiest: „Dann ist der Lehrer für die Schüler derjenige, der‘s drauf hat…!“

Andreas Ellinger, Südwest Presse Horb, Horber Chronik

 

Siehe auch:

Lernen! Für welches Leben?

Samstag

8

August 2009

Publikation:
Südwest Presse

 

Ressort:
Horb