Andreas Ellinger

JOURNALISMUS IN WORT UND BILD

Eine Integration ist nicht erwünscht

Veröffentlicht in: Features, Migration

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Kares Ali – seit fünf Jahren in Deutschland / Quasi Schulverbot, weil sie 20 Jahre alt ist

 

Kares Ali muss nach der Mittagschule und am Wochenende ihren Lebensunterhalt verdienen. Ihre Eltern haben vergeblich Asyl beantragt. Die kurdische Familie aus dem Nordirak wird nur „geduldet“. Kares ist eines von fünf Kindern. Weil sie volljährig ist, soll sie arbeiten. So will es das Gesetz – jetzt, wo sie es ans Gymnasium geschafft hat.

Wer auf Dauer bei uns leben will, muss Integrationsbereitschaft mitbringen. Die Ausländer müssen auch selbst nach der Maxime ,fördern und fordern‘ bereit sein, sich den Anforderungen bei der Integration zu stellen und diese aktiv zu unterstützen.“ Das hat Landes-Innenminister Thomas Schäuble am 26. Februar gesagt. Kares Ali hat sich diesen Anforderungen gestellt – schon vor dem Appell des Ministers.

Kein Geld vom Sozialamt

Mitte Februar fing die 20-jährige Kurdin an, neben der Schule her als Aushilfsverkäuferin zu arbeiten. Seit dem Sommerferien-Ende habe ihr das Freudenstädter Sozialamt nichts mehr gezahlt, erzählt sie. Im Asylbewerber-Leistungs-Gesetz steht: „Arbeitsfähige, nicht erwerbstätige Leistungsberechtigte, die nicht mehr im schulpflichtigen Alter sind, sind zur Wahrnehmung einer zur Verfügung gestellten Arbeitsgelegenheit verpflichtet. Bei unbegründeter Ablehnung einer solchen Tätigkeit besteht kein Anspruch auf Leistungen nach diesem Gesetz.“

Im Sommer 2001 sei sie auf diesen Umstand hingewiesen worden, sagt Kares Ali. Sie war damals 19 Jahre alt und hatte soeben den Realschul-Abschluss geschafft. Sie sollte sich einen Ausbildungsplatz suchen. Als Ausländerin mit Duldung hätte sie nur solche Stellen antreten können, für die sich keine Deutschen bewerben. Abgesehen davon: Wer stellt eine junge Frau ein, bei der es alle drei Monate darum geht, ob sie abgeschoben wird (siehe auch das heutige AUSSERDEM auf Lokalseite 1)?

Kares Ali soll nicht in Deutschland bleiben. Dass sich so jemand integriert, ist politisch unerwünscht. Hätte das kurdische Mädchen danach gehandelt, würde sie seit fünf Jahren zuhause herumsitzen – zuerst in den zwei Zimmern jener Asylbewerber-Unterkunft, in der die siebenköpfige Familie untergebracht war, und heute in einer Sozialwohnung. Sie könnte kein Deutsch, würde mangels Sprachkenntnissen keine Arbeit finden, und das Sozialamt müsste ihr den Lebensunterhalt finanzieren, wie es das Asylbewerber-Leistungs-Gesetz vorsieht.

Als Kares Ali mit 15 Jahren nach Deutschland kam, konnte sie nicht auf die Hauptschule. Sie sprach kein Deutsch. Ein Jahr lang ging sie auf eine hauswirtschaftliche Schule, ohne Arbeiten zu schreiben. Durch das Zuhören lernte sie Deutsch. Einen Sprachkurs hat sie nie angeboten bekommen. Es folgte ein Berufsvorbereitungsjahr (BVJ), in dem sie alle Prüfungen mitschrieb. In Deutsch hatte sie ein Fünf – in allen anderen Fächern war sie besser als Drei. An der Gewerblichen und Hauswirtschaftlichen Schule Horb bekam sie die Chance, die „zweijährige Realschule“ zu machen. Sie bestand die Mittlere Reife mit Noten, die es ihr ermöglichten, auf ein Gymnasium zu gehen – auf die Luise-Büchner-Schule in Freudenstadt. So weit war sie im vergangenen Sommer, als ihr das Sozialamt ankündigte, ihr von Gesetzes wegen keine Hilfe zum Lebensunterhalt mehr zu gewähren, falls sie sich nicht beim Arbeitsamt um eine Vollzeitstelle bewerbe.

Es hätte passieren können, dass Kares Ali die Schule abgebrochen hätte, keinen Job gefunden hätte und zuhause herumgesessen wäre – mit finanzieller Unterstützung des Sozialamts. Über die Wahrscheinlichkeit lässt sich nur spekulieren. Wie viele geduldete Ausländer mit Arbeitserlaubnis eine Arbeitsstelle finden, ist statistisch nicht erfasst.

Kares Ali entschied sich, in die elfte Klasse zu gehen und nach einem Teilzeit-Job zu suchen. „Zur Schule zu gehen ist ihr Wunsch“, sagt Vater Suliman Ali. Im September 2001 habe das Sozialamt seine Zahlungen eingestellt. Kares Ali sollte fortan beispielsweise ein Siebtel der Miete für die elterliche Sozialwohnung aufbringen und ein Siebtel der Müll-Gebühren. „Wenn ich meine Eltern nicht gehabt hätte, wäre ich auf der Straße gesessen“, sagt die Schülerin. Ein Rechtsanwalt setzte durch, dass die Sozialbehörde in diesem Frühjahr rückwirkend zahlen musste.

Am 20. Februar konnte Kares Ali bei der Arbeitslosen-Initiative (ALI) im Kreis Freudenstadt als Aushilfsverkäuferin anfangen – nachmittags und samstags, wenn (deutsche) Mütter mit Kindergarten- oder Schulkindern nicht arbeiten können. An vier Tagen hat sie Mittagschule, drei Mal davon bis 15.30 Uhr. Von 16 bis 18 Uhr arbeitet sie, freitags den ganzen Nachmittag und samstags den ganzen Vormittag. „Trotzdem bringt sie gute Leistungen“, sagt Rosemarie Klaiber, die Direktorin der Luise-Büchner-Schule. „Kares ist eine Schülerin, die sich sehr reinhängt.“ In Mathematik unterrichtet Rosemarie Klaiber die Klasse und erlebt die Kurdin als „sehr engagierte und sehr gute Schülerin“. Die Schulleiterin kennt Kares Ali von der hauswirtschaftlichen Schule her: „Sie hat sich in kurzer Zeit sprachlich enorm entwickelt. [. . .] Sie spricht inzwischen so gut Deutsch, dass man kaum merkt, dass sie keine Deutsche ist.“

„Weil ich immer lernen muss“

Die 20-Jährige bewältigt mehr als 30 Stunden Unterricht und 16 Stunden Arbeit pro Woche, sie macht Hausaufgaben und lernt bis 23 Uhr. „Am Wochenende kann ich nirgends hingehen“, sagt sie, „da ich immer lernen muss.“ Sich mit Freundinnen abends zu treffen ist zeitlich nicht drin. Und obendrein hat Kares Ali weniger Geld zum Leben als vorher, während das Sozialamt sie unterstützte. Sie sagt: „Es macht aber mehr Spaß, weil ich jetzt selbst verdiene.“ ALI-Geschäftsführer Carl Brieskorn sagte: „Sie kann so lange bei uns arbeiten, so lange es eine Arbeitserlaubnis gibt und so lange es die ALI gibt.“ Die Existenz der Arbeitslosen-Initiative ist gefährdet. Das Insolvenz-Verfahren läuft. Kares muss um ihren Arbeitsplatz fürchten. Ihr Vater war auf ein Jahr befristet bei der ALI beschäftigt und ist jetzt wieder arbeitslos.

Wer Kares Ali flüchtig kennt, merkt ihr diese Sorgen nicht an. Sie ist ein lebensfroher Typ und lacht viel. Sie klagt nicht. Kares Ali ist dankbar dafür, dass sie in Freudenstadt sein kann. Erst auf Nachfrage verrät sie: Ja, mit Freundinnen würde sie sich schon gerne treffen. Das fehle ihr. Und auf die Frage, wie sie mit der täglichen Zukunftsangst umgehe, wird Kares Ali ernst und erzählt, dass sie oft nicht schlafen kann. Nicht einmal zum Träumen scheint in ihrem Leben Zeit zu sein.

Andreas Ellinger, Südwest Presse Horb, Landkreis Freudenstadt

 

Siehe auch:

Kommentar: Die zwei Wahrheiten über den Nordirak (24.08.2002)

Samstag

24

August 2002

Publikation:
Südwest Presse

 

Ressort:
Kreis FDS