Andreas Ellinger

JOURNALISMUS IN WORT UND BILD

Besoffene „streuten“ Deckel

Veröffentlicht in: Features, Justiz

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Da laufen zwei Jungs des Nachts die (alte) Bildechinger Straße in Horb hinunter, können sich trotz (jeweils) einer 0,7-Liter-Flasche Wodka und einigen Bieren intus auf den Beinen halten und dann liegt ihnen der Deckel einer Streugut-Kiste im Weg. Der eine stolpert — das macht ärgerlich. Tretender Weise hat sich das Duo den (Geh-) Weg frei gemacht und dabei fahrlässiger oder Alkohol bedingter Weise die Straße blockiert – am 8. März dieses Jahres gegen 23 Uhr.

Ein Auto fahrender Student, der vom Hohenberg her kam, hat das Hindernis erst spät bemerkt. Er wich kurzfristig aus. Fast sei er über den Bordstein der Gegenfahrbahn geschanzt, sagte er vor dem Horber Amtsgericht als Zeuge — wenn er sein Auto nicht unter Kontrolle bekommen hätte. Ihm ist es zu verdanken, dass die Polizei die Täter erwischte, weil er sie umgehend meldete.

Das Horber Amtsgericht hatte dadurch am Dienstag eine Stunde länger zu tun und konnte beiden Tätern neben einem Bedauern insgesamt 150 Euro abringen. Das hätte fast einen neuen Deckel für eine Streugut-Kiste gereicht. Den stellte die Stadt Horb nämlich mit 155,96 Euro in Rechnung. Der Deckel war kaputtgegangen, weil ein anderer Autofahrer offenbar nicht so fix reagiert hat wie jener Zeuge.

Der eine Deckel war aber nicht alles – sonst hätte sich wohl kaum ein Gericht mit der Tat beschäftigen müssen. „Es sollen zwei Kisten mit Streugut dagestanden haben“, sagte der Richter und konfrontierte die beiden jungen Männer mit dem weitergehenden Vorwurf: „Es sollen beide ihren Deckel verloren haben.“ Den zweiten Deckel hat besagter Zeuge angetroffen, als er – noch von seinem Ausweich-Manöver aufgewühlt – von der Polizei zurückkam und den ersten Deckel sicherheitshalber von der Fahrbahn räumen wollte.

Bereits bei seiner ersten Fahrt hatte der Student zwei Männer bemerkt, die „nicht schnurstracks geradeaus gelaufen sind“ und auf der Wiese bei einem zweiten Streugut-Kasten standen. „Es sah so aus, als ob sich einer bückt. [. . .] Es hätte aber genauso gut sein können, dass sie sich da setzen wollten.“

Die zwei Angeklagten wussten in der Gerichtsverhandlung nichts mehr von einem zweiten Kasten. Dass sie einen zweiten Deckel auf die Straße gekickt haben könnten, wollten sie aber nicht ausschließen. Wer den Deckel öffnen darf, um gewöhnlich den Inhalt auf die Straße zu werfen – ob die Stadt oder Privatleute -, darüber hatten sich die Angeklagten keine Gedanken gemacht, wie eine Nachfrage des Richters ergab. Er sprach in seiner Urteilsbegründung von einer „jugendtypischen Dummheit“, wofür die beiden Horber je 75 Euro bezahlen sollen. Der Staatsan-walt hatte beantragt, sie zu je 300 Euro zu verurteilen. Das hätte rund zwei Drittel des Netto-Monatsgehalts entsprochen, das die Angeklagten als Azubi bekommen. Dass sie nicht so viel zahlen müssen, mag daran gelegen haben, dass der Richter ihre Tat als „nicht allzu schwer wiegend“ einstufte. Und die Vertreterin der Jugendge-richtshilfe sah „keine Wiederholungsgefahr in dem Sinne“.

Andreas Ellinger, Südwest Presse Horb, Horber Chronik

Donnerstag

12

September 2002

Publikation:
Südwest Presse

 

Ressort:
Horb