Andreas Ellinger

RESEARCH, ANALYSES AND REPORTING

Der Maschinenbauer bei der Caritas

Veröffentlicht in: Porträts, Soziales

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Sozialunternehmer Erwin Reck versteht es, aus fast nichts viel zu machen

 

Nach der atomaren Katastrophe in Tschernobyl wollte Erwin Reck ins südamerikanische Patagonien auswandern – unzählige Arbeitslose und andere Hilfsbedürftige können froh sein, dass er geblieben ist. Der Horber Caritas-Chef feiert heute seinen 50. Geburtstag.

Horb. Arbeitslose ohne Perspektive, Familien mit leerem Kühlschrank, allein erziehende Frauen mit überzogenem Bank- Konto – Erwin Reck hilft am liebsten praktisch und er ergreift für sie das Wort, wie unzählige Presse-Berichte belegen. Und wenn es anlässlich seines 50. Geburtstags mal ausnahmsweise um ihn gehen soll, dann erzählt er vom Gewächshaus- Bau. Das ist typisch für ihn – nicht, dass er vom Gewächshaus erzählt, sondern wie er es baut – nämlich fast zum Nulltarif. Aus fast nichts, viel machen – das kann Erwin Reck – im Beruf wie im heimischen Garten. Jemand wie er ist wie geboren für die Caritas. Studiert hat der gebürtige Empfinger, der in Horb aufgewachsen ist, aber zunächst einmal Maschinenbau. „Ich bin sehr technisch veranlagt“, sagt er, der sein Gewächshaus aus lauter Altmaterial baut und trotz Beton- Fundament, Stahl-Konstruktion und Glastür bisher nur 30 Euro investiert hat. Vielleicht sind ihm die Maschinen ja zu rund gelaufen, was auf ein Menschenleben ja nicht unbedingt zutrifft. Der Maschinenbauer beschloss, Sozialarbeiter zu werden und hängte ein entsprechendes Studium dran – um dann fast Teehändler zu werden. Hätte sein Vater nicht gesagt: „Ich hab‘ Dir kein Studium gezahlt, damit Du auf der Bühne Tee trocknest und Blumen sammelst.“

Und das kam so: Als Erwin Reck mit seiner Frau Ingrid vom Studium aus Tübingen ins großelterliche Haus nach Empfingen zurückkehrte, beschloss das Paar, einen Naturwaren- Laden aufzumachen. Das brachte den Recks Anfang der 80er- Jahre den Ruf ein, unglaublich „grün“ zu sein. In der Gemeinde soll sogar das Gerücht herumgegangen sein, dass im Reck‘schen Kinderzimmer an Stelle eines Teppichbodens Gras gesät ist.

Der große Kunden-Ansturm im Laden blieb jedenfalls aus, weshalb das Ehepaar in den Tee-Versand eingestiegen ist. Irgendwann stand Erwin Reck vor der Wahl: Tee oder Caritas, wobei sich längst herausgestellt hat, dass sich Tee und Caritas nicht ausschließen. Der Eine-Welt- Laden in der Horber Wilhelmstraße ist der Beweis. Den hätte Erwin Reck vielleicht nie in sein Caritas-Arbeits-Projekt integriert, wenn er nicht über fünf Jahre Erfahrung mit besagtem Bio-Laden gesammelt hätte.

„Das Projekt“, auf das er immer wieder zurückkommt, besteht aus dem Eine-Welt-Laden, dem Fair- Kauf für gebrauchte Kleider, der „Horber Tafel“, einer Wärmestube für Obdachlose, dem betreuten Wohnhaus „Neckarblick“ und einem Dienstleistungs-Unternehmen. Das alles konnte entstehen, weil Erwin Reck seit jeher 40 Prozent seiner Arbeitszeit für Innovationen zur Verfügung stehen, wie er erzählt. Von Anfang an hat er sich in neue Bereiche gewagt. Dazu gehörte die Asylbewerber-Betreuung, später die Versorgung von Bürgerkriegs- Flüchtlingen aus dem ehemaligen Jugoslawien. Eine Zeit lang fuhr er in jeder Woche mit 10.000 bis 15.000 Mark aus kirchlichen Kassen nach Heiligenbronn, um eine Art Sozialhilfe an Bosnier und Kroaten auszuzahlen. Das Sozialamt beteiligte sich erst später – auf Recks Initiative hin.

Der Krankenhaus-Sozialdienst, die Informations-, Anlauf- und Vermittlungsstelle für pflegebedürftige Menschen, die Schuldenberatung, ein Möbellager und schließlich das Arbeits-Projekt zur Qualifizierung von Langzeitarbeitslosen waren seine Stationen im Dienste der Caritas. Und ohne das Projekt wäre heute manches Beratungs-Angebot nicht mehr finanzierbar, vermutet er.

In seiner so genannten Freizeit hat Erwin Reck als typischer Schwôb ein Häusle gebaut, zwei Wälder umgetrieben und seinem eigentlichen Hobby gefrönt: dem Bau von Modellflugzeugen. Den Vorsitz des entsprechenden Horber Vereins hat er seit 15 Jahren inne. Im Winter sitzt er stundenlang mit seinem Röhrenradio im Keller und bastelt an den ferngesteuerten Vögeln: „Dann han i koi onzigs Problem mee, dô seh i nur nô mein‘ Flieger“, erzählt er, der jedes vorgefertigte Teil meidet.

Die Motorradfahrerei und das Bergwandern sind zwei weitere Leidenschaften von ihm. Und so kommt‘s, dass er davon träumt, für ein Jahr lang mal eine Berghütte zu bewirtschaften. Nicht irgendwann, sondern mit 55 Jahren.

Dann will er nicht in den Ruhestand gehen, aber beruflich aussteigen. Und heute, am 50., sieht es ganz danach aus, als ob das gelingen könnte.

Andreas Ellinger, Südwest Presse Horb, Horber Chronik

Mittwoch

3

September 2003

Publikation:
Südwest Presse

 

Ressort:
Horb