Andreas Ellinger

RESEARCH, ANALYSES AND REPORTING

Schach mit dem Mörder

Veröffentlicht in: Features, Justiz

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Götter in Weiß werden Ärzte genannt – und das scheinen moderne Gerichtsmediziner im Besonderen zu sein. In den Katakomben des Stuttgarter Robert-Bosch-Krankenhauses lassen sie Schwerverletzte aufstehen und gehen… – sogar Tote werden zu neuem Leben erweckt. Virtuell!

Professor Dr. Heinz-Dieter Wehner heißt der Mann, der dort die Privatisierung der rechtsmedizinischen Dienstleistungen maßgeblich vorangetrieben hat – um sie von der Tübinger Universität und damit von den Wissenschafts-Etats zu entkoppeln, die dem politischen Spardruck unterliegen. Früher hat er das Rechtsmedizinische Institut der Uni geleitet – heute, als Pensionär, ist er Teilhaber der „Gesellschaft für rechtsmedizinische Untersuchungen und Sachverständigentätigkeiten“ (GRUS).

Der Diplom-Physiker und Medizin-Professor, der nach einem Abendstudium mit 60 Jahren noch den Diplom-Betriebswirt gemacht hat, war am Montag in Horb. Vor dem Amtsgericht erläuterte er als Gutachter, wie er die gefährliche Körperverletzung rekonstruiert hat, bei der einem Mann unter anderem das Schulterblatt gebrochen worden war. Zur Präzessions-Arbeit des Sachverständigen gehörte es, auf den Pflasterstein genau den Standort des Autos zu bestimmen, in dessen Fahrertür-Bereich der Täter zweimal mit einer Eisenstange zugeschlagen hatte. Der Dachschaden des Passats verriet, wie das „gefährliche Werkzeug“ bei einer der zwei Attacken geführt wurde. Täter und Opfer wurden virtuell in Originalgröße modelliert und dreidimensional in ein Computer-Programm eingespeist. Wären nicht die polizeilichen Ermittlungsdefizite gewesen, dann wäre die Rekonstruktion für den Professor und sein Team eine leichte Übung gewesen.

Auch Polizei und Staatsanwaltschaften können übrigens die Spezialisten aus Stuttgart und Tübingen buchen. Wenn Professor Dr. Wehner seine Auftragsbücher analysiert, beschleicht ihn jedoch der Eindruck: „Ich glaube, dass nicht alle Kriminalisten wissen, welche Möglichkeiten wir hier im Robert-Bosch-Krankenhaus haben.“

Zu diesen Möglichkeiten gehört es, dass Tote im Dienste der Wahrheitsfindung be- und durchleuchtet werden. Da wird mancher beispielsweise posthum einer Computertomographie

unterzogen. Mittels eines lichttechnischen Verfahrens (Streifenlicht-Topometrie) und Kameras wird der Körper dreidimensional erfasst. Es entsteht eine Form, die ein Computer-Programm mit virtuellen Knet ausfüllt. So werden Tote auf dem Bildschirm wieder quicklebendig.

Professor Dr. Heinz-Dieter Wehner erklärte beim Besuch der SÜDWEST PRESSE am Beispiel eines Verkehrstoten, wie er und sein Team vorgehen. Nachdem per Obduktion das Verletzungsbild festgestellt worden ist, wird der virtuell auferstande Tote so oft von einem Auto umgefahren, bis das Verletzungsbild des Computer-Opfers dem des realen Opfers entspricht – dann steht unter anderem fest, mit welcher Geschwindigkeit der Autofahrer zur Tatzeit unterwegs war.

Insbesondere die Intelligenz des Mörders fordert den Rechtsmediziner heraus. „Letztlich ist das wie ein Schachspiel“, sagt Professor Dr. Heinz-Dieter Wehner. Sobald der Gerichts-Gutachter die Züge des Täters nachvollzogen und nachgewiesen hat, ist das Spiel aus: „Schachmatt“, im Namen des Volkes.

Andreas Ellinger, Südwest Presse Horb, Horber Chronik

Mittwoch

9

Juni 2010

Publikation:
Südwest Presse

 

Ressort:
Horb