Andreas Ellinger

RESEARCH, ANALYSES AND REPORTING

Open-Air verging wie im Fluge

Veröffentlicht in: Reportagen, Umwelt

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Waldgebiet „Großer Hau“: Mit Gutachter Jonathan Debler im Singvogel-Konzert

 

Der Arbeitstag fängt für Jonathan Debler bei Sonnenaufgang an, im Juni zwischen 5 und 5.30 Uhr. Der Diplom-Biologe erfasst derzeit für das Schöneberger „Büro für Faunistik und Landschaftsökologie“ die Brutvögel im Gebiet „Großer Hau“, das die Stadt Horb als Windpark-Standort untersuchen lässt.

Rexingen/Grünmettstetten. Auf der Landesstraße 370 beim Grünmettstetter „Seewald“, der inoffiziellen Autobahn in den Schwarzwald, ist noch fast kein Verkehr, als Jonathan Debler kurz vor halb Sechs in Richtung Weiher abbiegt. Dort startet er seinen Singvogel-Rundgang durch den „Großen Hau“.

Das tierische Konzert erklingt ungestört von Motorenlärm. „Morgens singen sie am Aktivsten“, erklärt der Diplom-Biologe. Das beginne schon vor Sonnenaufgang. Zu dieser Zeit seien im Wald allerdings die Sichtverhältnisse noch zu schlecht, wenn ein Blick durch den Feldstecher erforderlich werde – was allerdings selten der Fall ist. „Ich kartiere fast nur mit den Ohren“, sagt Jonathan Debler. Schon „seit früher Kindheit“ interessiert er sich für Vögel. Die Gesänge der Arten sind ihm so vertraut, wie einem Orchestermusiker die Instrumentenklänge. Er hört jede Stimme in diesem Open-Air-Konzert.

Das Programm dieses Natur-Musicals ist für einen Sachverständigen nicht in Kompositionen, sondern in Wald- und Wiesendistrikte gegliedert. Die ersten Notizen macht Jonathan Debler, bevor er das etwaige Windpark-Gebiet erreicht. Ein 500-Meter-Gürtel außen herum werde mit begutachtet, erklärt er. Was er aus dem mehrstimmigen Ensemble in Waldrand-Nähe heraushört? „Buchfink, Mönchsgrasmücke, Goldammer und Rabenkrähe.“ Der Buchfink sei eine der Arten, die in hiesigen Wäldern am häufigsten vorkämen. Ein Stück weiter haben Wintergoldhähnchen, Heckenbraunelle und Zaunkönig ihren Einsatz. Gerade der kleine Zaunkönig sei ein großer Sänger, erklärt der Gutachter. Immer wieder ist er im „Großen Hau“ zu hören: Trillernd und abrupt endend. Der Gesang des Männchens setzt sich laut Internet-Lexikon „Wikipedia“ aus rund 130 verschiedenen Lauten zusammen: „Von höheren Singwarten vorgetragen, ist er bei einer Lautstärke von 40 bis zu 90 Dezibel auf eine Distanz von bis zu 500 Metern zu hören. Eine vollständige Strophe ist in der Regel vier bis fünf Sekunden lang, kann jedoch bis zu sieben Sekunden andauern. Sie wird in die Bestandteile, Einleitung, Schmettertour, Zwischentöne, Schmettertour, Zwischentöne, Roller‘ unterteilt.“ Sie ist also wie eine echte Komposition aufgebaut. Vorgetragen von einem Vögelchen, das runde 10 Zentimeter kurz ist. Noch kleiner ist übrigens das Wintergoldhähnchen: 9 Zentimeter.

Für das Brutvogel-Gutachten ist der Biologe im Zwei-Wochen-Rhythmus jeweils an drei Tagen in dem Waldgebiet unterwegs. Wo er wiederholt denselben Gesang antrifft, kann er auf Brutplätze schließen. Zunächst einmal gehe es nur darum, welche Arten hier brüten, sagt er. Wenn seltene Arten dabei seien, müsse er die Vorkommen auch zahlenmäßig untersuchen.

Mehrere hundert Meter weit hörbar ist das Gurren der Ringeltauben. Die Singdrosseln würden sich ebenfalls als Solisten eigenen. „Wenn eine Singdrossel mal richtig loslegt, wird es richtig laut“, erzählt Debler. „Sie ist ein sehr variabler Sänger – sie hat ein ziemliches Repertoire an Strophen.“ Zwei bis vier Mal werde jede Strophe wiederholt, „das ist ihre Masche“. Um Schlag 6 Uhr sind zudem die Kirchenglocken aus einem der umliegenden Horber Stadtteile zu hören.

Gutachten wie das für den „Großen Hau“ würden seit einiger Zeit jede Menge beauftragt, erzählt Jonathan Debler: „Weil die Windkraft sehr stark ausgebaut wird.“ In Rheinland-Pfalz, wo das „Büro für Faunistik und Landschaftsökologie“ seinen Sitz hat, gebe es schon mehr Windräder als in Baden-Württemberg, wo der Biologe in jüngerer Vergangenheit viel unterwegs war. Ende des Winters und zu Beginn des Frühjahrs hat er schwerpunktmäßig Eulen erfasst, auch im Horber Bereich, weil sie zu dieser Jahreszeit die höchsten Rufaktivitäten hätten. In der späten Dämmerung. Waldkauz und Waldohreule beispielsweise.

Was die Singvögel betrifft, reicht es im Frühling, wenn er um 7 Uhr oder gar erst um 7.30 Uhr im Wald ist. Je näher der 21. Juni rückt, der längste Tag im Jahr, desto früher muss er zur Arbeit. Die Vögel würden zwar auch abends, vor dem Einsetzen der Dämmerung, singen, sagt Jonathan Debler – aber nur für relativ kurze Zeit. Morgens seien es zwei bis drei Stunden. „An warmen Tagen ist gegen 9 oder 10 Uhr wieder alles ziemlich ruhig.“

Zwischen dem Trillern, Trällern, Zwitschern und Pfeifen ist ein Klopfen zu hören: „Ein Buntspecht“, stellt der Gutachter fest. Der Specht mache sich an Bäumen zu schaffen, die von Insekten befallen seien. Alte Wälder mit Totholz seien besonders artenreich.

Gegen 6.15 Uhr ist es im Wald bereits merklich ruhiger geworden. Dafür ist ein Flugzeug zu hören. Etwas lebendiger wird es, als auf einer angrenzenden Wiese einige Rabenkrähen einen Mäusebussard in die Flucht schlagen. Sonst ist kein Greifvogel zu sehen. Ob die besonders geschützten Rotmilane, die nach Bürger-Beobachtungen zwischen Rexingen, Bittelbronn und Grünmettstetten leben, den Gutachter-Termin verschlafen haben? Nein. Sie seien auf Winde, auf eine entsprechende Thermik angewiesen, erklärt Jonathan Debler. Sein Fernrohr werde er deshalb erst später aufbauen. Er suche sich höherliegende Punkte im Gelände, wo ein großer Ausschnitt des Untersuchungsgebiets zu sehen ist. Dort beobachte er jeweils zwei Stunden lang die Flugbewegungen der Tiere – um feststellen zu können, wo die Greife ihre „Horste“ haben, wie ihre Nester heißen.

Der weitere Rundgang führt aus dem Forst heraus, am Rexinger Sportplatz vorbei. Am Waldrand herrscht helle Aufregung. Warnschreie ertönen. Ein Vogel hat offenbar einen Feind erspäht, der seinen Jungen gefährlich werden könnte. Zu sehen ist aber nur ein Grünspecht, der gerade über eine Wiese in Richtung Wald fliegt.

Weiter draußen in der Flur ist eine Feldlerche zu hören, aber kaum zu sehen. „Feldlerchen singen fast ausschließlich während des Flugs, was eine ziemliche Leistung ist“, erläutert Jonathan Debler. „Sie legen ihr Revier im Flug fest.“

Kurz vor der Rückkehr zum Ausgangspunkt, gegen 7.30 Uhr, kommt der Gutachter noch einmal nahe an den Wald heran. Im Vergleich zum Konzert bei Sonnenaufgang ist nur noch ein Abgesang zu vernehmen. Der Biologe äußert Augen zwinkernd Verständnis: Die Vögel seien am Brüten oder beschäftigt, ihre Jungen aufzuziehen. „Da kann man nicht mehr den

ganzen Tag vor sich hinsingen.“

Andreas Ellinger, Südwest Presse Horb, Horber Chronik

Mittwoch

4

Juli 2012

Publikation:
Südwest Presse

 

Ressort:
Horb