Andreas Ellinger

JOURNALISMUS IN WORT UND BILD

„Mami, das Geld kannst Du nehmen“

Veröffentlicht in: Interviews, Soziales

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PDFOriginalartikel aus der Südwest Presse Horb als PDF


Armut: Eine geschiedene Mutter erzählt, wie sie und ihre drei Söhne von Arbeitslosengeld II leben

 

„Tag der Armut“ ist für eine Mutter an jedem Tag im Jahr, wenn sie mit drei Kindern von Arbeitslosengeld II leben muss. Die Südwest Presse hat mit einer Frau gesprochen, die auf fast alles verzichtet – und trotzdem nur durchkommt, weil ihr immer wieder Freunde helfen. Sie ist Anfang 40, wohnt im Großraum Horb und hat praktisch ihr ganzes Leben lang gearbeitet. Unter der Bedingung, dass ihr Name ungenannt bleibt, schilderte sie ihr Schicksal – am Mittwoch, dem „(Aktions-)Tag der Armut“.

Südwest Presse: Mit einem „Tag der Armut“ wollen Institutionen wie Caritas und Diakonie darauf aufmerksam machen, dass die soziale Not in Deutschland zunimmt. Armut ist aber kein eindeutig definierter Begriff… Woran ist es Ihrer Meinung nach erkennbar, dass jemand – beispielsweise hier in Horb – arm ist?

Es ist schwierig, das auf die Schnelle zu beantworten… Ich würde sagen, man sieht es an den Kindern. Viele haben noch nicht mal eine Scheibe Brot in der Schule dabei. Mein mittlerer Sohn isst nicht soviel, der verschenkt sein Brot ab und zu an Kinder, die keines mitbringen – oder mal einen Apfel. Und mein Jüngster erzählte mir nach dem Wandertag: „Viele haben gar nichts zum Vespern mitgehabt.“ Oder als sie in der Klasse mal fünf Euro für den Werkunterricht mitbringen mussten… Das war für mich viel Geld. Und mein Junge erzählte nachher, dass es Kinder gab, die gesagt haben: „Meine Mama hat kein Geld.“

Südwest Presse: Ist die Schule ein großer Kostenfaktor für Sie?

Ja, schon. Das geht zum Schuljahrs-Beginn los. Der Kleine brachte eine Liste der Lehrerin für Hefte und ähnliches mit – das hat mich 46 Euro gekostet. Da fragt keiner, von was du das zahlst…

Südwest Presse: Und von was haben Sie gezahlt?

Ich hab‘s abknappsen müssen. Zum Glück kostete das Schulzeug beim Mittleren ein bisschen weniger. Allerdings brauchte der Älteste jetzt noch Sicherheitsschuhe und Arbeitsklamotten, weil er eine Ausbildung begonnen hat. Aber ich geh‘ bestimmt nicht mehr zur Arbeits-Agentur und bettle um Geld.

Südwest Presse: Warum nicht? Wenn Sie es doch dringend brauchen…

Nee, ich bin eh bedient von denen… Im Moment zanke ich mich nur rum wegen dem Lehrlings-Lohn von meinem Großen. Kürzlich ist ein Bescheid gekommen: Sie ziehen mir sein Geld bei den Lebenskosten ab und sie ziehen ihn mir beim Wohngeld ab.

Südwest Presse: Wie geht denn sowas?

Das passiert, wenn vier Mann an einem Fall herumdoktern. „Eine Hand weiß nicht, was die andere tut“, wie man so schön sagt. Der Arbeitsvermittler hatte uns gesagt, es würden im Schnitt nur 40 Prozent vom Lohn abgezogen. Aber der ist bis Anfang November im Urlaub und jetzt weiß keiner mehr was davon. Ich warte jetzt auf einen neuen Bescheid… – wenn ich aufs Arbeitsamt gehe und will sofort jemanden sprechen, dann geht das nämlich gar nicht. In 14 Tagen krieg ich einen Termin, wenn ich Glück hab‘ in einer Woche.

Südwest Presse: Sie werden also weiterkämpfen?

Ja, denn ich seh das nicht ein. Mein Sohn bekommt als Azubi knapp 200 Euro im Monat…

Südwest Presse: …nur 200 Euro?

Ja, das ist wenig. Aber besser als nichts. Ich kenne Auszubildende im gleichen Handwerks-Beruf, die bekommen nur 70 Euro. Meinem Sohn wurde gesagt, dass sei sein Taschengeld und so hat er das auch akzeptiert. Wenn uns das aber alles abgezogen wird, dann kann der Junge ja gleich daheim bleiben. Wobei ich das natürlich auf keinen Fall will! Er macht die Arbeit auch gerne – obwohl er morgens um Fünf aufstehen muss. Das ist ein anderes Problem…

Südwest Presse: Die Arbeitszeiten?

Nein, die langen Fahrzeiten. Mein Sohn muss mit Bus und Bahn fahren – und drei, vier Mal umsteigen. Abends braucht er für die letzten fünf Kilometer mehr als eine Stunde. Eine schnellere Verbindung gibt es nicht. Insgesamt ist er jeden Tag 15 Stunden unterwegs. Mit einem Moped wäre er flexibler. Aber ich kann ihm keinen Führerschein bezahlen. Von was auch?

Südwest Presse: Aber die Fahrkarten kosten Sie doch auch Geld…

Ja, bisher. Da gibt es immer so einen Stichtag… – und bis er die erste Monatskarte bekommen

konnte, hat das 11 Euro am Tag gekostet. Aber er kriegt jetzt Fahrgeld. Das ist von seiner Ausbildungsstelle gemacht worden.

Südwest Presse: Sie haben nun wiederholt Beträge genannt, die für Sie viel Geld sind. Wie viel steht Ihnen denn pro Monat zur Verfügung?

Alles zusammen sind es rund 1600 Euro für die Kinder und mich.

Südwest Presse: Wie setzt sich dieses Betrag zusammen?

Ich bekomme vom Arbeitsamt rund 470 Euro für meine drei Kinder und mich zum Leben. Wieviel Wohngeld es künftig ist, das weiß ich noch nicht genau, weil mein ältester Sohn ja jetzt die Ausbildung begonnen hat. Bis letzten Monat waren das runde 300 Euro. Das kommt auch vom Arbeitsamt, aber aus Freudenstadt – das ist eine andere Stelle, die das bearbeitet. Außerdem kommen 450 Euro Kindergeld dazu und das, was ich bei meinem 1-Euro-Job verdiene – wobei ich sogar 1,50 Euro pro Stunde bekomme. Das sind mit Fahrgeld 200 Euro im Monat. Und dann sind es noch die 200 Euro Lohn von meinem ältesten Sohn.

Südwest Presse: Reicht Ihnen das aus?

Es muss reichen! Sicher gibt es Monate – wie in der Weihnachtszeit – wo du den Cent drei oder vier Mal herumdrehst. Aber ich muss sagen: Ich hab‘ Gott sei Dank noch gute Freunde, die uns in solchen Situationen unterstützen.

Südwest Presse: Wenn diese Hilfe fehlen würde… Was würden Sie sagen: Wie viel Geld bräuchten Sie, um das Nötigste kaufen zu können?

Das ist schwer zu sagen… Hm, ich wär im Monat mit 1300 Euro plus Kindergeld zufrieden. Da könnte ich zwar auch keine Riesensprünge machen, aber es sind schon ein paar Euro mehr. Ich hab ja ein Jahr lang sogar nur vom Kindergeld gelebt.

Südwest Presse: Nur vom Kindergeld? Das geht doch gar nicht…

Doch, nur vom Kindergeld. Wir haben Glück gehabt, wir sind bei jemandem untergekommen. Ich habe mich damals ja von einem Tag auf den anderen von meinem Mann getrennt, weil etwas vorgefallen ist… Über das möchte ich aber nicht reden. Freunde haben uns Gott sei Dank aufgenommen. Sie haben mir sogar ein Auto zur Verfügung gestellt, dass ich bis heute fahren darf. Ich tanke es und zahle die Versicherung. Und wir haben auch vieles geschenkt bekommen – zum Beispiel Möbel. Und mein bester Freund hat mir jetzt beispielsweise Geld vorgeschossen, um den Energieanbieter wechseln zu können. Ich habe einen gefunden, der preiswerter ist, aber der will das Geld für ein ganzes Jahr auf einmal haben. Und wo soll ich jetzt 500 Euro herkriegen? Das hat mir jetzt der Freund geliehen und ich stottere es ab.

Südwest Presse: Ah, okay. Das heißt, die Scheidung war der Grund, weshalb sie in die Notlage gekommen sind?

Genau so war es. Ich habe ein gutes Leben gehabt. Wir haben viel Geld verdient. Aber als ich meinen Mann verlassen habe, war das ganze Geld weg. Die Selbständigkeit hat er von heute auf morgen aufgegeben und zahlt bis heute keinen Cent Unterhalt. Trotzdem habe ich immer gesagt: Ich gehe nicht Betteln. Deshalb haben wir erst nur vom Kindergeld gelebt. Aber meine Anwältin hat das dann mit der Arbeits-Agentur angeleiert und gesagt: „Sie gehen jetzt da hin!“ Das war ungefähr vor zwei Jahren.

Südwest Presse: Haben Sie dann inzwischen eine eigene Wohnung?

Ja. Ich habe gerade ein Jahr der Wohnungssuche hinter mir.

Südwest Presse: Warum dauerte das so lange? Gibt es so wenig Miet-Angebote?

Nein, die Preise waren zu hoch. Wohnungen hätte ich jede Menge haben können. Aber ich kann keine 800 Euro bezahlen – von was denn? Ich kriege 4,50 Euro pro Quadratmeter Wohngeld. Mit meinem ältesten Sohn gerechnet stehen uns maximal 405 Euro zu: für 90 Quadratmeter. Die günstigste Wohnung, die ich gesehen habe, kostete 500 Euro kalt. Das war aber ein Dreckloch. Da hätte kein Mensch einziehen können, da hätte noch nicht mal ein Tier drin hausen können. Und die anderen Vier-Zimmer-Wohnungen lagen meist kalt bei 650 oder 750 Euro. Mit drei Kindern brauche ich eben vier Zimmer. Ich selbst verzichte da schon auf einen Raum, damit die Kinder wenigstens ihr Reich haben. Gefunden hab ich nun eine Wohnung mit 95 Quadratmetern, die warm 630 Euro kostet. Ich bekomme aber maximal 405 Euro plus runde 100 Euro für die Nebenkosten – im Moment aber nicht einmal das, weil mein Ältester als Lehrling nicht mehr berücksichtigt wird. Da bleiben nur 300 Euro.

Südwest Presse: Als Wohngeld für die Kaltmiete?

Nein, inklusive Nebenkosten. Im Ergebnis heißt das: Seit mein Ältester nach dem Schulabschluss von seinem Vater zu mir gezogen ist, hab‘ ich noch weniger Geld als ich es früher mit zwei Kindern hatte. Mit 17 Jahren braucht er einfach ein gewisses Taschengeld, nachdem sein Lohn von den Behörden sogar doppelt verplant wird – für die Wohnung und für den Lebensunterhalt. Die Arbeits-Agentur zieht vom Regelsatz übrigens auch die 240 Euro ab, die das Jugendamt für meine jüngeren Kinder zahlt.

Südwest Presse: Und wenn Ihr Herd kaputtgeht, müssen Sie den neuen womöglich auch aus dem Budget bezahlen…

Ach, da kann ich Ihnen was erzählen… In der Wohnung, die ich jetzt gefunden habe, war eine Küche im Wert von 15 000 Euro. Mein Vormieter hat sie mir für 1000 Euro angeboten. Da habe ich bei der Wohngeld-Stelle angerufen und darum gebeten, mir 1000 Euro zur Verfügung zu stellen. 500 haben sie mir gegeben. Der Sachbearbeiter hat ausgerechnet, dass mir nicht mehr zusteht. Da stand ich nun… – in einer Situation, in der gerade erst mein Ältester zu mir gezogen war. Mit einem Rucksack ist er gekommen. Er hat nur eine Hose gehabt und musste neu eingekleidet werden. Seit vier Monaten ist er da. Und ich bekomme bis heute noch kein Kindergeld, weil‘s die Behörden nicht auf die Reihe kriegen.

Südwest Presse: Wie bitte? Sie haben für die Küche nur die Hälfte bekommen und gleichzeitig sind die Kindergeld-Zahlungen um rund 600 Euro im Rückstand?

Ja. Am 28. Juni hat sich mein Sohn hier angemeldet. Ich hab sofort alles auf die Kindergeld-Kasse geschickt. Aber es ist immer noch nichts auf dem Konto. Da fragt kein Mensch: „Wie machste das?“

Südwest Presse: Auf was müssen Sie in dieser Lebenslage denn alles verzichten?

Ich? Auf fast alles. Ich möchte beispielsweise gerne mal Shoppen gehen. Geht aber nicht. Ich könnte auch nie zum Friseur gehen, das kann ich mir nicht leisten. Eine Freundin macht mir die Haare. Worauf ich aber achte: Dass zumindest die Kinder kleine Wünsche erfüllt bekommen. Die Kinder sind mir am Wichtigsten! Deswegen sage ich auch, sie können in der Ganztagesschule essen. Obwohl die 3,60 Euro am Tag für mich viel Geld sind. Dann koche ich halt abends nichts. Ich könnte auch niemals mit meinen Kindern essen gehen, wenn uns nicht mal jemand einladen würde. Und auf die Kirmes? Kann man vergessen. Die Jungs wollten jetzt so gerne zum Canstatter Volksfest. Aber da brauchst du mindestens 100, 200 Euro mit drei Kindern. Ich kann ja nicht sagen: „Hier habt ihr 10 Euro…“ Das zahlst du für einmal Karussell-Fahren. Und da gibt es noch ganz andere Wünsche. Der Große sagt: „Mutter, ich bräuchte jetzt ein Laptop für die Schule.“ Von was? Das geht einfach nicht.

Südwest Presse: Haben Sie gar keine Möglichkeit, sich wenigstens mal ab und zu einen „kleinen Luxus“ zu leisten?

Für mich ein kleiner Luxus? Dass ist, wenn ich mal mit meiner Nichte einen Kaffee trinken gehe. Es ist nur ganz wenig, was ich mir gönne. Einmal im Monat vielleicht.

Südwest Presse: Wenn Sie 50 oder 100 Euro mehr pro Monat hätten, für was würden Sie das Geld ausgeben?

Ich glaube, das würde sich verteilen. Kinder brauchen Schuhe, brauchen Klamotten und so weiter. Ich musste jetzt erst den Großen komplett einkleiden…

Südwest Presse: Nutzen Sie dabei Einrichtungen wie den Horber Caritas-Laden für Sekond-Hand-Kleider?

Ja, natürlich. Nur für den Ältesten finde ich dort nicht mal eine Hose – in seiner Größe… Herrenklamotten gibt es dort sehr wenige. Das Angebot für Frauen und Kinder, das ist hingegen gut. Für meinen Kleinsten, da gibt es wunderschöne Sachen. Aber ich möchte nochmal auf Ihre Frage zurückkommen, was ich mit mehr Geld machen würde: Der Mittlere hat sich jetzt einen bestimmten Schulranzen gewünscht. Ich hab gesagt: „Tut mir leid, der kostet 80 Euro. Den kann ich nicht kaufen. Vielleicht schaffen wir‘s zu Weihnachten.“ Das sind so Kleinigkeiten, dafür würde ich das Geld zurücklegen. Dann könnte ich den Jungs mal einen Wunsch erfüllen. Stattdessen läuft es eher umgekehrt: Die Kinder haben mir schon ihr Taschengeld angeboten. Und nach der Kommunion haben sie gesagt: „Mami, das Geld kannst Du nehmen.“ Da hab ich aber gesagt: „Das bleibt. Das ist Eures.“ Aber ich bin froh, dass ich solche Kinder habe!

Südwest Presse: Was ist Ihr Eindruck: Unter welchem Verzicht leiden Ihre Buben am meisten – was hätten sie besonders gerne?

Das fängt beim Wunsch nach einem neuen Fahrrad an. Und es betrifft die Hobbys: Meine Söhne gehen für ihr Leben gerne Schwimmen. Das kann ich nicht machen, dass sie jeden Tag Schwimmen gehen. Ich kann mir auch keinen Fußballverein leisten. Ich hab gesagt: „Alles geht nicht mehr.“ Der Mittlere würde auch so gerne mal zu Bayern München runter. Das sind alles so Wünsche, die Kinder haben – wo man sagen muss: „Tut mir leid, das geht nicht.“

Südwest Presse: Welche Versuche haben Sie unternommen, aus dieser Situation herauszukommen?

Ich habe eine Menge Bewerbungen hinter mir. Mein Handicap ist, dass ich keine Zeugnisse habe. Weil ich in den 15 Jahren, in denen ich mit meinem Mann zusammen war, nur selbständig gearbeitet habe. Und ich war im Mutterschutz. Außerdem heißt es, wenn ich mich bewerbe: „Was? Drei Kinder? Um Gottes Willen!“ Dabei sind sie seit Jahren nicht krank gewesen. Und ich war in diesem Jahr als 1-Euro-Jobberin auch nicht einmal krank. Ich geh‘ jeden Tag schaffen. Ich muss um 9 Uhr anfangen und bin immer um 8.30 Uhr da. Ich schaue auch nicht auf die Uhr, ob ich um 18.30 Uhr rauskomme.

Südwest Presse: Solche Arbeitszeiten sind trotz der Kinder möglich?

Ja, ich habe nämlich sehr selbständige Kinder. Die fahren von der Schule mit dem Bus nach Hause und die können sich alleine ihr Essen machen. Und wenn sie mal krank würden, würde ich sagen: „Komm, bleibt mal ein, zwei Tage zuhause.“ Die kann man alleine lassen. Aber die Arbeitgeber haben eben Angst, dass du dann ausfällst. Eine andere Frage, die sie immer stellen: „Haben Sie ein Auto?“ Wenn ich ein eigenes hätte, hätte ich vor rund eineinhalb Jahren einen Job bekommen. Ich war daher bei der Arbeits-Agentur und hab‘ um ein Darlehen gebeten, weil ich ja bisher nur das Auto meiner Freunde nutzen kann. Die Antwort lautete: „Ja, legen Sie uns einen Arbeitsvertrag vor.“ Ich sagte: „Ich bekomme keinen Arbeitsvertrag ohne eigenes Auto.“ Ich bekam das Darlehen nicht – und in der Folge auch nicht den Arbeitsplatz.

Südwest Presse: In welchem Berufsfeld würden Sie denn gerne arbeiten?

Ich möchte gerne im Verkauf bleiben, wo ich auch auf 1-Euro-Basis jobbe. Das liegt mir. Ende November läuft aber mein Vertrag aus. Leider! Viele sagen: „Für einen Euro geh ich doch nicht arbeiten.“ Aber ich hab‘ gesagt: „Das ist mir egal. Das sind mit Fahrgeld 200 Euro, das ist viel Geld.“ Sicher gibt‘s Tätigkeiten, die ich mir nur schwer vorstellen kann – beispielsweise in der Fabrik. Ich würde es aber probieren, wenn ich da einen Job kriegen würde. Aber da geht’s schon los: Dann hast du wieder Schichten. Mit Kindern kann ich keine Schichten machen. Da möchte ich abends gegen 19 Uhr zuhause sein. Denn um 20 Uhr müssen sie ins Bett in der Schulzeit. Und da achte ich auch drauf. Ich will nicht, dass es heißt „die Asozialen“ oder so. Die müssen ausgeschlafen sein, sauber sein und ihr Essen haben!

Südwest Presse: Stichwort Essen: Können Sie beim Lebensmittel-Einkauf die „Horber Tafel“ der Caritas nutzen?

Ja, ich darf dort einkaufen. Wenn ich es von den Arbeitszeiten her schaffe, mache ich das auch. Da gibt‘s manchmal Sachen, die ich mir sonst nie kaufen würde – alleine von den Marken her. Sonst schaust du immer aufs Preiswerteste. Das geht ja beim Joghurt los. Oder da gibt es beispielsweise Pizza-Ecken, die sonst so teuer sind. Die mögen die Buben sehr. Sonst kauf ich nur 66-Cent-Pizzen – wenn überhaupt.

Südwest Presse: Die Lebensmittel sind ja auch teurer geworden…

Das stimmt. Brot vom Bäcker kann ich mir nicht mehr leisten. Ich muss schauen, dass ich zum Großanbieter gehe, wo ich‘s preiswert kriege. Und anderen geht es ja noch schlechter. Für viele Leute ist da der „CariSATT“ eine große Hilfe.

Südwest Presse: Die steigenden Lebensmittel-Preise haben zu einer Diskussion geführt, ob das Arbeitslosengeld II erhöht werden sollte. Was empfinden sie, wenn Politiker sagen, das Geld reiche aus?

Es ist schon manchmal Wut dabei. Man müsste vielleicht auch Unterschiede machen. Es gibt Leute, die reingerutscht sind, so wie ich – unverschuldet. Mich ärgert es aber auch, wenn ich irgendwelche Leute sehe, die seit 10, 20 Jahren aufs Amt gehen und jeden Monat ihr Geld holen und sich dann auf eine Parkbank setzen und die Birne zukippen. Da sag ich auch: „Dann haben sie noch zuviel Geld.“

Südwest Presse: Was würden Sie gerne politisch ändern, wenn Sie die Möglichkeit dazu bekommen würden?

Ich würde die Mehrwertsteuer wieder senken und mehr für die Kinder tun! Ich würde durchsetzen, dass jedes Kind in der Schule kostenlos zu essen bekommt – und insgesamt alles frei ist, was mit der Schule zu tun hat. Ich weiß aus einem anderen Bundesland, dass jedes Kind eine Fahrkarte für den Schulbus bekommt und die Eltern keinen Cent draufzahlen. Warum geht das nicht in Baden-Württemberg? Ich zahle im Monat 38 Euro für meine beiden Kleinen.

Südwest Presse: Gibt es eine Einrichtung oder eine Unterstützung, die Sie sich hier in Horb wünschen würden?

Ja, eine Suppenküche. Damit sich alle Schüler satt essen können.

Andreas Ellinger, Südwest Presse Horb, Südwest Presse Extra

Freitag

20

Juli 2007

Publikation:
Südwest Presse

 

Ressort:
SWP Extra